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    Demolition Man
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Demolition Man
    Von Martin Soyka

    Die Karriere von Sylvester Stallone lässt sich in mehrere Abschnitte unterteilen. In der frühen Phase hatte er beachtliche kreative Erfolge, wo er mit Rocky und Rambo zwei Archetypen des modernen Actionkinos verkörperte. Nach einer Zeit, in der er die erworbenen Meriten in Mainstream-Actionern gnadenlos verkaufte, wurde der Mime allmählich vom Alter eingeholt und versuchte sich Anfang der 90er Jahre erfolglos in Komödien („Oscar“, „Stop! Oder meine Mami schießt“). Bevor er mit seiner Rocky Balboa/John Rambo-Wiederbelebung nach langer Durststrecke ein zweites Comeback feierte, musste sich Stallone auch schon 1993 mit dem krachenden Doppel Cliffhanger und „Demolition Man“ an die Actionfront zurückkämpfen. Und „Demolition Man“ ist neben dem zwei Jahre später entstandenen Judge Dredd ein Beispiel für comichaft überspitzte Stallone-Figuren. Dass die ganze Angelegenheit nicht aus dem Ruder läuft, ist weniger dem Titelhelden geschuldet als vielmehr dem Augenzwinkern, mit dem Regisseur Marco Brambilla seine Mär um einen in die Zukunft versprengten Polizisten erzählt.

    1996 (gemeint ist die nahe Zukunft): Polizist John Spartan (Sylvester Stallone) ist kein Mann für subtile Ermittlungen, sondern ein Kerl fürs Grobe. Um die Schurken dingfest zu machen, wird schon mal der eine oder andere Wolkenkratzer in Schutt und Asche gelegt. Als Simon Phoenix (Wesley Snipes), durchgeknallter Superschurke und lärmender Soziopath, sich mit einer ganzen Ladung voller Geiseln in einem Fabrikkomplex verschanzt, greift Spartan als Ein-Mann-Armee ein und stellt den Bösewicht. Dem gelingt allerdings noch die Sprengung des Gebäudes, mit der er die Geiseln in den Tod reißt. Neben Phoenix wird dafür auch sein Verfolger Spartan strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen: Die beiden müssen im weiterentwickelten Strafvollzug für viele Jahre in den Kälteschlaf. Erst 2032 gelingt dem für eine Anhörung aufgetauten Phoenix die Flucht aus dem Knast. Nach einem gewaltigen Erdbeben hat sich die Welt inzwischen von Grund auf gewandelt, Gewalttätigkeit ist in der Gesellschaft unter Führung des Obergurus Dr. Cocteau (Nigel Hawthorne, Richard III, „Amistad“) etwas völlig Fremdes geworden. Für Phoenix ist das neue San Angeles somit das reinste Schlaraffenland, ungehindert kann er eine Schneise der Gewalt schlagen. Bis ein alter Haudegen der Polizei sich an den Mann erinnert, der Phoenix seinerzeit zur Strecke gebracht hatte: den Demolition Man…

    So abgefahren die Inhaltsangabe auch klingen mag, die meisten der in „Demolition Man“ aufgegriffenen Motive sind alles andere als neu. So findet sich die Idee des Kälteschlafs in zahlreichen Filmen, von Woody Allens „Der Schläfer“ bis hin zu Alien und Konsorten. In „Demolition Man“ dient sie als eine Art Zeitmaschine mit dem einzigen Zweck, den totalen Culture-Clash des Protagonisten zu ermöglichen. Der rauchende und Hamburger mampfende Schlagetot fühlt sich in der neuen, gesunden und friedlichen Welt total fehl am Platz. Was hat er dort verloren, wo man statt „Guten Tag“ zu sagen, lieber „Sanfte Grüße“ austauscht und sich aus Angst vor Bakterien noch nicht einmal die Hände schüttelt? Zum Glück ist ihm die reizende Lenina Huxley (Sandra Bullock) zur Seite gestellt. Sie ist das genaue Gegenteil von Spartan, wie sich schon an den Nachnamen ablesen lässt. Während Spartan ein kriegerisches Relikt aus einer längst vergangenen Zeit ist, lebt Lenina in einer schönen neuen Welt, die nicht von ungefähr an Aldous Huxleys großen Roman angelehnt ist.

    Als großer Fan der Achtziger zeigt Lenina Verständnis für den Neandertaler Spartan, der nicht weiß, wie man die drei Muscheln benutzt und stattdessen nach Toilettenpapier verlangt. Sogar ein Poster eines Filmklassikers (Lethal Weapon 3!) aus der nostalgisch verklärten Zeit hängt im Büro der jungen Frau. Dass Huxley und ihr Kollege Garcia (Benjamin Bratt, Traffic, Miss Undercover) im Auto alte Werbejingles mitgrölen und Lenina zur Einstimmung auf den (virtuellen) Geschlechtsverkehr die „Love Boat“-Musik auflegt, gibt dem ungläubig staunenden Spartan den Rest. Diese komischen Momente ziehen sich durch den ganzen Film, der damit zu einer gut konsumierbaren Melange aus Action und Humor wird.

    Phoenix ist nicht von ungefähr aus dem Gefängnis geflohen, sondern wurde befreit, um gegen einen weiteren Gesetzlosen anzutreten: Edgar Friendly (Denis Leary, Die Thomas Crown Affäre), ein Hooligan, der eine ganze Reihe von Aussteigern um sich geschart hat und mit ihnen im Untergrund lebt. Friendly ist ein Anarchist, der auf Bier und Burger steht. In Learys Darstellung wirkt er hemdsärmelig und ein wenig durchgeknallt, aber dennoch äußerst sympathisch. Schade, dass dem Schauspieler die große Karriere verwehrt geblieben ist, auch in „Demolition Man“ muss er deutlich hinter Wesley Snipes zurückstehen, was die Zeit auf der Leinwand angeht. Dessen Laufbahn war mit New Jack City und „Passagier 57“ gerade so richtig angelaufen. Blond gefärbt chargiert der Mime in „Demolition Man“ drauf los und lässt uns lustvoll seinen Bizeps bewundern. Dabei übertreibt er es ein wenig, zuweilen ist sein Simon Phoenix eine ziemliche Nervensäge. Doch Brambilla gibt dem späteren Blade-Darsteller glücklicherweise auch genug Gelegenheit, seine beeindruckenden Martial-Arts-Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Gerüchteweise sollen seine Bewegungen zu schnell für die Kamera gewesen sein, so dass sie nachträglich künstlich verlangsamt werden mussten.

    Sandra Bullock ist die angenehme Entdeckung des Films. Sie wurde mit „Demolition Man“ richtig bekannt; buchstäblich in Fahrt kam ihre Karriere kurz darauf in Speed. Die Schauspielerin ist aber auch hier schon mehr als nur Augenfutter, sie teilt in der gleichberechtigten Zukunft ordentlich aus und sorgt zudem für ein paar Lacher, indem sie Achtziger-Jahre-Oneliner immer wieder verdreht. Eine so starke Partnerin hatte Stallone in einem Action-Film nie wieder, dass Bullock für die „Goldene Himbeere“ nominiert wurde, ist nicht wirklich nachvollziehbar.

    Der Film ist gespickt mit Anspielungen und Frotzeleien auf und gegen das allgemeine Hier und Jetzt, was ihm Würze verleiht. Besonders hübsch ist die Idee, dass es nur noch eine Art von Restaurants gibt, denn alle anderen starben in den „Franchise-Kriegen“. Und so wird Spartan vom absoluten Herrscher Cocteau ins Pizza Hut (!) eingeladen. Welche Ehre! (Wer sich übrigens über das wundert, was Stallone da serviert wird: im Original wurde Spartan ins Taco Bell eingeladen. Da diese Imbiss-Kette in Europa aber kaum bekannt ist, wurde der Film für den hiesigen Markt digital nachbehandelt, was damals noch sehr selten und teuer war). Genau diese Art von Witz hebt „Demolition Man“ über den Durchschnitt der üblichen Stallone-Vehikel. Und wer genau hinhört und -sieht, findet immer wieder neue Anspielungen: Die Hauptpersonen in Huxleys Roman „Brave New World“ heißen ebenfalls John und Lenina, der Gefängnisdirektor hat denselben Namen wie derjenige in Papillon und natürlich wird mit Benjamin Bratts Charakter Alfredo Garcia nicht zufällig auf einen Sam-Peckinpah-Film verwiesen. Tiefgründig ist dieses Spiel mit Versatzstücken und Anspielungen nicht unbedingt, aber unterhaltsam allemal. Oder um es anders zu sagen: Es ist der beste Comic-Film, der nicht auf einem Comic beruht.

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