Die Rückschau auf ein Ereignis aus mehreren Perspektiven und damit in unterschiedlichen Versionen, diese von Akira Kurosawas „Rashomon“ so meisterhaft begründete Erzähltechnik, zieht sich wie ein roter Faden durch die Filmgeschichte. Jetzt greift der britische Regisseur Nick Hamm das Prinzip für seinen äußerst düsteren und beklemmenden Psychoschocker „The Hole“ auf, der in keiner Weise mit der unendlichen Welle amerikanischer Teenie-Slasher gleichzusetzen ist.
Bereits die Eingangssequenz fällt finsterer und unheimlicher aus als es die meisten „Scream“-Epigonen je könnten: Ein Mädchen taumelt am helllichten Tag allein, verdreckt und blutend auf einen viktorianischen Prachtbau zu. Wie buntes Konfetti sind auf den Hecken vor dem Gebäude unzählige farbige Zettel verteilt. Erst beim Heranzoomen erkennt der Betrachter, dass es sich um Suchplakate nach vier vermissten Schülern handelt. Und es ist nicht der letzte Schock dieses atmosphärisch absolut stimmigen Intros. Erst nach und nach eröffnen sich die Zusammenhänge, sowohl in der (narrativen) Vergangenheit als auch der Film-Gegenwart. Da ist eine spontane Party vier verwöhnter Internats-Kids auf entsetzliche Weise schiefgegangen: Ihr Happening in einem verlassenen Luftschutzbunker, mit dem sich die vier angehenden High-Society-Yuppies – Kategorie hormongesteuert, hochnäsig und intrigant - vor einem langweiligen Schulausflug drücken wollten, wird zum Höllentrip, als sich die Bunkerluke auf einmal nicht mehr öffnen lässt.
Ähnlich Jean-Paul Sartres „Geschlossener Gesellschaft“ oder filmischen Vorbildern wie „Cube“ und „Das Experiment“ brechen sich in der klaustrophobischen Enge der Gefangenschaft unterdrückte Ängste, Aggressionen, Begierden und pure Panik brutal und unverhüllt Bahn. Völlig sinnlos dreht sich das Karussell aus Zermürbung und gegenseitiger Erniedrigung – „homo homini lupus“. Nacheinander proben alle den natürlich vergeblichen Ausbruch aus diesem Gefängnis, indem sie schreien oder an die Tür schlagen, nur um sich und die anderen weiter in den Wahnsinn zu treiben.
Während bei Sartre diese Hölle in einen Zyklus der ewigen Wiederholung mündet, schraubt sich hier die Spirale psychotischer Angst und Trostlosigkeit in ein blutiges Finale. Was tatsächlich im Bunker geschah, erfährt der Zuschauer Bruchstück für Bruchstück aus den Erzählungen der völlig traumatisierten Überlebenden, und das in zwei Versionen. In der ersten geht das grausige Geschehen noch halbwegs glimpflich aus, was vor allem visuell durch Kameraführung und Ausleuchtung der Szenerie untermalt wird. In Version Nummer zwei steigert sich die Gefangenschaft der vier völlig entkräfteten, verhungernden und dehydrierten Jugendlichen zur zombiesken Alptraum-Groteske voller Schock- und Ekelszenen. Den größten Teil der Spannung bezieht „The Hole“ daraus, dem Zuschauer auch bei den Sequenzen in der Gegenwart viele entscheidende Handlungsfragmente vorzuenthalten. Wie das grausige Ergebnis der zweiwöchigen Bunkerhaft aussieht, offenbart der Film sehr bald (ohne es zu zeigen!), aber nicht, was genau dazu geführt hat. War es einer der vier Eingesperrten, der willentlich und wissentlich die Bunkertür blockierte? Oder wollte sich ein enttäuschter Mitschüler mit dem Einkerkern seiner Altersgenossen sein persönliches, unterirdisches Big-Brother-Szenario kreieren?
Der Zuschauer ahnt, was ihn und die Protagonisten auf der Leinwand unausweichlich erwartet, aber nicht wann und wie. Regisseur Nick Hamm bedient sich dabei ebenso freizügig wie clever im Repertoire der Teenie-Slasher, um damit altgewohnte und liebgewonnene Gewohnheiten häufiger Horrorfilmkonsumenten in die Irre zu führen. Denn immer dort, wo man den maskierten Killer erwartet, lauern stattdessen die Drehbuchautoren Ben Cort und Caroline Ip mit einem viel schlimmeren Grauen, als ein messerschwingender Wahnsinniger zu erzeugen vermag. Im Gegensatz zur Romanvorlage „After The Hole“, welche letztendlich nicht klärt, wie was im Bunker vor sich gegangen ist, präsentiert Nick Hamms Film am Schluss eine Auflösung, die leider ein wenig zu reißerisch und konstruiert wirkt, um sich harmonisch ins atmosphärische Gesamtgefüge einzureihen. Zu lange springt die Handlung aus den düsteren Bunker-Rückblenden in die tageshelle Gegenwart, die trotz einer kurzen Rückkehr an den Ort des eigentlichen Geschehens jede Atmosphäre der Klaustrophobie vermissen lassen. Ein kleines Manko, was jedoch in Summe den Gesamteindruck des Films nicht schmälert. Eines Films, der zum einen durch seine markante Inszenierung der Klaustrophobie an den Urängsten des Zuschauers rührt und zum anderen Jean-Paul Sartres deprimierendes existenzialistisches Resümee seiner „Geschlossenen Gesellschaft“ wiederholt und bestätigt: „Der Folterknecht ist jeder von uns für die anderen.“