Animationsfilme scheinen eine aussterbende Gattung zu sein. Fox und DreamWorks, die sich einst fest vorgenommen hatten, dem mächtigen Disney-Imperium mit eigenen Zeichentrick-Produktionen das Fürchten zu lehren, haben ihre jeweiligen Abteilungen schon geschlossen. Disney selbst hat nun offiziell verlauten lassen, dass der 45. abendfüllende, handgezeichnete Film unter dem Titel „Die Kühe sind los“ der letzte seiner Art aus dem traditionsreichen Hause sein wird. Zeichenbrett, Bleistift und Farbtopf haben dem anscheinend zeitgemäßeren Computeranimationen zu weichen. Um so erstaunlicher, dass der Franzose Sylvain Chomet für seinen ganz und gar unkonventionellen, sonderbaren Film „Das große Rennen von Belleville“ überhaupt Financiers auftreiben konnte. Doch die Risikobereitschaft sollte belohnt werden. Die bizarre Bilderwelt wurde zum Überrauschungserfolg des Cannes-Festivals. Der Film wusste mit seinem ihm eigenen Charme die amerikanischen Kritiker zu betören und kann sich zudem mit zwei Oscarnominierungen rühmen.
Champion ist ein aufgeweckter kleiner Junge, der als Waisenkind von seiner Großmutter Souza großgezogen wird. Nichts macht das Kind glücklicher als das Geschenk eines Fahrrads. Sofort beginnt Champion mit einem harten Training. Liebevoll, aber ehrgeizig unterstützt Madame Souza ihren Enkel, der mittlerweile herangewachsen ist, als er sich dem Ziel seiner Träume nähert. Als Radrennfahrer will er an dem berühmtesten Rennen der Welt teilnehmen: der Tour de France. Tatsächlich startet er, muss aber bald feststellen, dass ihm die anderen Fahrer weit überlegen sind. Als er erschöpft aufgibt und in den Wagen für die Verletzten steigt, bemerkt er, dass er soeben entführt wurde. Madame Souza macht sich zusammen mit dem treuen Hund Bruno nach Belleville auf, um Champion zu befreien.
Sylvain Chomet macht in seinem Film alles anders und trotzdem oder gerade deshalb fast alles richtig. Seine Protagonistin und ihre Gehilfinnen fallen schon lange nicht mehr in die werberelevante Zielgruppe, er verzichtet fast vollständig auf Dialoge und geht sowohl mit seinem merkwürdig anmutenden aber trotzdem überzeugenden Animationsstil als auch mit seinen völlig überzeichneten Charakteren neue Wege. Auch die swingende Jazzmusik weiß mitzureißen. Um so bedauerlicher, dass die Story auf konventionellen Pfaden bleibt. Die eher antriebsschwache Geschichte ist somit auf die mannigfachen innovativen und skurrilen Ideen angewiesen. Ohne sie würde die nostalgische Hommage an den „französischen Chaplin“ Jacques Tati nicht funktionieren. So kann ein Ober nur als Bediensteter in Erscheinung treten, wenn er ohne Rückgrat agiert, Mafiahandlanger treten in ihrer sprichwörtlichen „Schrankform“ auf und gleichen sich wie ein Haar dem anderen. Körperhaltung, Mimik und Gestik sind konform, so dass ihre Auswechselbarkeit überdeutlich wird. Anders sieht das bei den Drahtziehern der Syndikate aus, die alle kleinwüchsig sind und über äußerst charismatische Gesichtszüge verfügen, umgeben von ihren Untergebenen aber schnell unsichtbar und somit unangreifbar werden. Surreal muten die überdimensionale Stadt Belleville, eine Karikatur New Yorks, der Dampfer der die alte- mit der neuen Welt verbindet, und die Radfahrer, allen voran Champion, an, die nur aus durchtrainierten Beinen zu bestehen scheinen.
Amerika, für den Regisseur wohl das Land der unbegrenzten Fettleibigkeit, wird nur von übergewichtigen Menschen bevölkert, auch die Freiheitsstatue hätte eine Diät nötig, wird sich aber wohl der Anziehungskraft des Hamburgers in ihrer Hand nicht entziehen können und selbst die Oscars haben einige Pfunde zu viel. Aber auch die französischen Essensgewohnheiten werden gekonnt auf die Schippe genommen. Kommen bei den Triplettes, drei exzentrischen Music-Hall Stars der 30er Jahre, doch nur Froschgerichte in allen Variationen auf den Tisch. Der aufmerksame Zuschauer findet in der detailreichen Welt zuhauf interessante Kleinigkeiten und Anspielungen, so lässt sich zum Beispiel das Disney-Emblem in einer Toilettenschüssel ausfindig machen.
Kritikpunkt bleibt die Geschichte, die nicht besonders viel zu bieten hat und die am Ende des Films stehende obligatorische Verfolgungsjagd, die einfach überflüssig ist und in der Inszenierung wie ein Fremdkörper anmutet. Stattdessen wäre eine Interaktion der Figuren untereinander zu diesem Zeitpunkt der Geschichte wünschenswert gewesen. „Das große Rennen von Belleville“ weiß durch Slapstick, unkonventionelle Charaktere und interessante, irrwitzige Einfälle zu überzeugen. Liebhaber des skurrilen, zynischen Humors und des Karikaturwesens werden hier bestens unterhalten.