"The Missing" ist so ein typisch exemplarisches Beispiel für die manchmal unüberbrückbare Lücke zwischen dem Anspruch der seriösen Fachpresse und den Sehgewohnheiten des Publikums. Mit anderen Worten: Der Film ist für´s Publikum gemacht, nicht für die Kritiker. Dass die den verquasten Mischmasch aus Western, Drama und Mysterythriller in der Luft zerreissen kann ich ihnen nicht mal verübeln. Und trotzdem empfehle ich jedem halbwegs cinematophilen, sei er nun Mainstreamgucker oder Vollblut - Cineast, sich diesen Streifen anzusehn. Denn "The Missing" ist zumindest eines: experimentierfreudiges Actionkino.
Zugegeben: Man kann den Kritikpunkten von Herrn Baumgardt kaum widersprechen. "The Missing" ist weder "Erbarmungslos" noch "Heaven´s Gate" noch irgendwie sonst ein ambitionierter Spätwestern. Die Logiklöcher sind zahlreich, ebenso die Klischees und der ganze krude Mix nimmt sich insgesamt ziemlich ernst, denn eigentlich haben wir es hier, lässt man die beachtlichen Produktionswerte mal aussen vor, mit einem ziemlich durchgeknallten Film zu tun. Die esoterische Cowboy und Indianer - Knallerei könnte jedenfalls auch aus einem Groschenroman von Bastei - Lübbe stammen. Und genau da liegt die Crux: Wenn man den Film als B - Movie enttarnt hat, wenn man aufhört die Logik hinter dem ganzen Spektakel zu hinterfragen, die Geschichte als ernstzunehmendes Drama als gescheitert betrachtet und sich einfach auf die ungewöhnliche Geschichte einlässt ist "The Missing" ein ausserordentlich unterhaltsamer und spannender Film.
Die Aufnahmen sind, und das sei hier nochmal erwähnt, wirklich phänomenal und allein schon ein guter Grund den Film zu sehen. Selten wurde die Schönheit der südamerikanischen Landschaft so eindringlich eingefangen wie hier, und ich halte es nicht für eine Übertreibung zu behaupten dass das Kino für solche Bilder geschaffen wurde. Überhaupt ist die Atmosphäre eine der grössten Stärken des Films, die düsteren Bilder und die weitläufigen Naturpanoramen bilden ein überaus reizvolles Wechselspiel. Die Musik von James Horner mag, was bei ihm wohl unumgänglich ist, stellenweise etwas aufdringlich geraten sein und ist, wie kann es anders sein, mal wieder ein Querschnitt durch Horners Oeuvre, will sagen man hat das alles schon irgendwo mal gehört. Dennoch liefert er, im besten Sinne der Funktionalität, einen handwerklich perfekten Score ab, der die düstere Grundstimmung und die rasant inszenierten Actionpassagen sowie die immer wieder durchschimmernde Marlboro - Romantik ideal unterlegt. Durch den Einsatz von Panflöten - Folklore und Indianergesängen fängt er auch die mystizistischen Motive des Films hervorragend ein, und man kann erneut feststellen, dass neben Spielberg und Williams noch andere routinierte Regisseur/Hauskomponist - Kollaborationen existieren.
Schauspielerisch ist der Film ebenfalls beachtlich. Cate Blanchett ist in ihrer Sorge um ihre Kinder und ihrem gespaltenem, von Vorurteilen geprägten Verhältnis zu ihrem halbindianischen Vater in jeder Sekunde glaubwürdig, Tommy Lee Jones mag als Einzelgänger mit Hippiefrisur ein wenig wie eine Kuriosität wirken, sehenswert ist sein zerknautschtes und tieftrauriges Faltengesicht allemal. Ausserdem hat er zumindest einen Preis für den schönsten Filmnamen des Jahres verdient, "Chaa-duu-ba-its-idan", was soviel bedeutet wie "Der-in-der Scheisse-sitzt". Eric Schweig als dämonischer Schamane mag ein stereotyper Badguy sein, aber das ändert nichts an seiner bedrohlichen Aura: Wenn er mit seinen wilden, brutalen Augen in die Kamera funkelt spürt man eine schon beinahe physische Präsenz. Auch die übrigen Nebendarsteller machen ihre Sache recht gut, die kleine Jenna Boyd als Dot möchte man in ihrer Angst am liebsten in den Arm nehmen und Jay Tavare als Apache Kayitah ist eine (wenn auch wahrscheinlich ungewollte) Hommage an den Pierre Briece - mässigen Indianer aus den fünfziger Jahren.
Fazit: "The Missing" ist kein entmythologisierender, ambitionierter Spätwestern wie "Erbarmungslos" und kein neoromantischer Wiederbelebungsversuch des Genres wie "Open Range". "The Missing" ist ein Mysterythriller im Westerngewand, und als solches in der Filmgeschichte möglicherweise einmalig. Die Shootouts sind, wie es sich für einen Neo - Western gehört, rasant und packend inszeniert, der Film hält die grandiose Atmosphäre bis zuletzt aufrecht und die beiden Schauspiel - Titanen Blanchett und Jones sind in einer ungewöhnlichen Figurenkonstellation zu sehen. Es ist letzten Endes müssig darüber zu streiten ob die Stärken oder die Schwächen des Films überwiegen. Der Film ist fraglos unterhaltsam und in der Flut der immergleichen Mainstreamproduktionen und endlosen Comicverfilmungen der letzten jahre erfrischend anders, ausserdem kann er sich der Tatsache rühmen der wahrscheinlich ungewöhnlichste Film zu sein, den Ron Howard je gedreht hat.
Der Western ist tot, lang lebe der Western.