Cate Blanchett spielt Bob Dylan – das war schon vor mehr als einem Jahr überall zu lesen und immer für eine kleine Boulevard-Meldung gut. Und jetzt ist er endlich da, der Dylan-Film. Es ist ein ganz eigenartiger, selbstständiger Film geworden, eine experimentelle Biografie, schlüssig zusammen gesetzt aus Pseudo-Dokumentaraufnahmen, Originalmaterial, fiktionalen und biographischen Szenen, die zwischen körnigem und elegantem Schwarz-Weiß, Videomaterial und Farbaufnahmen wechseln. Und nicht nur die Blanchett gibt den Dylan, sondern noch fünf weitere talentierte Darsteller: der junge Marcus Carl Franklin, Christian Bale, Richard Gere, Ben Wishaw und der kürzlich verstorbene Heath Ledger. Regisseur Todd Haynes, der sich zuletzt mit der Douglas-Sirk-Hommage Dem Himmel so fern profilierte, verbindet die Mosaik-artige Dramaturgie und die unterschiedlichen Stilmittel gekonnt zu einem ausgewogenen Ganzen. Dies gelingt ihm mit Hilfe der grandiosen Montage und, natürlich, durch die zahlreichen Bob-Dylan-Songs, die Brücken und Kommentaren gleich kommen und letztlich den Klebstoff liefern, der „I’m Not There“ zusammen hält. In Anbetracht des herausragenden Ergebnisses ist es mehr als gerechtfertigt, dass Haynes Experimental-Biografie mit dem Spezialpreis der Jury auf den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet worden ist.
Zunächst eine Randnotiz: Bob Dylan lebt. Und zwar nicht nur in diesem Film und seiner Musik, sondern als alter Mann im wirklichen Leben. „I’m not there“ ist der erste Film über die Musiker-Legende, der von Dylan persönlich autorisiert ist. Nicht einmal Altmeister Martin Scorsese, der 2005 mit No Direction Home einen gelungenen Dylan-Dokumentarfilm inszeniert hat (den Todd Haynes zitiert), wurde diese Ehre zuteil. Das hat zwar nicht viel zu bedeuten (vor allem, weil Haynes und Dylan sich nie zu Gesprächen getroffen haben), zeigt aber, dass das Konzept des Films wohl schon auf dem Papier zu überzeugen wusste.
„I’m Not There“ beginnt 1959 und stellt den herumziehenden Jungen Woody Guthrie (Marcus Carl Franklin) vor. Der springt auf Güterzüge auf, wird mal hier, mal dort in eine Gastfamilie aufgenommen und trägt einen Gitarrenkoffer mit der Aufschrift „Diese Maschine tötet Faschisten“ bei sich. Auf seinen Reisen hat der 11-Jährige schon eine recht erwachsene Lebenserfahrung gesammelt und lernt unaufhörlich dazu.
Als zweiter Dylan taucht Arthur Rimbaud (Ben Wishaw, Das Parfum) auf. Der 19-Jährige sitzt vor einem Untersuchungsausschuss und offenbart sein Selbstverständnis als Künstler. Als einziger Dylan-Darsteller wird ihm keine eigene Spielfilmhandlung, sondern eine Rolle als Interviewter zuteil.
Mit politischen Folk-Songs weist Jack Rollins in einer dritten Facette der Persönlichkeit Bob Dylans (Christian Bale, Prestige) auf gesellschaftliche Missstände hin und wird zur Stimme einer neuen Generation. Im Kontext dieser Episode führt Haynes seine gefakten Interviews ein: Julianne Moore (Magnolia) erzählt als angebliche Ex-Freundin in typischer Doku-Manier von den Anfängen Dylans – beziehungsweise Rollins‘. Sie schwärmt von seinen Protestsongs und seiner Energie, die er im Lauf der Zeit allerdings mehr und mehr kommerzialisiert habe.
Eine weitere Episode stellt den Schauspieler Robbie Clark (Heath Ledger, Brokeback Mountain) vor und erzählt schlaglichtartig die Geschichte einer gescheiterten Liebe, vom ersten, romantischen Treffen mit der Malerin Claire (Charlotte Gainsbourg, 21 Gramm) in einem Café bis zur Scheidung. Hier wird „I’m not there“ phasenweise zu einem waschechten Liebesfilm.
Der fünfte Dylan wird von Cate Blanchett (Herr der Ringe - Die Gefährten, Babel) gespielt und trägt den Namen Jude Quinn. Hier geht es vor allem um die stilistische Umorientierung Dylans, den Wechsel von gesellschaftspolitisch aufgeladenem Folk zu lautem Pop. Das Entsetzen vieler Fans wird zum Ausdruck gebracht und gipfelt in einem Attentat auf Dylan. Der unaufhörlich rauchende Quinn wird heftig von der Presse, personifiziert in Gestalt des Kultur-Journalisten Keenan Jones (Bruce Greenwood), angegriffen, hadert mit einer gescheiterten Affäre zu dem Model Coco Rivington (Michelle Williams), trifft auf den verehrten Schriftsteller Allen Ginsberg (David Cross) und in einer unerhört komischen Szene auf die lausbübischen „Beatles“. Am Rande zur Selbstzerstörung balanciert Quinn deutlicher als in jeder anderen Episode am Abgrund seiner Karriere; eine riesige Spinne krabbelt symbolisch immer mal wieder über die Leinwand.
Richtiggehend psychedelisch wird der Film, als Billy the Kid (Richard Gere, Pretty Woman) – der sechste Dylan – auftaucht, der in einer abgelegenen Western-Szenerie lebt und sich vor seinem Rivalen Pat Garrett versteckt. Als Hommage an Sam Peckinpahs Western-Klassiker Pat Garrett jagt Billy the Kid (in dem Dylan eine Nebenrolle spielte und für den Soundtrack verantwortlich war) ist diese Episode in dreckigen, erdigen Bildern inszeniert. Billy hat ausgeprägte Wahnvorstellungen, sieht maskierte Menschen und sogar eine Giraffe, die durch eine kleine Western-Stadt läuft. Als der junge Woody seinem „anderen Ich“ Billy the Kid begegnet, treffen zum einzigen Mal im Film zwei Dylans aufeinander.
Diese sechs Episoden werden keineswegs chronologisch erzählt, sondern wechseln ab und kommentieren sich durch die Montage und die Songtexte Dylans, die teilweise im Original belassen sind und teilweise neu interpretiert wurden (beispielsweise von „Calexico“). Es ist erstaunlich, dass „I’m Not There“ dabei nicht in Unzusammengehöriges zerfällt, sondern trotz der ganz unterschiedlichen Themen und Stile ein homogenes Ganzes bildet. Woody Guthrie, Arthur Rimbaud, Jack Rollins, Robbie Clark, Jude Quinn und Billy the Kid – sechs Facetten Bob Dylans, verkörpert von sechs grandiosen Darstellern in sechs stilistisch unterschiedlichen Episoden ergeben am Ende einen Film.
Wie erwähnt, ist es neben der Musik vor allem der intelligenten Montage zu verdanken, dass „I’m not there“ nicht zersplittert und trotz der komplexen Struktur nachvollziehbar und kohärent bleibt. Durch diese wird Todd Haynes‘ Film nämlich in höchstem Maße selbstreflexiv und macht sich als Kunstwerk deutlich erkennbar; so gelingt es, „zwischen den Bildern“ zu erzählen. Der talentierte Cutter Jay Rabinowitz, der seit Down By Law die Filme Jim Jarmuschs schneidet und für seine Leistung bei Requiem For A Dream ausgezeichnet wurde, leistet in diesem Zusammenhang Großes – sowohl innerhalb der Episoden, als auch in der Gesamtstruktur des Films.
Auch wenn (oder gerade weil) schon die Zwischenrufe der Alten zu hören sind – „das ist doch MTV!“ – hat Todd Haynes einen faszinierenden Film geschaffen, der für jeden etwas bereit hält, in seiner Form geschlossen und offen zugleich ist und als ambitioniertes, überaus reflektiertes und geglücktes Experiment verbucht werden kann. Ein Porträt, das – ganz so wie Dylan selbst – schwer zu greifen ist und sich in einem permanenten Wandel entfaltet.