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    Bad Lieutenant
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Bad Lieutenant
    Von Jan Hamm

    Was hat Abel Ferrara geflucht, als er Wind von Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen bekam. Dessen Regisseur Werner Herzog betonte zwar, keineswegs ein Remake von Ferraras "Bad Lieutenant" aufzulegen - doch ginge es nach dem italoamerikanischen Wüterich, würde sein vermeintlicher Rivale alleine durch die Anmaßung qua Filmtitel in der Hölle schmoren. Dabei könnte er sich eigentlich gelassen zurücklehnen und das wiedererwachte Interesse an seinem Schuld-und-Sühne-Drama genießen. Denn an dessen Qualität bestehen keine Zweifel - selbst Regiepate Martin Scorsese zählt "Bad Lieutenant" zu einem der besten Autorenfilme der Neunziger. Und Herzogs Version? Die stellt mit ihrem schwarzhumorig-wertfreien Gestus ohnehin mehr eine Antithese dar, als dass es der Münchener auf Ferraras Lorbeeren abgesehen hätte. Gemein haben beide Filme bloß den für die Titel-Doppelung verantwortlichen Produzenten Edward Pressman und den korrupten Alltagshabitus ihres Junkie-Protagonisten. "Bad Lieutenant" von 1992 ist ein katholischer Berserkergang, ein verzweifeltes Umsichschlagen auf der Suche nach Erlösung. Mit Harvey Keitel findet Ferraras Großstadt-Parabel nicht nur ein eindringliches Gesicht, sondern vor allem einen Körper, auf dem sich die Hochspannung zwischen spirituellem Streben und sündigem Fleisch abzeichnet.

    Berufsethos geht anders: Bei seiner täglichen Jagd nach Sex, Drogen und einer Glückssträhne in dubiosen Baseball-Wetten kennt er kein Pardon, seine Arbeit aber tangiert den abgehalfterten New Yorker-Cop (Harvey Keitel, Das Piano, From Dusk Till Dawn) kaum noch. Von seinen Kollegen oder gar der Familie hat er sich längst entfremdet. Doch als der fiese Lieutenant im Vergewaltigungsfall einer jungen Nonne (Frankie Thorn, Amok - He Was A Quiet Man) investigiert, regt sich ein in den Tiefen seiner müden Seele vergrabener Kern religiöser Sehnsucht. Erst hält die Sprachlosigkeit des traumatisierten Opfers die Ermittlung auf, dann steht der Cop plötzlich vor einem Mysterium: Die Nonne vergibt ihren Peinigern. Auf deren Festnahme stehen allerdings 50.000 Dollar Belohnung - und die hat der nach jedem Baseball-Match höher bei der Glücksspielmafia verschuldete Pechvogel bitter nötig, will er seinen Hals einmal mehr aus der Schlinge winden. In seiner dunkelsten Stunde sinkt er um Hilfe flehend vor dem Altar nieder...

    "I'm no fucking asshole. I'm a fucking cop!"

    Wer oder was der "Bad Lieutenant", diese stets an der Grenze zum Kollaps balancierende Täter/Opfer-Chimäre, auch sein mag, einen Namen und damit eine Aussicht auf eine integre Identität spendiert Ferrara ihm nicht. Wenn er zwei führerscheinlose Mädchen kraft seines polizeilichen Amtes zur Imitation sexueller Techniken nötigt, um dazu auf offener Straße zu onanieren, verschmelzen fucking asshole und fucking cop zur gleichermaßen abstoßenden wie bemitleidenswerten Mensch-Monströsität. Nicht nur in der quasi-finalen Kirchensequenz, sondern auch in diesen frei von Voyeurismus inszenierten Großstadt-Einstellungen sind sie präsent: Kruzifixe, als Ringe oder an Halsketten. Dank der omnipräsenten Symbolik hat Ferrara es nicht mehr nötig, seinem Protagonisten auserzählende Dialoge anzureichen. Die visuelle Konzeption legt den Problemkosmos des mit seiner katholischen Seite ringenden "Bad Lieutenant" auch ohne Worte offen.

    "No one can kill me. I am blessed. I'm a fucking catholic."

    Mit subtiler Figurenzeichnung lädt Ferrara den Film religiös auf. Aus der Spielsucht des Protagonisten spricht nicht etwa ein entgleister Traum vom großen Glück, sondern eine komplizierte Technik, katholische Ängste und destruktiven Lebenswandel in Einklang zu zwingen. Mit der Überschreibung seines Schicksals an eine höhere Macht - Gottes Wege sind unergründlich und so auch die Baseball-Liga - betreibt der "Bad Lieutenant" ein perfides Outsourcing seiner Schuld. Wenigstens in dieser Illusion ist er nicht selber haftbar für das Elend, das er täglich erlebt. In der Aufklärung der Vergewaltigung sieht er seine Chance, einen Kampf im Einklang mit allem aufzunehmen, was im moralischen Nebel des Molochs New York noch rechtschaffen scheint. Doch als die Nonne den minderjährigen Tätern vergibt, reisst sie in ihm einen neuen Schlund auf. Wer hat das Recht, den Menschen zu vergeben? Wer, sie zu richten? Bemerkenswert ambivalent: Ferrara lässt offen, ob auch die Nonne sich bloß in eine Illusion, ein klerikales Güte-Phantasma, flüchtet - oder ob aus ihr wahrhaft christlicher Geist spricht.

    "Vampires are lucky. They can feed on others. We gotta eat away at ourselves."

    Religion als Zuflucht bleibt so verlockend wie unsicher - in diesem Sinne entfaltet sich das Herzstück des Films, eine Begegnung zwischen dem "Bad Lieutenant" und Christus (Paul Hipp) selbst. Vier Jahre zuvor war Harvey Keitel unter Scorseses Regie in Die letzte Versuchung Christi als ein Judas aufgetreten, der die Autonomie seines Schicksals zurückfordert, während Jesus (Willem Dafoe) an seiner spirituellen Verunsicherung zugrunde geht. In "Bad Lieutenant" wechselt Keitel die Rolle. Was er über seine Darstellung unter konstanter Drogenzufuhr bebender Glieder als Leitmotiv andeutet, explodiert in der zentralen Kirchensequenz förmlich: Die nackte Angst des sündhaften Körpers, der mit einem Mal das ganze Ausmaß seiner Verlorenheit begreift. Keitel spielt nicht mehr, er enthemmt sich. Zwischen zornigem Gebrüll und winselnder Unterwerfung trägt er die existenzialistische Dimension von "Bad Lieutenant" vor. Mit Nicolas Cages charismatisch-wirrem "Bad Lieutenant" von 2010 hat das nichts zu tun - ein Grund mehr für Ferrara, das Kriegsbeil zu begraben. Denn mit so unterschiedlich gewichteten Themen und Stimmungen ist der Fall eindeutig: Die beiden Lieutenants können problemlos koexistieren.

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