Beim Namen Brian Helgeland bekommen Filmfreunde allerorts große Augen, schließlich war er als Autor maßgeblich an einem der größten Filme der 90er Jahre beteiligt. Es ist an dieser Stelle selbstverständlich vom grandiosen Korruptions-Epos „L.A. Confidential“ die Rede. Betrachtet man sich Helgelands Biographie etwas genauer und wirft insbesondere einen Blick auf jene Projekte, in denen er nicht nur als Autor mit den kreativen Zulieferdiensten beauftragt, sondern direkt als Regisseur für den Schaffungsprozess verantwortlich war, stellt man fest, dass er mit seinen zwei bisherigen Filmen „Payback“ und „Ritter aus Leidenschaft“ zwar nichts wirklich Überragendes zustande brachte, aber trotzdem für gute Unterhaltung sorgte. Beide Filme konnten an den Kinokassen grundsolide Einspielergebnisse erzielen. Helgelands Exkurs hinter die Kamera blieb bisher folglich von einem Flop verschont. Zumindest bisher. Doch was er nun mit „Sin Eater“ abliefert, kommt dem leider schon ziemlich nahe.
Alex Bernier (Heath Ledger) ist einer der letzten Priester des Karolinger-Ordens, einem Orden, der sich vor allem dadurch einen Namen gemacht hat, dass er versucht, die dunkle, mysteriöse Seite der Religion zu ergründen. Diese Tätigkeit bringt ihm mehr und mehr an den Rand seines eigenen Glaubens und stellt ihn dadurch auf eine harte Probe. Dass mit Mara Sinclair (Shannyn Sossamon) auch noch eine alte Freundin, bei der er einst erfolgreich einen Exorzismus durchführte, ihre Finger mit im Spiel hat und er zwischen Zölibat und Ausleben der in ihm aufkeimenden Triebe zu kämpfen hat, versteht sich für eine Hollywood-Produktion, die etwas auf sich hält, von selbst.
Doch dies nur am Rande. Die eigentliche Handlung des Films dreht sich um den mysteriösen Tod von Alex’ ehemaligem, von der Diözese aus der Kirchengemeinschaft verbannten, Lehrmeister. Die Umstände unter denen er den Tod fand, sind mehr als nur rätselhaft. Gemeinsam mit seinem Weggefährten Thomas Garrett (Mark Addy) – ebenfalls ein Karolinger - beginnt Alex, Nachforschungen anzustellen. Die beiden stoßen dabei auf allerlei Skurrilitäten. Der schräge Archivar in den Gewölben der Kirchenbibliothek, die sadistische Sekte in den Katakomben des Vatikans... Helgeland lässt eigentlich kein Klischee aus, dass das Genre zu bieten hat. Eine zugegebenermaßen Recht erfrischende Idee kommt mit der Figur des „Sin Eater“ (verkörpert von Benno Fürmann) hinzu, ein in den alten Schriften erwähntes Geschöpf, dass über die Macht verfügen soll, die Sünden im sprichwörtlichen Sinne zu verschlingen und die Menschen so vor ihrem Tod erlösen kann. Gibt es diesen „Sin Eater“ – in der deutschen Synchronisation unpassenderweise Sündenträger genannt - wirklich, und falls ja, welche Ziele verfolgt er? Alex wird immer tiefer in den Sog eines jahrhundertealten Geheimnisses gezogen.
Nachdem man die knapp über 100 Minuten von „Sin Eater“ über sich hat ergehen lassen, möchte man Brian Helgeland fast schon an die Gurgel und ihn themengerecht ans Kreuz nageln. Das eigentlich ärgerliche ist im vorliegenden Fall nicht das Fehlen jedweden Potenzials, sondern das fast schon dilettantische Vergeuden eben jenes. In der Geschichte verbergen sich selbst für dieses recht ausgelutschte Genre frische Ideen, die es durchaus Wert sind, den einen oder anderen Gedanken an sie zu verschwenden. Ruiniert wird dies jedoch durch das viel zu behäbige Fortschreiten der Handlung und die all zu oberflächlichen Charaktere. Die Beweggründe für Alex' jeweiliges Verhalten – auf handlungsspezifische Einzelheiten soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden – bleiben über die gesamte Spielzeit mal mehr, mal weniger, verborgen.
Oberflächlichkeit. Dies ist das Geschwür, an dem „Sin Eater“ von der ersten bis zu letzten Minute krankt. Helgeland führt Charaktere ein, die keinenerlei die Handlung voranbringenden Sinn haben. Welche Aufgabe um alles in der Welt sollen bitteschön die zwei kleinen Kinder erfüllen und warum tauchen sie in der Schlusssequenz wieder auf? Wurden sie einfach mit in die Geschichte eingebaut, weil es eben schick ist, kleine Kinder in einem Horror-Film mit einem verstörten Blick in die Kamera schauen zu lassen? Es schein fast so. Warum sich ein unbestritten begnadeter Autor wie Helgeland auf dieses Niveau herablässt, ist ebenso schleierhaft wie viele andere Aspekte der unausgegorenen Handlung.
Was Hauptdarsteller und Teenie-Schwarm Heath Ledger in „Sin Eater“ zeigt, ist ebenfalls alles andere als das Gelbe vom Ei. Nimmt man ihm den an seinem Glauben zweifelnden, zwischen Integrität und Wissensdurst schwankenden Priester ab? Die erschütternde Antwort kann nicht deutlicher als ein klares „zu keinem Zeitpunkt“ ausfallen. Dass Deutschlandexport Benno Fürmann („Nackt") in seiner ersten Hollywood-Produktion neben dem Australier nicht großartig abfällt, ist daher nicht weiter verwunderlich. Warnen sollte man zudem vor der deutschen Synchronisation. Die Sprecher scheinen sich von den lustlos agierenden Darstellern haben anstecken lassen. Wer die Möglichkeit hat und den Film unbedingt sehen möchte, sollte dies im englischen Original machen. Das erspart eine Menge grauer Haare.
Aus technischer Sicht ist „Sin Eater“ ein zweischneidiges Schwert. Den zumindest phasenweise wunderbaren Außenaufnahmen des Vatikans steht das teils billig wirkende Setdesign und die vollkommen deplazierten Tricksequenzen im Musikvideostil gegenüber. Zweischneidig ist ohnehin alles in „Sin Eater“. Dank der erfrischenden Idee hätte der Film ein durchaus lohnenswertes Stück Zelluloid werden können, doch es scheint fast so, als hätte sich Helgeland richtiggehend Mühe gegeben, die guten Ansätze im Keim zu ersticken. Der Regisseur Helgeland sollte einsehen, dass der Autor Helgeland ihm in Sachen Talent um Längen voraus ist und die entsprechenden Konsequenzen aus diesem Sachverhalt ziehen. Schon in Kürze hat der Autor mit Clint Eastwoods „Mystic River“ die Chance zur Rehabilitation. Dass er diese nutzen wird und die „Sin Eater“-Schmach zumindest teilweise ausmerzen wird, muss nicht groß angezweifelt werden. Schuster bleib bei deinen Leisten!