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    Todesmelodie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Todesmelodie
    Von Ulrich Behrens

    Dort, wo Revolution ist, ist auch Konfusion.“ (Mallory zu Miranda)

    Revolution in Mexiko. Zwischen 1910 und 1929 sterben mehr als eine Million Mexikaner während der Kämpfe zwischen den Vertretern des alten Regimes um Präsident Porfirio Díaz, der 1911 zurücktreten musste, und den Oppositionellen sowie während der Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern einer liberalen Mittelschicht um Carranza und Obregón, denen der reichen Grundbesitzer um Francisco Madero und denen der Bauern und Landarbeiter um Emiliano Zapata und Francisco Villa. Die beiden letzteren gelten heute als Volkshelden in Mexiko, werden verehrt, und etliche Parteien berufen sich noch heute auf die beiden.

    Den zweiten Film seiner Trilogie, der ursprünglich „C'era una volta la rivoluzione“ (Es war einmal die Revolution) hieß und der wieder einmal auf Druck aus den USA dort umbenannt werden musste in „Duck, You Sucker“ bzw. „A Fistful of Dynamite“, siedelte Leone, der zunächst Peter Bogdanovich als Regisseur verpflichten wollte, in dieser Zeit der mexikanischen Revolution an, genauer im Jahre 1913, als Villa und Zapata, aber auch andere Kräfte sich daran machten, den an die Macht gelangten, konservativen General Huerta zu stürzen. „Giú la testa“, wie der Film dann offiziell heißen musste, also „Kopf runter“ (was Mallory mehrmals zu Miranda sagt, in der deutschen Synchronisation aber leider meist falsch übersetzt wurde), folgt in der Trilogie Leones „C'era una volta il West“ (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968). „C'era una volta in America“ (Es war einmal in Amerika, 1984) bildete den Abschluss der Trilogie.

    „Die Revolution ist kein Festessen, kein literarisches Fest, keine Stickerei. Die Revolution ist ein Akt der Gewalt.“ (Mao Tse Tung: Untersuchungsbericht über die Bauernbewegung in Hunan 1927)

    Da läuft ein scheinbar armer Bauer mitten durch die mexikanische Wüste, ein hilfloser, dummer Bauer, scheint es, ein Tölpel, ein armer Schlucker, der sich krampfhaft an seinem Hut festhält, als er auf eine Nobelkutsche trifft und darum bittet, mitgenommen zu werden. Der Besitzer der von etlichen Pferden gezogenen Karosse will sich einen Spaß machen und lässt den Tölpel eintreten. Juan Miranda (Rod Steiger) betritt die nobel ausgestattete Karosse und trifft dort auf eine feine Gesellschaft, die sich zugleich über den barfüßigen Bauern lustig macht. Ob er denn wisse, wie viele Kinder er habe und von wie vielen Frauen. Solche Leute lebten ja wie die Tiere – und so weiter. Miranda sitzt stumm am vorderen Ende der Karosse und hört sich das mit leicht betrübter Miene an.

    Wie eine Westernkomödie beginnt „Todesmelodie“, fast wie einer von Leones Nobody-Filmen, wie ein Scherz. Die reichen, arroganten Insassen der Karosse aber irren sich gründlich über den ärmlich gekleideten, vermeintlichen Tölpel. Denn kurze Zeit später wird das Gefährt überfallen. Sechs Gewehrläufe richten sich aus allen vier Himmelsrichtungen auf die edlen Leute, zwei davon vorbei an Mirandas Kopf. Es sind seine sechs Kinder, und Miranda ist nicht nur ihr Vater, sondern auch ihr Boss. Von wegen Bauerntölpel! Miranda hat mit seinen Söhnen eine Räuberbande gebildet. Und die Herrschaften in der Karosse werden nicht nur ihres Eigentums entledigt, sondern auch ihrer Kleider und darob auf einem weniger noblen Karren in den Schweinemist katapultiert. Nur die besonders arrogante Adelita (Maria Monti) erfährt, was es heißt, sich über Miranda lustig zu machen. Ihr zeigt Miranda, wie man Kinder macht.

    Ein anderer plant anderes. John Mallory (James Coburn), Ire, aber nicht nur einfach Ire, sondern Mitglied der IRA, ist aus seiner Heimat geflohen, nachdem er zwei britische Soldaten ins Jenseits befördert hat und wegen Mordes gesucht wird. Enttäuscht von der Revolution rast er auf einem Motorrad durch Mexiko, am ganzen Leib gespickt mit allerlei Arten von Sprengstoff. Mallory kennt sich mit dem Zeug aus. Sein Pech: Er trifft auf Miranda und seine Kinderbande. Der Straßenräuber schießt ihm in den Reifen, neugierig, wer das ist, wie er reagiert und was er ihm nützen könnte. Aber Mallory will mit dem Gauner eigentlich nichts zu tun haben. Miranda hingegen glaubt, Mallory für seine weiteren Pläne nutzbar machen zu können. Denn er plant einen Überfall auf die Bank in Mesa Verde. Und so ein Sprengstoffexperte ... Der allerdings will seine eigenen Wege gehen. Miranda macht ihm einen Strich durch die Rechnung und tötet durch eine Trick mittels Mallorys Sprengstoff die Leute, die der sture Ire treffen wollte.

    In Mesa Verde trifft man sich wieder. Und Mallory, der auf Dr. Villega (Romolo Valli) gestoßen ist, einen Anhänger von Pancho Villa, wie man den Revolutionär und Straßenräuber hier nennt, hat bereits eigene Pläne geschmiedet. Die örtlichen Revolutionäre planen, die Stadt in die Hände zu bekommen. Mehrere Angriffsgruppen werden gebildet, und der Ire und Miranda sollen die schwer bewachte Bank erobern. Gesagt, getan. Allerdings befindet sich in der Bank kein einziger Peso. Das Geld wurde längst nach Mexiko City geschafft. Die Kellerräume sind lediglich voll von politischen Gefangenen, die die beiden ungleichen Partner befreien – und schon werden Mallory und Miranda zu Helden der Revolution.

    Als der regierungstreue Colonel Ruiz (Domingo Antoine), mit Hunderten von Soldaten, Panzergeschützen usw. den Revolutionären daraufhin den Garaus machen will, sind es der schlaue Ire und der etwas tumbe Straßenbandit, die die Truppen des skrupellosen Ruiz dezimieren. Miranda allerdings muss dafür teuer bezahlen: Seine sechs Kinder, die sich mit anderen in einer Höhle versteckt hatten, wurden von Regierungstruppen ermordet. Und die Regierungstruppen morden weiter, während sich Miranda aus Verzweiflung allein aufmacht, sich zu rächen. Immer enger werden Miranda und Mallory in den Strudel der Revolution gerissen ...

    „Und ich?“ (Miranda in der Schlussszene)

    Fast unmerklich, aber ohne Nachsicht zieht Leone die Handlung aus dem komödiantischen, manchmal fast possenartigen Treiben zwischen Mallory und Miranda und aus dem Genre des Westerns, wie der Film anfangs noch erscheint, in eine im typischen epischen Stil Leones inszenierte, sich zuspitzende Tragödie um Gewalt, Verrat, Verlust, Enttäuschung und Freundschaft. Der Film, der bei der Kritik oft auf wenig Zustimmung traf, gehört zu den eher unbekannten Filmen des italienischen Regisseurs und fügt sich doch in die „C’era una ...“-Trilogie nahtlos ein. Während „Spiel mir das Lied vom Tod“ noch ein Western bzw. ein bissiger Abgesang auf das Genre war, spielt „Todesmelodie“ schon in der Zeit des Übergangs in die Moderne des 20. Jahrhunderts, die Zeit der Kriege und Revolutionen neuerer Art, bis dann „Es war einmal in Amerika“, ein Film, der „nur“ noch die (gefärbte) Erinnerung bemüht, fast schon als endgültige Absage an die Moderne erscheinen wird.

    Das Spiel zwischen Banditen, vermeintlichen oder tatsächlichen an die Macht wollenden Revolutionären, an der Macht hängenden Regierungstreuen und so weiter entpuppt sich als eine rauschende Tirade der Gewalt. Leone kennt in der Darstellung dieser Gewaltorgien keine Zurückhaltung. Er zeigt, wie Soldaten vermeintliche oder tatsächliche Regimegegner en masse erschießen, wie Mallory und Miranda mittels Sprengstoff und Maschinengewehren Regierungstruppen erschießen und schließlich in die Luft jagen etc. Dazu hört man Ennio Morricones Musik, die als eine Mischung aus trivialer Unterhaltungsmusik und Anklängen aus klassischer Musik (Mozart ist da zu hören) den Exzessen eine mehr als zynische Untermalung verpassen. Nicht nur das: Die handelnden Personen empfinden diese Gewalt als etwas völlig Normales, lachen, scherzen. Der von der irischen Revolution enttäuschte Mallory und der nicht zum Zuge, sprich: Bankraub, kommende Miranda verlieren sich im Strudel der Ereignisse, können den Kämpfen der Zeit nicht entkommen – und beginnen zu träumen: von einem räuberischen Leben in den USA, wenn erst einmal die Gelegenheit gekommen ist. Doch sie kommt nicht.

    Die Revolution ist kein Zuckerschlecken. Und die Mythologie auch nicht. Erst jetzt (?) hat man begonnen, den letzten großen Diktator des 20. Jahrhunderts zu entzaubern: Mao Tse Tung (vgl. „Der Spiegel“ 40/2005) soll mehr Menschen auf dem Gewissen haben als Stalin und Hitler. Die Revolution frisst zuerst ihre Kinder, dann ihre Protagonisten – die letzteren meist erst, wenn sie schon lange tot sind. Leone entzaubert, zunächst fast unmerklich, aber ohne Umschweife die Verlorenheit der in den Strudel der Revolution gerissenen Menschen am Beispiel eines Revoluzzers und eines Straßenräubers, deren Träume, Ziele usw. gnadenlos destruiert werden. Wenn Miranda am Schluss nach Mallorys Tod hilflos fragt: „Und ich?“, dann drückt das dieses Verlustgefühl ebenso aus wie das Verlustgefühl ganzer Generationen, deren Individualität in den Grabenkämpfen des 20. Jahrhunderts verschwunden, zerstört, vernichtet worden ist. Zugleich aber verbirgt sich hier Leones kritischer und begründeter Zynismus gegenüber der Moderne, die weit weniger modern erscheint, als sie sich zu gebärden versucht.

    Ist Miranda am Schluss schlauer als zu Beginn des Films? Kaum. Er steht am Anfang, sozusagen am Anfang einer Moderne, mit der er letztlich nichts anfangen kann, die ihn benutzt, die er nicht durchschaut hat. Als 1929 offiziell das Ende der mexikanischen Revolution erklärt wurde, waren nicht nur Zapata und Villa ermordet und gleichzeitig zu Helden stilisiert worden. Mehr als eine Million Mexikaner hatten ihr Leben gelassen. Die Überlebenden hatten weder das versprochene Land, noch die Erkenntnis gewonnen, dass sich etwas gelohnt hatte – es sei denn, sie bildeten es sich ein. Selbst die Erinnerungen, die Leone an einigen Stellen des Films aus Mallorys IRA-Vergangenheit in Rückblenden aufscheinen lässt, ändern nichts an der Perspektive bzw. Perspektivlosigkeit der Geschichte. Selbst der Verrat Dr. Villegas, der von Regierungstruppen gezwungen wurde, Leute zu verraten, erscheint in Leones Darstellung und Mallorys Verständnis als so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche.

    Am Schluss sind Mallory und Miranda so etwas wie Freunde – auf eine besondere Weise aufeinander angewiesen, miteinander verkettet. Es nutzt nichts. Der eine stirbt, der andere steht sozusagen wieder am Beginn seines Lebens.

    Und so ist die Revolution eben auch Teil der Moderne und ihrer Grausamkeiten – kein Zuckerschlecken.

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