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    Der menschliche Makel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der menschliche Makel
    Von Jürgen Armbruster

    Beginnen wir diese Film-Rezension auf eine für „Filmstarts“ atypische Art und Weise. Man stelle sich folgende Situation vor: Sie sitzen im Kino. Auf der Leinwand beobachten Sie einen Film über das tragische Leben eines Mannes. Ihnen ist bewusst, dass der Film nicht ohne Schwächen ist. Trotzdem ist der Film höchst anspruchsvoll und insbesondere die Leistung der Darsteller überzeugt Sie voll und ganz. Doch die ganze Situation hat einen Haken. Der Film läuft während einer Sneak-Preview, also einer Überraschungsvorstellung. In den letzten Wochen wurden während ähnlicher Vorstellungen Filme wie „Freaky Friday“, „Sin Eater“, „Kops“ oder „Ein (un)möglicher Härtefall“ gespielt. Leider verhält sich das Publikum dementsprechend. Es ist dem Film schlicht und einfach nicht gewachsen. Permanent wird durch unqualifizierte Einwürfe für Unruhe im Saal gesorgt. Verblödet das deutsche Kinopublikum? Warum werden Filme der anspruchsvolleren Sorte nicht mehr akzeptiert? Und vor allem: Warum verlässt man den Saal nicht einfach und ruiniert statt dessen auch denjenigen die Laune, die den Film wirklich sehen wollen?

    Wenden wir uns nun dem eigentlichen Film zu. Der 71-jährige Coleman Silk (Anthony Hopkins) ist einer der angesehendsten Literaturprofessoren des Landes. Einst war er der erste jüdische Dekan an einem amerikanischen College und führte dieses gegen den Widerstand vieler aus der Mittelmäßigkeit zu einem der renommiertesten Lehranstalten des Landes. Seine fachliche Kompetenz ist über jeden Zweifel erhaben. Was viele allerdings nicht wissen ist, dass er afroamerikanischer Abstammung ist und lediglich mit einer ungewöhnlich hellen Hautfarbe geboren wurde. Umso verwunderlicher ist es, dass ausgerechnet er kurz vor seiner Pensionierung den Vorwurf des Diskriminierung über sich ergehen lassen muss. Dabei waren es lediglich zwei Worte, die den Stein des Anstoßes ins Rollen brachten. Zwei seiner neuen Studenten, die er nach dem mittlerweile über zwei Monate andauerndem Semester noch nicht ein einziges Mal gesehen hatte, bezeichnete er lapidar als „Dunkle Gestalten“, was im ursprünglichen Sinn nichts anderes als Geister bedeutet. Unglücklicher Weise besitzen beide Studenten eine schwarze Hautfarbe, was zu einer Klage gegen Coleman Silk führt. Dieser lässt sich diesen völlig aus der Luft gegriffenen Vorwurf nicht bieten und kündigt.

    Doch für Coleman ist das Thema damit noch lange nicht vom Tisch. Er knüpft Kontakt zu Nathan Zuckermann (Gary Sinise). Nathan – ein durchaus talentierter Schriftsteller – fristet seitdem Prostatakrebs an ihm diagnostiziert wurde und seine Ehe aufgrund dessen in die Brüche ging ein Eremitendasein. Coleman bittet ihn, seine Lebensgeschichte nieder zu schreiben, doch er lehnt dankend ab. Zuckermann ist der Überzeugung, dass nur Coleman selbst seine Geschichte auf eine ihm würdige Art und Weise zu Papier bringen kann. Trotzdem – oder gerade wegen dieser Offenheit - entwickelt sich zwischen den beiden Außenseitern eine innige Männerfreundschaft.

    Eigentlich hätte Regisseur Robert Benton mit dem bisher Geschilderten bereits genug Material für zwei abendfüllende Filme, doch Philip Roth’ Romanvorlage ist noch wesentlich komplexer. Coleman beginnt mit der blutjungen Faunia Farley (Nicole Kidman) eine Affäre, die rein auf die Befriedigung der sexuellen Libido abzielt. Coleman ist sich bewusst, dass es sich hier nicht um seine einzige, seine große Liebe handelt, aber es ist definitiv seine letzte. Doch auch diese Beziehung wird von den allmählich heraufziehenden Schatten der Vergangenheit bedroht – namentlich von Faunias Ex-Mann Lester (Ed Harris). Für Coleman enthüllt sich Stück für Stück ein dunkles Geheimnis, das Faunia verzweifelt versucht hinter sich zu lassen.

    Schon bei reiner Betrachtung der Inhaltsangabe lässt sich der große, aber auch einzig wirkliche Kritikpunkt mehr als deutlich ausmachen. Die von Philip Roth geschaffene Romanvorlage erweist sich als zu komplex, als sie ohne Abstriche für die Leinwand adaptieren zu können. Die Geschichte von Coleman Silk ist ohne Zweifel von faszinierender Natur, doch die zahlreichen ineinander verflochtenen Handlungsstränge treten nicht zu jeder Zeit als harmonische Einheit auf. Das Gesehene wirkt einfach nicht immer rund. Als dramaturgischer Fehler erweist sich im Nachhinein die Tatsache, dass Robert Benton sein Werk mit dem tragischen Tod von Coleman und Faunia beginnt. So ist einem permanent das unausweichliche Ende bewusst, was dem Spannungsbogen zumindest im vorliegenden Fall nicht zu Gute kommt.

    Doch das war es dann auch schon mit der Kritik. Akzeptiert man diese Schwächen wird man mit einer wunderbaren Erzählung belohnt, die sich angenehm vom schnöden Einheitsbrei abhebt. Dass sich schauspielerisch an „Der menschliche Makel“ wenig auszusetzen lässt, überrascht wenig. Anthony Hopkins und Nicole Kidman bestechen einmal mehr in ihren gewohnt starken, aber auch ungewohnt gewagten Rollen. Ed Harris scheint die Rolle des gebrochenen, verwirrten Mannes auf den Leib geschrieben zu sein. Das Dreigestirn überzeugt erwarteter Maßen auf ganzer Linie. Dass der ansonsten eher polarisierende Gary Sinise im Vergleich nicht merkbar abfällt, ist dafür umso erwähnenswerter.

    Wer ist die Zielgruppe von „Der menschliche Makel“? In erster Linie Freunde anspruchsvoller Dramen wie „The Hours“ oder „Der stille Amerikaner“. Sicherlich wird nicht ganz die Klasse der genannten Filme erreicht, was jedoch nicht bedeutet, dass Bentons Werk nicht sehenswert ist. Eines sollte man sich jedoch klar machen: „Der menschliche Makel“ ist schwere Kost und kein Film für zwischendurch. Wer sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden kann, ist hier definitiv falsch, denn ansonsten ist eingangs erwähntes Szenario zum Leidwesen aller unausweichlich.

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