Wer kennt schon Robert Leroy Parker und Harry Longbaugh? Wer weiß schon, wie zwei Outlaws Anfang des 20. Jahrhunderts gegen den Strich, gegen den Zug, gegen den Geist, gegen die Verhältnisse der Zeit ihr Handwerk, ihre Lebensweise, ihr spezifisches Banditentum nicht aufgeben wollten – und daran scheiterten? Scheiterten sie wirklich mit ihren Raubzügen gegen Eisenbahn und Banken, oder erfüllten sie nicht ihr Leben mit dem Sinn, den sie ihm nun einmal geben wollten? Waren sie konservativ, uneinsichtig, störrisch, unflexibel, immobil – im Handeln wie im Denken?
William Goldman schrieb ihre Geschichte auf, der William Goldman, der auch die Drehbücher zu „Der Marathon Mann“ (1976, Regie: John Schlesinger) und „The Great Waldo Pepper“ (1975, Regie: George Roy Hill) hin zauberte. Der große Burt Bacharach schrieb die Musik, eigentlich nur zwei Stücke, darunter einer seiner wohl bekanntesten und meist gespielten Songs „Raindrops Keep Falling on My Head“. Und der am 27.12.2002 verstorbene George Roy Hill, der auch „The Sting“ (dt. „Der Clou“, 1973) vier Jahre später in Szene setzte und „Tollkühne Flieger“ (1975), „Garp, und wie er die Welt sah“ (1982) sowie „Die Libelle“ (1984) drehte, inszenierte einen Western, der sich gewaschen hat, eben weil dieser Film nicht einer der vielen Western ist, die immer nach dem gleichen Strickmuster ablaufen, sondern eine fast leise, fast melancholische, teils nostalgische, aber auch kritische Retrospektive auf eine Zeit des Umbruchs. Steve McQueen lehnte es ab, die Rolle des Sundance Kid (Harry Longbaugh) zu spielen, Warren Beauty ebenfalls, und so kam der junge Robert Redford in den Genuss, seiner Karriere so richtig Auftrieb zu geben. An der Seite von Paul Newman als Butch Cassidy (Robert L. Parker) spielte Redford auch in dem Klassiker „The Sting“ vier Jahre später.
Die beiden Gangster Butch Cassidy und Sundance Kid beschließen, einen Zug zu überfallen. Allerdings ist dies nur ein Kompromiss. Denn einer aus der „Hole in the wall“-Bande, Harvey Logan (Ted Cassidy), wollte Butch die Führung streitig machen. Ein Duell, das gar keines ist, klärt die Angelegenheit für Butch – durch einen Tritt in die Weichteile und einen ordentlichen Kinnhaken. Bei dem Überfall stoßen sie auf Schwierigkeiten. Der eifrige Woodcock (George Furth) bewacht in einem abgeschlossenen Wagon das Geld von Mr. Harriman, dem Präsidenten der Eisenbahngesellschaft. Eine Ladung Dynamit klärt die Angelegenheit, Woodcock wird verletzt, überlebt aber. Allein, viel Geld erbeutet die Bande nicht.
Der Marshall (Kenneth Marsh) hat Probleme, Männer zur Verfolgung der Bande zu heuern. Die interessieren sich mehr für den Fahrradverkäufer (Henry Jones), der das Pferd als Fortbewegungsmittel der Vergangenheit überantwortet. Genüsslich beobachten Butch und Sundance das Treiben aus dem Etablissement über dem Saloon. Während Butch sich hier mit einer Dame, Agnes (Cloris Leachman), vergnügt, reitet Sundance zu seiner Freundin, der Lehrerin Etta (Katharine Ross).
Nach dieser Ruhepause beschließen die beiden, Mr. Harriman erneut um sein Geld zu erleichtern. Wiederum macht ihnen Woodcock Probleme. Die Dynamitladung jagt fast den ganzen Wagon in die Luft und das Geld wirbelt durch die Luft. Nicht nur das: Harriman hat eine Gruppe von Männern geordert, die sich mit Verbrechensbekämpfung auskennen, u.a. einen indianischen Spurenleser aus Oklahoma und einen als besonders intelligent geltenden Sheriff aus Oklahoma. Es folgt eine der wohl längsten Fluchtsequenzen der Filmgeschichte. Durch einen Sprung ins Wasser können sich Butch und Sundance ihrer Festnahme um Haaresbreite noch einmal entziehen. Sie beschließen, über New York nach Bolivien abzuhauen und dort ihr Glück zu versuchen. Butchs alter Traum scheint in Erfüllung zu gehen. Er meint, Bolivien sei mit seinem Silber, Gold und Zinn das neue Kalifornien. Etta geht mit ihnen.
Als sie in einem verschlafenen, armen Nest in Bolivien ankommen, ist Sundance enttäuscht und wütend. Wie um alles in der Welt sollen sie hier ihren Beruf ausüben? Doch schnell sind Banken gefunden und Etta bringt den beiden Gaunern das nötige Spanisch bei, um sich bei ihren Banküberfällen verständlich zu machen ...
George Roy Hill hat in seinen Filmen nicht geklotzt. Das Plakative, das Vordergründige war ihm offenbar nicht sehr lieb. Wie später in „Der Clou“ erzählt Hill auch in seinem Western eine fast schon leichtfüßige, angenehme, scheinbar nicht allzu ernst zu nehmende Geschichte, die nach äußeren Merkmalen betrachtet den Regeln des Western und des Dramas folgt – mit viel unterschwelligem, aber auch direktem Humor. Hills Fähigkeit zur Visualisierung von Tragik und Komik des Lebens, von Epochen, in denen Umbrüche das Leben einschneidend veränderten, offenbart sich zumeist erst nach und nach. Je öfter ich diesen Film oder auch „The Sting“ angeschaut habe, desto intensiver wird dieser Eindruck im Spannungsfeld von Leichtigkeit und angenehmen Genuss einerseits und den dramatischen Konsequenzen seiner Geschichten auf der anderen Seite. Die Brüche in solchen Zeiten des tiefgehenden Wandels zeigt Hill durch Brüche in den Stilmitteln, die das Genre auszeichnen.
Hill zeigt zu Anfang eine Art Stummfilm, in Brauntönen gehalten, begleitet vom Surren des Filmgebers. Die Bilder sind nah und fern zugleich: Butch und Sundance bei Überfällen in einer vergangenen Epoche, nostalgisch angehaucht, aber nicht verklärt in ihrer Wirkung. Schon die erste Szene des Films – noch ganz im Zeichen des klassischen Westerns – bricht mit den Regeln des Genres. Das Duell zwischen Sundance und Macon (Donnelly Rhodes) nach einem Pokerspiel führt nicht zum Tod eines der Duellanten. Sundance schießt ihm lediglich den Revolvergürtel vom Leib. Zudem ist diese Szene von Sarkasmus gezeichnet. Bevor Macon weiß, dass sein Gegenüber der berühmte Sundance Kid ist, versucht Butch scheinbar den Streit zu schlichten, rät Macon, er solle ihn und Sundance doch zum Bleiben auffordern, dann würden sie gehen.
An allen Ecken und Enden bricht die neue Zeit herein. Ein Fahrradverkäufer im „Wilden Westen“, ein Eisenbahn-Direktor, der mit der Herrschaft der Outlaws Schluss machen will, ein Marshall, dem die Leute nicht mehr folgen, weil sie einerseits die beiden Helden mehr oder weniger heimlich bewundern, aber auch spüren, dass deren Zeit vorbei ist. Und dann diese Fahrradszene. Butch auf dem Fahrrad, Etta vor sich sitzend auf dem Lenker, mit Bacharachs „Raindrops Keep Falling on My Head“ fahren sie auf dem holprigen Gelände vor Ettas Haus, amüsieren sich – eine Szene, die für damalige Verhältnisse gewagt war, ein Song, der gewagt war, ein Bruch, der die Geschichte für einige Minuten sozusagen lahm legt. Die Szene wirkt wie ein Musik-Video, das in den Film hineingeschnitten wurde.
Die Konstellation zwischen den drei Hauptfiguren des Films – Butch, Sundance und Etta – deutet ebenfalls andere Zeiten an. Sundance und Etta sind ein Paar. Doch Etta mag Butch ebenso wie Sundance. Ein Liebes-Trio, nur dass Butch mit Etta nicht schläft. Etta fragt Butch: „Do you ever wonder, if I’d met you first we’ve been the ones to get involved?“ Butch: „Well we are involved, Etta. Don’t you know that? I mean, you are riding on my bicycle. In some Arabian countries, that’s the same as being married.“ Die Beziehung zwischen Butch und Sundance ist eine Mischung aus klassischer Gangster-Beziehung und tief sitzender Zuneigung. Sie wirken distanziert und sind sich doch so nah, wie man sich kaum näher sein kann. Diese Buddy-Geschichte wirkte befruchtend auf so manchen Film der folgenden Jahre, obwohl Buddy-Konstellationen auch schon vorher in Filmen verwendet wurden.
Auch die Flucht vor den von Harriman angeheuerten „Verbrechensexperten“ ist äußerlich dem Genre verhaftet. Sie zieht sich hin, begleitet von den sarkastischen Kommentaren der beiden Verfolgten, bis zum Sprung in das reißende Wasser in einer Schlucht. Es gibt keinen Kontakt zwischen Verfolgern und Verfolgten. Die Verfolger bleiben in der Ferne, wie die herannahende Zukunft, die ein für allemal dem „Wilden Westen“ ein Ende setzen will. Butch träumt vom „neuen Kalifornien“ in Bolivien. Doch auch dort wiederholt sich ihre anachronistische Lebensweise.
Hill demonstriert seine Sympathie mit den beiden Helden einer lost world. Gleichzeitig verabschiedet er sich von ihnen. Ihren Tod zeigt er nicht wie im klassischen Western. Er friert das Schluss-Bild ein. Butch und Sundance sollen so in Erinnerung bleiben, wie sie waren. Mit dem letzten Bild, als sie aus einem Haus ausbrechen, einer überwältigenden Zahl von bolivianischen Soldaten gegenüber stehend, den Tod vor Augen, schließt sich der Kreis. Das Verbrechen wird künftig ein anderes Gesicht haben, leicht angedeutet in der nie auftauchenden Person des Railroad-Eigentümers Harriman, ein anonymes Gesicht, ein legales oder halblegales Verbrechen, ein institutionalisiertes Verbrechen.
„Butch Cassidy and the Sundance Kid“ ist Legende, Hills Legende und seinem nächsten Film „The Sting“ sehr verwandt. Aber diese Legende ist nicht keine Verklärung der amerikanischen Geschichte im Stil des klassischen Westerns. Der Film ist in Aussage und Wirkung Scorseses Beschäftigung mit der amerikanischen Geschichte viel näher, nur dass Hill mit seiner eigentümlichen Art des Un-Plakativen, der leisen Töne, der Ironie sich von einer anderen Seite dieser Geschichte nähert. Legende ist der Film auch, weil die wirklichen Personen nicht so heroisch schön gestorben sind, wie Hill dies zeigt. Gestritten wird auch, ob die wirkliche Etta nun Lehrerin oder Prostituierte war. Unwichtig.
Für Katherine Ross war ihre Rolle als Etta übrigens (leider) kein Sprungbrett zu einer Karriere. Ihre bekannteste Rolle hatte sie schon gespielt, als Elaine Robinson in Mike Nichols „Die Reifeprüfung“ (1967). Für Robert Redford folgten Jahre des Erfolgs.