Besser spät als nie: Während David Mackenzies neuer Film „Hallam Foe“ 2007 bei der Berlinale läuft, kommt sein Vorgänger „Stellas Versuchung“, der dort schon vor zwei Jahren im Wettbewerb vertreten war, diesen März regulär in die deutschen Kinos. Wenn selbst ein nicht ganz Unbekannter wie Terry Gilliam für seinen 2005 abgedrehten Tideland hierzulande keinen Verleih findet, kann man sich eigentlich nur darüber freuen, dass „Stellas Versuchung“ überhaupt noch einmal die Biege nach Deutschland kriegt. Die Verfilmung des Romans „Asylum“ (deutscher Titel: „Stella“) von Patrick McGrath über die wilde Affäre der Ehefrau eines Psychiaters mit einem Anstaltsinsassen, der seine Frau ermordet hat, will es nicht jedem recht machen. Ihre Düsternis und Kälte lohnen den Kinobesuch, für alle, die bereit sind, sich darauf in dem Drama einzulassen.
Stella Raphael (Natasha Richardson), Ehemann Max (Hugh Bonneville) und ihr kleiner Sohn Charlie ziehen aufs Land in eine Villa auf dem Gelände der psychiatrischen Anstalt, deren stellvertretende Leitung Max übernommen hat. Max ist davon überzeugt, dort bald in die Position des Leiters aufzusteigen. Bei der feierlichen Begrüßung werden lustige Scherzchen über die Verrückten in der Anstalt gemacht. Gemeint sei natürlich – hihihi - das Personal, nicht die Insassen. Max macht auch gerne Scherze: Seine Frau bezeichnet er als seine schwierigste Patientin - und bewahrt ihr gegenüber die dieser Einstellung entsprechende professionelle Distanz. Von Stella wird vor allem eins erwartet: als Ehefrau des Doktors beim Doktorenehefrauen-Damenkränzchen und bei anderen gesellschaftlichen Anlässen eine gute Figur machen. Doch während die Gattinnen der übrigen Anstaltsärzte routiniert ihre Kleidung so passend zum schauderhaften Tapetenmuster auswählen, dass sich kein Unterschied zwischen Dame und Tapete mehr erkennen lässt, übt Stella passiven Widerstand. Und ehe dieser in Resignation und Depression endet, beginnt sie die Affäre mit dem Patienten Edgar (Marton Csokas), der als Gärtner bei den Raphaels gewissermaßen auf Freigang ist. Vielleicht ausgerechnet mit ihm, weil er der nächstbeste ist. Vielleicht auch, weil er von der Umgebung noch ein wenig misstrauischer beäugt wird als sie selbst, und sie sich innerlich sofort mit diesem Gefangenen der todtraurigen Verwahranstalt solidarisiert. Vielleicht auch wegen seiner möglichen Gefährlichkeit. Jedenfalls tut sie es mit vor- und rücksichtsloser Leidenschaft.
Die Gefahr, die von Edgar ausgeht, ist sehr real. Doktor Peter Cleave (Ian McKellen, The Da Vinci Code - Sakrileg, Herr der Ringe - Trilogie), der für Edgar verantwortliche Psychiater, der sein Leben mit einer beunruhigend kontrollierten Leidenschaft ganz der Betreuung von sexualpathologischen Fällen widmet, klärt sie detailliert darüber auf, was Edgar getan hat, ehe er in die Anstalt kam. In wie viele Teile er seine Frau zerlegt hat, weil er meinte, sie betrüge ihn mit einem anderen. Die freundliche Warnung, dass man eine Frau, die sich in eine wahnsinnige Leidenschaft hineinsteigert, zu ihrer eigenen Sicherheit auch recht schnell und unbürokratisch einsperren könne, gibt es gratis dazu. Allein es nützt nichts. Sich aus den Fesseln ihrer Ehe in die Umklammerung eines krankhaft Eifersüchtigen zu begeben, kann keine gute Idee sein. Aber Stella handelt nicht rational. Als Edgar, der sich Hoffnungen gemacht hatte, bald entlassen zu werden, feststellen muss, dass Cleave ihn noch lange nicht für geheilt hält, ergreift er die erste Möglichkeit zur Flucht. Stella gibt Mann, Kind und Sicherheit auf und folgt ihm. Zu ihrem Unglück lag Doktor Cleave mit seiner Einschätzung von Edgars Zustand völlig richtig.
An dieser Stelle der Handlung musste man sich Sorgen machen, nicht nur um Stellas Schicksal, sondern auch um den weiteren Verlauf des Films. Einige Minuten sieht es so aus, als würde jetzt ein mäßiger, konventioneller Thriller mit einer Frau in der Gewalt eines Psychopathen bis zum bitteren Ende durchgezogen. Erfreulicherweise nimmt der Film dann aber überraschend eine ganz andere Wendung. Die Tragödie entfaltet sich kalt, präzise und scheinbar unaufhaltsam, dabei weigert sie sich, gewisse Erwartungshaltungen zu bedienen: Weder wird der Psychopath zur symbolischen Verkörperung aller Schrecken, noch überhöht der Film den Emanzipationsversuch seiner Heldin. Ganz frei von zugespitzten Darstellungen - wer will, kann auch Klischees sagen - ist er zugegebenermaßen dennoch nicht. Und sicherlich ist es auch kein neuer Gedanke, die patriarchalischen Verhältnisse der 50er Jahre mit der Frau in der Objekt- und letztlich auch Opferrolle zu kritisieren. Ob es tatsächlich so ist, dass man mit solcher Kritik heute nur offene Türen einrennt, sei mal dahingestellt.
Das sind kleine Kritikpunkte. Patrick Marbers Drehbuch setzt die Romanvorlage insgesamt ausgezeichnet um. Marber wurde für sein Theaterstück „Closer“ und das von ihm selbst adaptierte Drehbuch zum gleichnamigen Film (deutscher Titel: Hautnah) insbesondere wegen der Dialoge mit Lob überhäuft. Und auch in „Stellas Versuchung“ stimmt jedes Wort. Regisseur Mackenzie und seinem Team war es schon im mit Ewan McGregor und Tilda Swinton besetzten Erotikdrama Young Adam gelungen, eine beeindruckend bedrückende Atmosphäre zu erzeugen, die in diesem Fall die sehr mäßige Qualität des Drehbuches deutlich in den Schatten stellte. Hier passt nun beides zusammen.
Der Film entwickelt von Beginn an eine Stimmung, die frösteln macht. Man weiß gar nicht genau, wo es am schlimmsten ist: In den düsteren Gängen der Irrenanstalt, wo sich Stella in den falschen Trakt verirrt hat, oder im großen Festsaal, wenn einmal im Jahr („Glauben Sie mir, das reicht“) alle Anstaltsinsassen, Frauen und Männer, zusammen sein und tanzen dürfen (nicht zu eng, versteht sich). Vielleicht auch im Lächeln des Doktor Cleave, oder im Tonfall Max Raphaels, wenn er mit seiner Frau redet. Vor der Blümchentapete oder vor den zerbrochenen Fensterscheiben, die überall dort zu sein scheinen, wo Stella und Edgar zusammentreffen. Wahrscheinlich liegt der größte Horror im Kontrast, den das Verlangen dieser beiden zu dieser Umgebung bildet und darin, dass keinen Augenblick so etwas wie Wärme entsteht.
Keine seiner Figuren denunziert der Film. Doch auch vorbehaltlose Identifikation mit der Hauptfigur sollte kaum möglich sein. Das macht ihn spannend, aber nicht ganz so leicht konsumierbar. Die Schauspieler müssen ausnahmslos weit Überdurchschnittliches leisten und sie tun es auch. Unter ihnen ragen die unglaublich intensive Natasha Richardson und der phantastisch aufgelegte Altmeister Ian McKellen heraus. Letzterer sollte zumindest denen das Fürchten lehren, die ihn bisher nur als Gandalf gesehen haben.