„Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohl überlegt leben. Intensiv leben wollte ich, das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten, was nicht lebend war. Damit ich nicht in der Todesstunde inne würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.“
Wenn erwachsene Menschen mit Tränen in den Augen das Kino verlassen, müssen sie etwas wahrhaft Außergewöhnliches gesehen haben. Sie müssen einen Film gesehen haben, der sie im tiefsten Inneren berührte und weit über den oberflächlichen, weit verbreiteten Pathos der filmischen Konkurrenz hinausging. Solcherlei Filme gibt es äußerst selten. Manche würde sogar behaupten, dass sich diese an den Fingern einer Hand abzählen lassen. Ob dies der Tatsache entspricht, sei dahin gestellt, doch dass Peter Weirs „Der Club der toten Dichter“ einer jener Filme ist, steht außer Frage.
Welches Meisterwerk Peter Weir gelang wird bereits deutlich, wenn man lediglich versucht, dessen Inhalt wiederzugeben. Worum geht es in „Der Club der toten Dichter“? Was steht im Mittelpunkt der Handlung? Dem Namensgebenden Club kommt allenfalls eine Nebenrolle zu. „Der Club der toten Dichter“ ist gleichermaßen ein Drama über das Heranwachsen in einem Eliteinternat mit strengen Normen und Regeln, das tragische Schicksal eine jungen Mannes, der an dem vom seinem Vater ausgeübten Druck zusammenbricht sowie der verzweifelte Kampf eines Mannes gegen veraltete Konventionen und Lehrmethoden.
Der Film spielt im Jahr 1959. Schauplatz ist ein erzkonservatives Jungeninternat in der Nähe von Welton. Die Erziehung an diesem Internat beruht seit Menschengedenken auf den vier Säulen Tradition, Ehre, Disziplin und Leistung. Änderungen und Fortschritt sind verpönt. Die Schule gibt ihr Möglichstes, um sich und ihre Schüler bestmöglich von den Einflüssen der im Wandel befindlichen Umwelt abzuschirmen. Der Beginn des neuen Schuljahres verläuft zunächst wie jedes andere. Die alten Schüler kehren aus den Sommerferien zurück und neue stehen vor ihrem ersten Unterrichtstag in der für sie völlig neuen Umgebung. Eine Überraschung hält das neue Unterrichtsjahr dann doch bereit. Als neuer Lehrer für das Unterrichtsfach Englisch wird John Keating (Robin Williams) vorgestellt, der einst selbst Schüler in Welton war.
Bereits in der ersten Unterrichtsstunde wird den Schülern deutlich, dass Keating anders ist als alle anderen Lehrer. Er ist nicht der konservative, klassische Typ Lehrer, den sie gewohnt sind. Er ist anders. Ungewohnt modern. Sein Ziel ist es nicht, aus seinen Schülern kleine Revoluzzer zu machen, soweit würde er nicht gehen, aber Freidenker sollen es jedoch schon sein. Dies stößt dem Rest des Lehrerkollegiums sauer auf, doch zunächst lassen sie ihn gewähren. Die Schüler sind absolut fasziniert von Keating, so dass sie schon bald beginnen, Nachforschungen über ihn und seine Zeit in Welton anzustellen. In einem alten Jahrbuch finden sie heraus, dass Keating während seiner Zeit im Internat Mitglied im „Club der toten Dichter“ war, einer Gruppe von Schülern, die sich nachts heimlich trafen, um sich gegenseitig Gedichte und Erzählungen von längst verstorbenen Autoren vorzulesen. Schnell ist der Entschluss gefasst, dass dieser Club wieder ins Leben gerufen werden muss. Dass er vor dem despotischen Rektor Nolan (Norman Lloyd) geheim gehalten werden muss, versteht sich von selbst.
Doch wie bereits angedeutet, stehen nicht einzig der Club oder das Schicksal von John Keating im Mittelpunkt des Films. Nein, jeder einzelne Schüler hat obendrein mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen. Neil Perry (Robert Sean Leonard) – der Initiator zur Wiederaufnahme des „Club der toten Dichter“ - ist der Musterschüler schlechthin in Welton. Er ist in der Lage, in jedem Fach Topleistungen abzurufen. Doch trotzdem ist er alles andere als ein glücklicher, junger Mann. Der von seinem tyrannischen Vater auf ihn ausgeübte Leistungsdruck wird für ihn mehr und mehr unerträglich. Obendrein wird ihm jedwede Aktivität verboten, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Verbesserung seiner schulischen Leistungen steht. Ein Ausgleich, ein Hobby, das ihn vom grauen Alltag ablenkt, wird ihm nicht gewährt. Todd Anderson (Ethan Hawke), einer der neuen Schüler in Welton, ist der kleine Bruder von Jeffrey Anderson, einem der besten Schüler, die Welton je hatte. Vom ersten Tag an, wird ihm gegenüber eine Erwartungshaltung aufgebaut, die der schüchterne Schüler zu keinem Zeitpunkt in der Lage ist zu erfüllen. Todd hat viel mehr damit zu kämpfen, dass er sich von seinen Eltern verstoßen fühlt. Charlie Dalton (Gale Hansen) ist eher einer der unauffälligen Schüler, doch als er sich Hals über Kopf in ein Mädchen aus der Stadt verliebt, die wunderbare Ginny Danburry (Alexandra Powers), ist alles andere für ihn zunächst zweitrangig. Knox Overstreet (Josh Charles) hat hingegen einzig mit sich selbst, seinem überschäumenden Temperament und der daraus resultierenden Ablehnung jeder Form von Autorität gegenüber zu schaffen.
Trotz der vielen ineinander verschachtelten Handlungsstränge stellt sich beim Zuschauer zu keinem Zeitpunkt das Gefühl ein, dem Gesehen nicht mehr folgen zu können. Regie-Genie Peter Weir („The Truman Show“) gelang es, von der ersten bis zu letzten Minute das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Durch eine der emotionalsten Schlussszenen der Filmgeschichte machte sich der gebürtige Australier selbst unsterblich. Von den letzten Minuten des Films muss man einfach berührt sein. Was Peter Weir in diesem Zusammenhang noch ganz groß angerechnet werden muss, ist das Vertrauen in seine Darsteller. Welcher Regisseur außer ihm würde schon einen Teenager fragen, ob er seinen Charakter für glaubwürdig hält und aufgrund einer Anregung eines Siebzehnjährigen das Drehbuch umschreiben? Peter Weir machte dies ohne mit der Wimper zu zucken, als Dylan Kussmaul ihm eher beiläufig sagte, dass er es komisch fände, dass sein Charakter am Ende des Films auf den Tisch steht. Weir akzeptierte dies und änderte das Script.
Ein glückliches Händchen hatte Weir obendrein bei der Auswahl seiner Darsteller. Sicher, bei Robin Williams konnte er nicht viel falsch machen. Seine Darbietung als John Keating gehört neben seinen Auftritten als Adrian Cronauer in „Good Morning, Vietnam!“ und als Sean Maguire in „Good Will Hunting“ zu den Glanzlichtern seiner Karriere. Bei bereits bewährten Charaktermimen und Bühnendarstellern wie Kurtwood Smith, Norman Lloyd oder Leon Pownall lag ebenfalls auf der Hand, dass sie zumindest nicht negativ abfallen würden, doch dass es Weir gelang, die Rollen der einzelnen Schüler derart perfekt zu besetzten, ist erstaunlich. Für viele der jungen Darsteller war „Der Club der toten Dichter“ das erste große Filmprojekt. Dass es dabei wirklich jedem einzelnen aus dem im Schnitt unter zwanzig Jahre altem Ensemble gelang, ihre Charaktere derart glaubwürdig und ergreifend auf die Leinwand zu transportieren, konnte wohl selbst Weir im Vorfeld nur hoffen. Aber es ist ihnen gelungen. Die Kehrseite der Medallie ist allerdings, dass Robert Sean Leonard, Josh Charles, Gale Hansen oder auch Dylan Kussman irgendwann am Ende ihrer Karrieren, unter die teils schon der Schlussstrich gezogen wurde, auf eben jene zurückblicken, wobei sie feststellen werden, dass ihr erster Film ihr bester war. Allenfalls Ethan Hawke konnte sich etablieren und in „Gattaca“ zumindest annähernd an seine Leistung aus „Der Club der toten Dichter“ anknüpfen.
Wie schließt man eine Kritik wie die diese ab? Am Besten mit einem ehrlichen Bekenntnis: Jawohl, ich war gerührt, als ich den Film zum ersten Mal sah!
„‘O Captain, mein Captain!’ Wer weiß, von wem das ist? ... Wer weiß es? ... Keine Ahnung? ... Es ist aus einem Gedicht von Walt Whitman über Mr. Abraham Lincoln. Also, Sie sprechen mich entweder mit Mr. Keating an – oder, wenn Sie etwas mutiger sind, sagen Sie O Captain, mein Captain!’“ (John Keating zu seinen Schülern in der ersten Unterrichtsstunde)