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    Der Hals der Giraffe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Hals der Giraffe
    Von Daniela Leistikow

    Ist das Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf französischen oder deutschen Ursprungs? Forscher und Märchenliebhaber streiten bis heute lebhaft über die Herkunft des Mädchens mit der roten Kappe. Im Jahr 2006 ist das Rotkäppchen eindeutig eine kleine Französin: In der französischen Familienkomödie „Der Hals der Giraffe“ macht sich die neunjährige Mathilde (Louisa Pili), bekleidet mit einer roten Kapuzenjacke, nachts heimlich auf den Weg zu ihrem Opa, während ihre Mutter Hélène (Sandrine Bonnaire) schläft.

    Statt eines Korbs mit Wein und Brot hat Mathilde ein Bündel Fragen dabei: Als ihr Opa Paul (Claude Rich, Asterix und Obelix: Mission Kleopatra) ins Altenheim umzog, hat sie eine Stapel ungeöffneter Briefe in seiner Wohnung entdeckt. Der Absender: Ihre seit 30 Jahren verschwundene Großmutter Madeleine, die Paul und seine damals zehnjährige Tochter Hélène verlassen hatte. Warum hat ihr Opa die Briefe seiner Frau versteckt, mit denen diese wieder in Kontakt zu ihrer Familie treten wollte? Was ist vor 30 Jahren in Biarritz, wo sich die Wege der Familie getrennt hatten, wirklich passiert? Mathilde ist fest entschlossen, das Geheimnis zu lüften. Sie überredet Paul, mit ihr auf die Suche nach Großmutter Madeleine zu gehen. Die Spurensuche beginnt in Biarritz, wo Mathilde ihre Oma vermutet. Doch die Reise in die Vergangenheit fördert mehr zu Tage, als nur den Aufenthaltsort der verschollenen Großmutter....

    Regisseur Safy Nebbou liefert mit „Der Hals der Giraffe“ einen Film über familiäre Konflikte und Lebenslügen mit sympathischen Figuren und schönen Sets ab. Leider bringt das sehr langsame Erzähltempo die Story oft zum Stillstand. Wer also auf schnelle Schnitte und eine komplexe Geschichte mit zahlreichen überraschenden Wendungen hofft, wird enttäuscht werden. „Der Hals der Giraffe“ ist ein Film der Emotionen, die nicht durch ellenlange analytische Dialoge vermittelt werden, sondern oft durch einen einzigen Blick. Leise und bedächtig, aber sehr zielstrebig beschreitet Mathilde ihren Weg zur Wahrheit. Ihre Mutter Hélène und ihr mürrischer Opa, unglücklich am Ende seines Lebensweges im Altenheim dahin vegetierend, wirken dagegen verloren und überfordert. Die Klugheit und überraschende emotionale Reife der Mathilde werden von Louisa Pili meisterhaft verkörpert. Sie verleiht ihrer Figur Ernsthaftigkeit und Weisheit, ohne sie dabei altklug wirken zu lassen. Kaum zu glauben, dass die damals achtjährige Louisa Pili in „Der Hals der Giraffe“ zum ersten Mal vor der Kamera stand. Das einzige Manko: Eine derart lebenserfahrene Neunjährige erscheint in manchen Situation unglaubwürdig. Sehr realistisch dagegen sind die beiden anderen Hauptfiguren: Claude Rich gibt einen sehr spröden Opa, der kein überfürsorgliche Vaterfigur ist. Und Sandrine Bonnaire in ihrer Rolle als ratlose alleinerziehende Mutter trifft den Zeitgeist in mehr als einer Hinsicht.

    Neben den überzeugenden Figuren und guten Leistung der Schauspieler, unterhält „Der Hals der Giraffe“ den Zuschauer durch einige schöne Details: Am Anfang des Films fahren Mathilde und ihre Mutter zu Paul, um seinen Geburtstag zu feiern. Auf dem Weg spricht Mathilde ständig in ihr Diktiergerät, was Hélène wütend macht, da sie mit ihrer Tochter über deren Probleme in der Schule reden möchte. Ein paar Minuten später erfahren wir, dass das Aufzeichnen mit dem Diktiergerät kein kindliches Spiel war, sondern ein besonnener Plan: Mathilde hat sich eine Wegbeschreibung aufgenommen, damit sie in der nächsten Nacht allein den Weg zu ihrem Opa findet. Auf dem Weg von Pauls Altenheim zur Lösung des Geheimnisses um Oma Madeleine führt uns Safy Nebbou zu schönen Sets, die die kontemplative Stimmung des Film verstärken. Auch die musikalische Untermalung der Roadmovie-typischen Landschaftsbilder ist gut gewählt.

    „Der Hals der Giraffe“ ist ein Film der leisen Töne. Eine beiläufige Bemerkungen, der manchmal trockene Humor und die überzeugende Leistung der Schauspieler machen Safy Nebbous Film zu recht unterhaltsamen 84 Minuten. Durch die langsame Erzählgeschwindigkeit hat der Film einige Längen und die stillschweigende Emotionalität, mit der die Konflikte ausgelebt werden, ist bestimmt nicht Jedermanns Sache. Wer Blockbuster-Unterhaltung gewöhnt ist, wird „Der Hals der Giraffe“ wahrscheinlich so unterhaltsam finden, wie den ZDF-Fernsehfilm vom letzten Mittwoch. Doch wer genauer hinsieht, findet vielleicht ein modernes Rotkäppchen, dass die verschwundene Großmutter behutsam aus dem Bauch des in die Jahre gekommenen Wolfs herausschneidet und ihrer Familie zu einer ehrlicheren Beziehung verhilft.

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