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    Sasquatch Sunset
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Sasquatch Sunset

    Wir sind Bigfoot

    Von Janick Nolting

    Manchmal verkleiden sich Menschen, um sich selbst ein wenig besser zu begreifen. In „Sasquatch Sunset” gehen sie sogar so weit, dass von ihren realen äußeren Merkmalen kaum noch etwas zu erkennen ist. Riley Keough, Jesse Eisenberg, Nathan Zellner und Christophe Zajac-Denek verstecken sich in diesem Film unter einer gewaltigen Schicht aus falscher Haut und zerzaustem Zottelfell. In Gestalt einer Bigfoot-Familie begeben sie sich in freie Wildbahn, um die Zivilisation versuchsweise hinter sich zu lassen und das Menschliche und Kreatürliche in alle Richtungen zu verschieben.

    Die Autoren und Regisseure Nathan und David Zellner, etwa bekannt für die Western-Komödie „Damsel” oder ihre Mitarbeit an der grandiosen Serie „The Curse”, knöpfen sich in ihrem neuen Film einen der großen nordamerikanischen Mythen vor. Seit Jahrhunderten taugt Bigfoot zu Rätseln und Gruselgeschichten. Man fürchtet und tröstet sich mit der Gewissheit, dass dort draußen in der ungezähmten Wildnis noch immer ein Geheimnis, eine mysteriöse, kaum zu fassende Spezies lauern soll. Zugleich imaginiert man sich etwas, dem der Mensch hinterherjagen kann. Ein ominöses, wahrscheinlich illusorisches Ziel als Aufgabe und Sinnstiftung.

    Von den Schauspieler*innen ist in ihren Bigfoot-Kostümen kaum noch was zu erkennen. Sasquatch Sunset
    Von den Schauspieler*innen ist in ihren Bigfoot-Kostümen kaum noch was zu erkennen.

    „Sasquatch Sunset” jedenfalls ist bestrebt darin, jene Wildnis mit großer Sensation und betörender Atmosphäre aufzuladen. In seinen ersten Bildern ist die Sonne noch nicht aufgegangen, wabern dunkle Wolken und Nebelschleier umher. Dichte Wälder füllen die Leinwand, bis auf einer dunstigen Lichtung die vier Bigfoots daher gestapft kommen. Die Zellners studieren geduldig ihre Lebensweise und Eigenheiten. Doch der Alltag der Waldbewohner gerät im Laufe der Jahreszeiten, die dem Film seine Kapitelstruktur verleihen, aus den Fugen. Plötzlich bemerken sie, dass noch etwas anderes außer ihnen und den Tieren dort draußen lebt…

    Erkennen im Tierischen

    Dieser Film verzichtet komplett auf Dialoge. Das heißt: Es wird zwar gesprochen, aber nur in animalischen Lauten. Sprache vermittelt sich über Gebrüll, Wimmern, Atmen, aber auch über die Gestik der vollkostümierten Darsteller*innen. „Sasquatch Sunset” geht es allerdings weniger darum, eine gänzlich andere Form von Lebewesen und Lebensweisen im Kino vorzuführen und zu imaginieren. Stattdessen dreht sich das ganze skurrile Maskentheater in seinem Humor andauernd darum, Wiedererkennungswerte zu kreieren. Szenen, in denen das Publikum allzu menschliche Züge im Verhalten der primatenähnlichen Bigfoots gespiegelt sehen soll, die soziale Tabus in unserem Alltag sonst zum Teil verwehren. Man könnte auch sagen: Das Schlüpfen ins Bigfoot-Kostüm gibt der eigenen Prüderie für begrenzte Zeit einen Freifahrtschein.

    Was utopisch und grenzüberschreitend in der Kommunikation klingt, ist nämlich über weite Strecken vor allem eine überdrehte, kindische Fäkal-Komödie. Ihre Gedanken und Ideen über menschliches und tierisches Operieren halten sich, nett ausgedrückt, im begrenzten Rahmen. Denn während sich die erste Filmhälfte zunächst dem Fremdartigen in seinem observierenden Stil öffnet, kippt der Rest in einen lächerlich ernsthaften, melodramatischen Tonfall. Er erzählt von der Entzweiung jener Lebewesen, die über die Kinoerfahrung vielleicht gerade erst zusammengefunden haben.

    Pipi-Kacka-Spektakel in Amerikas Wäldern

    „Sasquatch Sunset” interessiert sich für reine Instinkte und Triebhaftigkeit, wenn er die Menschen zu den fremden Wesen in ein Verhältnis setzt. Das ist ein Werk, in dem man sich mal wieder ungehemmt im Archaischen und Unkultivierten wohlfühlen soll. In der Naturkulisse hat man noch ein anderes Verhältnis zu sich selbst. Da wird ungehemmt kopuliert, sich mit Körpergerüchen befasst und inbrünstig gefressen. Fische quetscht man blutig über Mündern aus. Körpersäfte fließen literweise. Dass der Film auf praktische Effekte setzt, lässt die Angelegenheit noch greifbarer erscheinen. Anregend oder wenigstens witzig ist an einer solch abgedroschenen Matschepampe aber wenig. Schranken im Nachdenken über Körper und Leib werden in der ermüdenden Wiederholung solcher Gags wohl ebenso wenig eingerissen, wenn es humoristisch so auf der Stelle tritt.

    Eine Qualität sollte jedoch nicht verschwiegen werden: Es gibt durchaus einen interessanten Wendepunkt in „Sasquatch Sunset”. Nämlich dann, wenn die Bigfoots plötzlich an eine Straße gelangen. Angst macht sich breit. Eine Linie als Wunde in der Landschaft. Wo man zuvor ohne klares Ziel durch die Natur streifte und dort lebte, wo man gerade keine Gefahr witterte, erscheint der Eingriff von außen, die gerichtete Neuordnung und Strukturierung des Raums als Schockerlebnis. Die Zellners inszenieren diese Begegnung wie die Panik der Primaten in Stanley Kubricks „2001 - Odyssee im Weltraum”. Die Ahnung einer fremden Existenz als monströse, monolithische Erscheinung. Andere Filmemacher hätten vielleicht eine kluge Erzählung an diesen Wendepunkt angeschlossen. In „Sasquatch Sunset” hingegen wird erstmal aus Furcht und Protest gepinkelt und gekackt. Geht so Umweltaktivismus im Jahr 2024?

    Vom Mythos zum Produkt

    Überhaupt erscheint die ganze Arten- und Naturschutz-Botschaft der zweiten Filmhälfte so lächerlich banal gestrickt. Was für alle verständlich sein soll, verharrt in simplen Klischees und Gegenüberstellungen. Das ist liebevoll gemeint und sowieso erstaunt, wie deutlich die Illusion über die Laufzeit des Films am Leben bleibt, wie man teilweise vom brutalen Schicksal dieser Bigfoot-Wesen ergriffen ist, obwohl alles an ihnen, inklusive einer starren Baby-Puppe, völlig künstlich erscheint.

    Wo jüngere Filme wie „Animalia” aber versuchen, derlei Diskurse über Umwelt und Lebensformen in unsicheren Ambivalenzen zu denken, gibt es für „Sasquatch Sunset” nur vorhersehbare Extreme. Mensch gegen Bigfoot, obwohl letzterer längst vermenschlicht wurde. Das raue, aber dennoch idyllische Leben in der Wildnis oder Zerstörung, Raubbau, Kommerz. Zumindest ergibt das ein spannendes Bild, wenn der Mythos in der finalen Einstellung seinem finanziell ausgeschlachteten, musealen Fantasie-Pendant begegnet…

    Fazit: Ein Film wie ein Zoobesuch, bei dem die Gäste amüsiert zusehen können, wie Tiere in sicherer Distanz hinter Glas mit Fäkalien werfen. Am Ausgang steht dann die Spendenbox für Naturschutz und das gute Gewissen.

    Wir haben „Sasquatch Sunset” im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er in der Sektion Berlinale Special gezeigt wurde.

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