Die moralische Grundfrage lautet: Sollten Legenden wiederbelebt werden? Die Bauchantwort: besser nicht! War es wirklich nötig, 15 Jahre nach Der Pate II einen dritten Teil in die Kinos zu bringen? Tat die zweite „Star Wars“-Trilogie tatsächlich Not? Sicher nicht. Das Ergebnis hat dem Mythos wohl jeweils eher geschadet als genützt. Aber es geht auch anders: Obwohl Stirb langsam 4.0 nicht ganz an die Vorgänger anknüpfen konnte, machte Bruce Willis in der neuen Zeitrechnung eine gute Figur und die Modernisierung gelang erstaunlich geschmeidig. Bei Steven Spielbergs „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ reden wir aber noch einmal von einer anderen Hausnummer. Jäger des verlorenen Schatzes (1981), Indiana Jones und der Tempel des Todes (1984) und Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (1989) generierten zusammen weltweit Einnahmen von 1,1 Milliarden Dollar. Kommerziell ist das dritte Sequel der Kult-Reihe bei der monströsen Erwartungshaltung der Fans ein Selbstläufer, doch inhaltlich ist die Aufgabe der Wiedererweckung nahezu unmöglich lösbar. Und dementsprechend fällt auch das Ergebnis aus. „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ ist ein ordentlich unterhaltender Abenteuerfilm, der sichtlich auf altmodisch getrimmt ist, aber bei der Neuorientierung nicht immer den richtigen Ton trifft.
Nevada, 1957: Archäologe und Uni-Professor Indiana Jones (Harrison Ford) und sein Kumpel Mac (Ray Winstone) stecken in der Klemme. Das Duo ist von wenig zimperlichen sowjetischen Agenten unter Leitung der skrupellosen Irina Spalko (Cate Blanchett) gekidnappt worden. Indy soll in einer abgelegenen Lagerhalle eine geheimnisvolle Kiste identifizieren. In der hochmagnetischen Box befindet sich ein Außerirdischer, der 1947 in Roswell abgestürzt ist. Dumm für Indy, dass Mac die Seiten gewechselt hat und als Doppelagent arbeitet – doch dem geübten Peitschenschwinger gelingt einmal mehr eine spektakuläre Flucht. Die Gefahr ist jedoch noch längst nicht gebannt: Indy verirrt sich auf ein US-Militärgelände, wo er mit Mühe einen Atomtest überlebt. Vom FBI kritisch beäugt, hat Indy genug von den USA und will erst einmal nach Europa reisen, wird aber von dem jungen Rebellen Mutt Williams (Shia LeBeouf) aufgehalten, der eine mysteriöse Karte des in Peru verschollenen Professors Oxley (John Hurt) in seinem Besitz hat. Die beiden machen sich auf nach Akator in den peruanischen Urwald, wo sie bald auf Mutts Mutter treffen: Marion Williams (Karen Allen), gebürtige Ravenwood…
Die Idee einer Fortsetzung der „Indiana Jones“-Reihe geistert schon seit den Neunzigerjahren durch Hollywood. Doch das Erfolgsteam um Regisseur Steven Spielberg und die Produzenten George Lucas, Kathleen Kennedy und Frank Marshall zierte sich inklusive Hauptdarsteller Harrison Ford jahrelang: Gefühlt endlose Drehbuchfassungen zogen ins Land, keine konnte die Matadore wieder in die Arena treiben. Aber das Projekt, das ursprünglich Ford (zu Spielberg: „Warum drehen wir nicht eine weitere Fortsetzung?“) anschob, kam langsam ins Rollen. Eine Storyidee von Lucas und Jeff Nathanson (Catch Me If You Can, Speed 2, Terminal), die Star-Drehbuchautor David Koepp (Krieg der Welten, Spider-Man, Jurassic Park, Mission: Impossible) dann umsetzte, fand die Gnaden aller Entscheidungsträger. Das Konzept: Der neue Indiana Jones sollte auch im Film deutlich gealtert sein, die altbewährten Zutaten beibehalten und neue Elemente hinzugefügt werden.
Ausgesprochen gut geglückt sind die ironischen Bezüge zu den früheren Filmen - der Humor hat seinen festen Platz in „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“, ohne allerdings an die fast schon grenzwertige Heiterkeit von „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ heran zu gelangen. Abgesehen von der Verwurzelung hat der Film mit seiner Neuausrichtung in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre ein Problem. Das Milieu von Professor Henry Junior „Indiana“ Jones besitzt noch denselben Look und die Atmosphäre von früher kommt in diesen Szenen auch auf, doch in den Fifties wirkt ein Indy-Abenteuer seltsam fremd. „Indiana Jones“ ist eben nicht Elvis‘ „Hound Dog“, Rock ‘n‘ Roll und Schmalzlocken. Dieser Part wird zum Großteil über die Figur des Mutt Williams eingebracht. Spielbergs Protegé Shia LaBeouf (Transformers, Disturbia) fällt dabei die undankbarste Aufgabe von allen zu: Schon sein erstes Erscheinen auf der Leinwand in Marlon-Brandon-Gedächtnis-Pose ist mehr als unglücklich. Ein pomadenhaariger Möchtegern-Rebell in Motorradjacke als Sidekick von Indiana Jones? Das geht gar nicht. Worauf das Ganze in Kombination mit der aus Teil 1 reaktivierten Karen Allen als Marion Ravenwood hinausläuft, kann sich auch jeder an zwei Fingern abzählen. Die charismatische Allen wieder an Bord zu holen, war in der Theorie möglicherweise eine gute Idee, in der Praxis kann sie jedoch nicht an den rauen Charme ihres ersten Auftritts anknüpfen.
Der Rest der Nebendarsteller hat ebenfalls nicht viel zu bestellen, agiert funktionell, ohne großartige Akzente zu setzen. Den besten Eindruck hinterlässt noch Ray Winstone (Sexy Beast, Departed), weil er wenigstens einen Anflug von Undurchsichtigkeit einbringt – was den anderen Charakteren völlig abgeht. Während John Hurt (Contact, Shooting Dogs) als irr-wirrer Professor nur nervender Stichwortgeber ist, muss Cate Blanchett (Herr der Ringe - Die Gefährten, Aviator) die Bösewichtin von der Stange geben. Ihre russische Agentin ist ebenso simpel gestrickt wie das rote Feindbild – die bösen Russen ersetzen nahtlos die tumben Nazi-Schergen aus den Vorgängerfilmen. Blanchett spielt solide, kommt aber nicht gegen die Eindimensionalität ihrer Rolle an. Somit bleibt der gesamte Druck an Harrison Ford hängen, der seit Schatten der Wahrheit (2000) auf einen Box-Office-Hit wartet. Ford ist mit der Kultfigur des Indiana Jones unzertrennlich verbunden und der größte Garant des grandiosen Erfolgs des Franchises. Und Ford ist es auch, der „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ mit seiner Ausstrahlung und seinem knochigen Charme am Laufen hält. Die Gesten sitzen, die Selbstironie ist da, nur Ford ist eben sichtlich gealtert und langsamer geworden. Seine 65 Lenze sind dem grauen Actionstar deutlich anzumerken. Trotz bester Absichten wirkt Indy einfach nicht mehr so taufrisch wie zu seinen besten Zeiten. Für seine aufgefrischte Liaison mit Karen Allen gilt das gleiche.
Inhaltlich mussten Spielberg und seine Gefährten neue Wege gehen. Sie verankern die recht wirre Story mitten im Kalten Krieg, in der Ära der Kommunistenverfolgung durch Senator Joseph McCarthy. Die Republic-Serials der Dreißigerjahre, deren Geist die ersten drei Filme atmeten, sind vergessen und durch eine Post-Weltkriegsstimmung ersetzt, die zusätzlich von der Welle billiger Sci-Fi-B-Movies der Fünfziger beseelt ist. Die vielen Spielberg-typischen paranormalen Elemente, um es einmal vorsichtig zu formulieren, werden sicherlich nicht jedermanns Geschmack treffen, zumal ihnen übermäßig viel Platz eingeräumt wird.
Äußerst interessant ist ein Blick auf die Spezialeffekte und die Action des Films. Spielberg legt großen Wert darauf zu betonen, einen altmodischen Abenteuerfilm inszeniert zu haben. Lobenswerterweise verzichtet der Regisseur auf den derzeit in Hollywood-Großproduktionen gnadenlos praktizierten Gigantismus und lässt stattdessen lieber Indys Bullenpeitsche und klassische Verfolgungsjagden sprechen. Auf CGI-Aufnahmen kann Spielberg dennoch nicht verzichten, diese wirken teilweise auch noch erstaunlich mittelmäßig, was ganz besonders bei der rasenden Dschungelverfolungsjagd inklusive Fechtduell zwischen Blanchett und LaBeouf auffällt oder wenn sich letzterer Tarzan-like von Liane zu Liane hechtet. Überhaupt muss „Indy 4“ nach starkem Beginn Federn lassen, Spielbergs anfangs unverkennbare Handschrift wird stets undeutlicher. Im Mittelteil schleichen sich Längen ein, immer wieder tapsen die Protagonisten durch dunkle (Studio-)Gemäuer auf der Suche nach Artefakten. Das wasserreiche Finale fällt dann ebenfalls zwiespältig und relativ beliebig aus. Optischer Höhepunkt ist neben der frühen Lagerhaus-Sequenz eine Atomexplosion im ersten Viertel, die Indy in einem Kühlschrank versteckt übersteht (ganz nebenbei der größte Witz des Films).
Fazit: Rein für sich betrachtet ist „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ ein passabler, launiger Abenteuerfilm, der über zwei Stunden gewissen Spaß verbreitet. Getragen von einem charismatischen Harrison Ford geht dem vierten „Indy“-Teil aber zu früh die Puste aus. Die Spannung hält sich in überschaubaren Grenzen, wozu auch die größtenteils farblose Nebendarstellerriege ihren Teil beiträgt. Dass Sci-Fi-Fan Spielberg im Finale dick aufträgt, schmeckt sicher auch nicht jedem. Die unvergleichliche Atmosphäre und die Magie, welche die ersten Filme mit ganz unterschiedlichen qualitativen Schwerpunkten zu Meisterwerken machten, kommen in der Wiederbelebung zu selten auf. Diesen ungleichen Kampf gegen die Geister der Vergangenheit konnten Spielberg und Co. nur verlieren. Der Ton stimmt zwar generell, aber bei den Zwischentönen hat sich Spielberg teils vergriffen. Gemessen an den wahnwitzigen Erwartungen, die von den Machern durch strengste Geheimhaltung zusätzlich geschürt wurden, ist „Indy 4“ somit wie befürchtet eine Enttäuschung.