Peter Hedges hat sich als Drehbuchautor für „Gilbert Grape“ und „About A Boy“ einen Namen gemacht. Mit der No-Budget-Tragikomödie „Pieces Of April“ gelang ihm ein beachtliches Regie-Debüt, das durch starke Darsteller und viel Authentizität glänzt. Bedingt durch das minimale Budget von 300.000 Dollar weist Hedges’ emotionale Freakshow technisch einige Mängel auf, die aber vom kruden Charme der Produktion größtenteils aufgefangen werden.
April Burns (Katie Holmes) ist eine ziemliche Katastrophe. Sie haust in New York in einem Loch von Wohnung gemeinsam mit ihrem neuen Freund Bobby (Derek Luke). Ihre Drogenkarriere hat sie hinter sich gelassen, sogar einige Jobs gehabt und Bobby scheint es wirklich ernst mit ihr zu meinen. April ist also wieder auf dem Weg der Besserung. Das will ihre Familie in der dörflichen Provinz allerdings nicht glauben. Dennoch haben sie sich zu einem Besuch an Thanksgiving angesagt: der rücksichtsvolle Vater Jim (Oliver Platt), der als einziger noch an seine Tochter glaubt; die schwer krebskranke Mutter Joy (Patricia Clarkson); die Geschwister Timmy (John Gallagher Jr.) und Beth (Alison Pill) und die senile Großmutter Dottie (Alice Drummond), die extra aus dem Altersheim gezerrt wird. Auf der langen Fahrt nach New York nervt die äußerst labile Joy ihre Gefolgschaft mit ihrer Launigkeit. Dennoch sind alle besorgt um sie. Mustertochter Beth würde am liebsten gleich wieder umkehren, weil sie davon ausgeht, dass April die Familie erneut enttäuschen wird. Währenddessen kämpft April in ihrer Wohnung mit ganz anderen Problemen. Einen Truthahn hat sie noch nie zubereitet und dann versagt auch noch der Ofen seinen Dienst. Sie sucht Hilfe in der Nachbarschaft und findet sie bei Evette (Lillias White) und Eugene (Isiah Whitlock Jr.), die April helfen, das Chaos in Bahnen zu lenken...
Der letzte Donnerstag im November ist in den USA der wichtigste Tag für die Familie. Zu Thanksgiving kommt in Amerika traditionell der Truthahn auf den Tisch. Diesen Aufhänger nutzt Regisseur und Drehbuchautor Peter Hedges für sein Leinwand-Debüt „Pieces Of April“, um die Betrachtung einer amerikanischen Familie auf Touren zu bringen. Der Film glänzt durch eine geschickt konstruierte Struktur, an der sich die Handlung dramaturgisch bis zum großen Finale steigert. An der einen Front kämpft die chaotische April um das Gelingen des Festtagsbratens, wobei sie alle möglichen Hindernisse überwinden muss und gezwungen ist, sich ernsthaft mit ihren Nachbarn auseinander zu setzen. Ohne Hilfe kann sie es nicht schaffen. Ihr Freund Bobby (solide gespielt von Derek Luke) muss sich in der Zeit um einige Sachen kümmern. Dabei laufen ihm am Ende die Geister der Vergangenheit unliebsam über den Weg. Der Rest der Familie Burns befindet sich in der Anfahrt auf die sich abzeichnende familiäre Katastrophe. Neben dem Mitgefühl und der Sorge um die schwer kranke Joy Burns prägen allerlei Gehässigkeiten in verschiedenen Variationen die Reise.
Einen lupenreinen Sympathieträger präsentiert „Pieces Of April“ dabei bewusst nicht. Am ehesten kommt Oliver Platt („Sag´ kein Wort“, „Dr. Dolittle“) diese Funktion zu. Als sanft- und gutmütiger Vater Burns offenbart Platt schauspielerisches Potenzial, das er sonst in dieser Form selten hat aufblitzen lassen, da er zumeist als zynischer Sidekick („Ein unmoralisches Angebot“, „Einsame Entscheidung“) besetzt wird. Mit zunehmender Leibesfülle haben sich scheinbar auch seine Qualitäten als Schauspieler gesteigert. Oder er brauchte einfach die richtige Rolle. Das ist wohl auch der Grund, warum dieser No-Budget-Film überhaupt mit einer derartig guten Besetzung aufwarten kann. „Dawson´s Creek“-Sternchen Katie Holmes („Nicht auflegen“, „Wonder Boys“, „The Gift“) wollte mit „Pieces Of April“ ihren Freischwimmer von Hollywood machen. Das gelingt der zierlichen Schönheit auch. Mit einem gewissen Mut zur Verunstaltung spielt sie den chaotischen Punk April bravourös, ohne auf eventuelle Imageschäden zu achten. Das Ergebnis wird ihr eher nützen, denn Holmes zeigt, dass sie auch spielen kann und nicht nur fantastisch aussieht.
Sogar eine nicht unverdiente Oscar- und Golden-Globe-Nominierung heimste Patricia Clarkson ein. Nach alter „spiel-überzeugend-eine-Kranke-und-die-Gunst-der-Academy-ist-dir-sicher“-Tradition legt sie ihre Rolle an. Dabei ist es nicht einfach, Sympathie für sie zu entwickeln. Von ihrer Krebskrankheit gezeichnet, ist sie verbittert, zynisch, teilweise gar durchtrieben böse. Sie wirft ihrer verstoßenen Tochter April allerlei Gehässigkeiten an den Kopf, ist aber im Endeffekt doch um eine Versöhnung bemüht. Die restliche Nebendarsteller-Crew weiß ebenfalls zu gefallen. Den skurrilsten Part nimmt dabei Sean Hayes als Aprils sonderbarer Nachbarn Wayne ein.
Obwohl es sich bei „Pieces Of April“ um eine Tragikomödie handelt, überwiegt im Kern das Drama. Es gibt dennoch einiges zu lachen und zu schmunzeln. Was den Film ausmacht, ist die Präzision, mit der Hedges Authentizität erzeugt. Der Film schafft es, menschlich zu berühren. Eine Eigenschaft, die die wenigsten Werke für sich verbuchen können. Hier wirkt nichts künstlich oder gewollt, auch wenn es manchmal schmerzhaft ist. Da nur mit einem lächerlich geringen Budget gedreht wurde, muss der Zuschauer bei der technischen Umsetzung klare Abstriche in Kauf nehmen. Die wackelige digitale Handkamera von Tami Reiker hätte ein wenig mehr Halt an einigen Stellen sicher gut getan. Die Leinwandbilder weisen zumeist eine matschige Unschärfe auf, die das Drehen mit diesem Material mit sich bringt. Warum die Szenen oft katastrophal ausgeleuchtet sind, ist eine andere Sache. Das trübt das Vergnügen an „Pieces Of April“, macht es aber nicht zunichte. Ein wenig kurios ist dann auch der Schluss. Der Zuschauer könnte den Eindruck gewinnen, dass Hedges am Ende das Geld ausging. Wie auch immer. Das Finale als Fotocollage passt ins künstlerische Konzept und wirkt nicht störend – ob gewollt oder nicht.
„Pieces Of April“ ist sympathisches, gutes Independent-Kino, das mit den Verzügen dieses Genres glänzen, aber auch dessen Nachteile nicht verbergen kann. Doch in der Summe überwiegt deutlich das Positive, sodass sich Peter Hedges in Zukunft sicherlich an größeren Budgets ausprobieren darf. Seine Reifeprüfung dafür hat er jedenfalls überzeugend abgeliefert.