„Ten“ zeigt in zehn Episoden eine Frau mittleren Alters, die in ihrem Auto durch Teheran fährt. Auf den Fahrten wird sie von verschiedenen Personen begleitet und im Zentrum der Geschichten stehen Gespräche, die über die schwierige Situation der Frau in der iranischen Gesellschaft reflektieren. Regisseur Abbas Kiarostami reduziert seine sonst so metaphernreiche Erzählweise („Der Geschmack der Kirsche", 1997) auf wenige Einstellungen, welche die sprechende Person im Auto fixieren und zwingt den Zuschauer mit dieser extremen Einfachheit und Radikalität zur Fokussion des Gesagten.
Die erste Fahrt - welche zugleich die Zehnte ist - zeigt die Fahrerin mit ihrem zehnjährigen Sohn. Der Kleine wirft seiner Mutter die Scheidung von seinem Vater vor und will ihr vorschreiben, wie eine Frau sich in die Gesellschaft einfügen soll. Ganz der gängigen öffentlichen Meinung im Iran entsprechend, fordert er seine Mutter zu Unterwürfigkeit auf. Sofort erscheint die Fahrerin in einem anderen Licht, Scheidung im Iran - sicherlich keine leichte Entscheidung für eine Frau. Der Sohn schreitet fort mit seinen patriarchalen Machosprüchen und seine Mutter, die Fahrerin, hat kaum eine Chance argumentativ von dem Jungen wahrgenommen zu werden.
Schon erschienen Zahlen und die neunte Episode beginnt: Diesmal fährt die Fahrerin ihre Schwester nach Hause und die Diskussion dreht sich um Kindererziehung. In Acht nimmt die Fahrerin eine unbekannte alte Frau vom Straßenrand mit und fährt sie - über Religion sprechend - zum Gebet in ein Mausoleum. Sieben präsentiert ein noch immer tabuisiertes Thema im Iran: die Prostitution. Im nächtlichen Teheran spricht die Fahrerin mit einer Prostituierten über Sexualität, Frauen, Männer und den Handel damit. Besonders hier wird die verlogene Doppelmoral und die sexistische Unterdrückung der fundamentalistischen islamischen Gesellschaft deutlich. Sechs schließt daran an und zeigt eine junge Frau als Beifahrerin, die kurz vor der Verlobung stehend, fürchtet von ihrem Freund verlassen zu werden. In Fünf begegnen wird dem Sohn wieder. Vier zeigt eine verlassene Frau und ihre schwierige Situation. Drei thematisiert wieder die Eigenschaften einer vorbildlichen iranischen Ehefrau und es ist nochmals der Sohn, der sie artikuliert. Zwei ist eine erneute Begegnung mit der jungen Frau, die nun wirklich von ihrem Freund verlassen wurde und sich den Kopf hat kahl scheren lassen. Hier ist Kiarostami eine eindrucksvolle Szene gelungen: Die Frau nimmt den Schleier vom Kopf und ihr kahler Schädel ist Protest und Schmerz zugleich gegen eine Gesellschaft, die Frauen kaum Raum lässt für Autonomie. Die letzte Episode ist wirkt wie ein Verweis auf die erste. Auf den Beifahrersitz sehen wir den Sohn selbstzufrieden über die Rolle der Frau schwadronierend - während seine Mutter nur lächelt - weise und traurig.
„Ten“ ist ein interessanter Genremix, der Elemente des Road Movies, des Dokumentarfilms, der Installation und der Fiktion mischt. Eigentlich ist das kein Film, der eine Handlung inszeniert - jedoch gerade durch das Auslassen einer expliziten Handlung wird die Enge des Autos, die zum einen Privatheit in der iranischen Gesellschaft - also einen geschützten Raum symbolisiert, aber zum anderen auch das Gefängnis der Frauen im fundamentalistischen Islam ist, zu einem Handlungsstrang, der alle Episoden miteinander verbindet. Formal in sich geschlossen, ist „Ten“ eine Momentaufnahme, die keinen Ausblick noch Lösungen für die thematisierten Probleme anbietet, aber um so deutlicher vor Augen führt, dass weniger erzählen immer mehr ist.