Es gibt Filme, die treffen einen wie ein Schlag in die Magengrube. Brian De Palmas Vietnamkriegsdrama „Die Verdammten des Krieges“ ist eines dieser Werke. Dank des überragenden visuellen Talents des Regisseurs entfaltet die Erzählung von Vergewaltigung und Mord, von Ohnmacht und Schwäche eine Wucht, die ihresgleichen sucht. Die bedrängende Klarheit des Films ließe sich vielleicht als plakativ wegrationalisieren, wäre da nicht die unglaubliche Intensität und Nachhaltigkeit seiner Wirkung. De Palma kennt die Macht der Gefühle und liefert uns ein Meisterwerk emotionaler Intelligenz.
Dem Vietnam-Neuling Eriksson (Michael J. Fox) wird im Gefecht von seinem Vorgesetzten Sergeant Meserve (Sean Penn) gleich zwei Mal das Leben gerettet. Kurz nach dieser Situation gerät die Einheit in einen Hinterhalt und Meserves Kumpel Brown (Erik King, serie,Dexter) wird getötet. Daraufhin lässt der Sergeant seine Männer beim Aufbruch zu einer Aufklärungsmission einen Umweg machen, um aus einem Dorf eine junge Frau, die er kurzerhand zur „Vietcong-Hure“ erklärt, zu entführen. Eriksson ist entsetzter und machtloser Zeuge. Er wird unter Druck gesetzt, sich an der Vergewaltigung Oanhs (Thuy Thu Le) zu beteiligen. Er widersteht als einziger, während sich Meserve, Harper (John C. Reilly, Magnolia, Die Stiefbrüder), Clarke (Don Harvey, Der schmale Grat) und Browns zunächst zögerlicher Ersatz Diaz (John Leguizamo, Carlito`s Way, Land Of The Dead) an dem wehrlosen Mädchen vergehen. Die Gelegenheit, mit Oanh zu fliehen, lässt Eriksson allerdings ungenutzt. Das Martyrium der Frau endet in einem qualvollen Tod. Von Schuldgefühlen geplagt bringt Eriksson die Tat seiner Kameraden gegen alle Beschwichtigungs- und Vertuschungsversuche vors Kriegsgericht.
„Die Verdammten des Krieges“ basiert auf einem Vorfall aus dem Jahre 1966, den der Journalist Daniel Lang 1969 an die Öffentlichkeit brachte und den er später zu einem Buch verarbeitete. Bereits 1970 wurde diese Entführung und Vergewaltigung einer jungen Vietnamesin durch amerikanische Soldaten erstmals verfilmt. Der deutsche Regisseur Michael Verhoeven („Die weiße Rose“) sorgte mit O.K., seiner brechtianisch verfremdeten Verfilmung in bayerischer Mundart, für einen handfesten Skandal, der zum Abbruch der Berliner Filmfestspiele führte. In Elia Kazans Rückkehrer-Drama „Die Besucher“ wurde der Fall 1972 noch einmal indirekt aufgegriffen, aber zur größeren Hollywood-Produktion kam es erst 1989 mit De Palmas Film.
„Die Verdammten des Krieges“ steht ein wenig im Schatten berühmter Vorgänger. Als er in die Kinos kam, hatte der Vietnamfilm schon seine zweite Blüte hinter sich. Doch während Die durch die Hölle gehen als großes amerikanisches Panorama angelegt ist, Francis Ford Coppola in Apocalypse Now genauso wie später Oliver Stone in Platoon sehr stark auf allegorische Mittel setzt und Stanley Kubrick mit Full Metal Jacket die Bestie Mensch seziert, widmet sich De Palma der Verarbeitung des nationalen Traumas auf seine eigene Weise, indem er die Opfer des Krieges in den Mittelpunkt stellt.
Brian De Palma hat schon in seinen frühen Filmen „Hi, Mom“ und „Greetings“ gegen den Vietnamkrieg agitiert und sich seitdem nicht nur mit Blockbustern wie The Untouchables und Mission: Impossible als virtuoser Bildermacher etabliert. Fast obsessiv erforscht er die Moral des Blicks und die Verantwortung des Schauenden genauso wie die trügerische Erscheinung des Gesehenen. Der Protagonist von „Die Verdammten des Krieges“ ist in diesem Sinne eine typische De-Palma-Figur und ein enger Verwandter von John Travoltas Toningenieur in „Blow Out“, der ebenfalls zum Zeugen eines Verbrechens wird und bei dem Versuch scheitert, einer jungen Frau das Leben zu retten.
Michael J. Fox (Zurück in die Zukunft) ist die Idealbesetzung für den gutherzigen, aber unerfahrenen Eriksson. Sein mehrmals wiederholtes „I'm sorry“ ist zugleich Ausdruck echten Mitgefühls und Eingeständnis eigener Hilflosigkeit. Er ist kein strahlender Held, sondern ein normaler Mensch in unerträglicher Lage. Während Erikssons moralischer Kompass in dieser Welt, in der sich alle Maßstäbe verschoben haben, noch funktioniert, ist die Nadel bei Meserve spätestens durch Browns Tod aus der Spur gesprungen. Sean Penn zeigt lange vor Dead Man Walking und Mystic River, dass er auch fragwürdige Charaktere mit einer geradezu irritierenden Komplexität versehen kann, seine Züge verhärten sich im Lauf des Films und auch seine Perspektive verengt sich spürbar. Auch den Darstellern der anderen Mitglieder der genretypisch aus gegensätzlichen Charakteren zusammengesetzten Gruppe gelingt es, ihren Figuren hinter der konventionellen Fassade kleine Widerhaken zu verleihen.
Den schwierigsten Part hatte die 16-jährige Thuy Thu Le als Oanh, birgt die Rolle doch die Gefahr zur reinen Symbolfigur zu verkommen. Die zierliche junge Frau spielt das geschundene Opfer dagegen als lebendiges Wesen, ihr zutiefst verängstigter Blick ist beredt, ihre Schreie voller Schmerz. Bei der Vergewaltigung hält sich De Palma zurück, Oanhs lange Todesszene inszeniert er dagegen als schier endloses Martyrium auf einer Eisenbahnbrücke. Niemand kann wegschauen. Der vermeintliche Feind bekommt ein Gesicht, das sich ins Gedächtnis einbrennt und die Musik von Ennio Morricone (Spiel mir das Lied vom Tod) mit ihrem klagenden Panflöten-Thema wird zum Requiem für dieses Opfer.
De Palma inszeniert gleich zu Beginn die Unüberschaubarkeit der Lage, die Bedrohung kommt nicht nur von allen Seiten, auch unter der Erde lauert Gefahr. Den Soldaten ist zudem nie ganz klar, ob sie es mit friedlichen Bauern oder mit feindlichen Vietcong zu tun haben, sie beginnen das ganze Land zu hassen. Über die Landschaft und den weiten Himmel scheint sich zunehmend ein grauer Schleier zu legen. Der kriegerische Konflikt bleibt hier genauso wie die militärische Logik bei der „Aufklärung“ des Verbrechens unverständlich, De Palma zeichnet ein sehr genaues Bild davon, das für sich selbst spricht. Einen anklägerischen Furor braucht es da nicht mehr. Die beabsichtigte Wirkung erreicht er vielmehr im Zusammenspiel des konkretisierten realen Hintergrunds mit der individuellen Leidensgeschichte, etwa wenn er die Kamera bei der nächtlichen Entführung indiskret in die Hütten spähen lässt oder wenn er für die Evakuierung Erikssons im Hubschrauber eine nie gesehene schwindelerregende Perspektive wählt.
De Palma und sein Drehbuchautor David Rabe umfassen die erschütternden Vorgänge in Vietnam mit einer knappen Klammer in der amerikanischen Nachkriegszeit und setzen den niederschmetternden Bildern ein wohlüberlegtes Zeichen der Hoffnung entgegen. Der eingenickte Eriksson bemerkt beim Erwachen in der Straßenbahn eine asiatische Studentin (ebenfalls Thuy Thu Le), die ihn an Oanh erinnert. Sie lässt ein Tuch auf dem Sitz liegen, das er ihr hinterher trägt (auch das ist ein Echo einer früheren Szene). Sie bemerkt, dass er einen schlechten Traum gehabt haben muss und sagt ihm, dass dieser nun vorbei sei. Es geht nicht darum, dass Eriksson seine Schuldgefühle gänzlich ablegt, sondern um einen Neuanfang im Bewusstsein begangener Fehler und im Gedenken an die Opfer. Es ist ganz und gar kein Zufall, dass die Passagiere der Straßenbahn in der Zeitung gerade vom Rücktritt Richard Nixons lesen, hier wird das Erwachen einer ganzen Nation beschworen.
Die vorsichtige optimistische Wendung am Schluss, zu der sich De Palma bei seinem thematisch ähnlich gelagerten Irak-Dokudrama Redacted nicht mehr in der Lage sah, vermag die Verstörung angesichts des davor Gesehenen nicht zu mildern (außerdem muss man im Abspann noch erfahren, dass einer der Täter später freigesprochen wurde), aber sie ist es dennoch, die „Die Verdammten des Krieges“ von einem wichtigen zu einem großartigen Film werden lässt. Sie bekräftigt den Glauben an Mitgefühl und Hoffnung, wo sonst nur noch Wut und Verzweiflung wäre.