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    Babygirl
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Babygirl

    Das (sehr viel) bessere "Fifty Shades Of Grey"

    Von Christoph Petersen

    Noch bevor das erste Bild erscheint, ertönt bereits ihr Stöhnen. Allerdings täuscht Romy (Nicole Kidman) den Orgasmus ihrem Theaterregisseur-Ehemann Jacob (Antonio Banderas) nur vor. Anschließend schleicht sich die ultraerfolgreiche Geschäftsfrau und dreifache Mutter in ein Nebenzimmer, um sich dort heimlich selbst zu Ende zu befriedigen – und zwar beim Schauen eines Erniedrigungs-Pornos, in dem eine Frau von ihrem Meister versohlt wird und dennoch um sein Sperma bettelt…

    Halina Reijn ist in ihrer Heimat schon seit den Neunzigern eine erfolgreiche Schauspielerin. Aber ihren großen internationalen Durchbruch feierte die Niederländerin erst 2022 mit der gehypten Slasher-Karikatur „Bodies Bodies Bodies“, ihrem zweiten Film als Drehbuchautorin und Regisseurin. Statt nach diesem Erfolg direkt einen weiteren Horror-Stoff nachzulegen, knüpft Reijn mit ihrer zweiten A24-Produktion „Babygirl“ an ihr noch in den Niederlanden realisiertes Regiedebüt „Instinct“ an: Darin spielt „Game Of Thrones“-Star Carice van Houten eine Gefängnis-Psychologin, die sich ausgerechnet von einem brutalen Serienvergewaltiger sexuell angezogen fühlt. Nun sind die Fantasien von Romy zwar weit weniger verstörend (und spätestens seit „Fifty Shades Of Grey“ sehr viel mainstreamtauglicher), aber auch in „Babygirl“ entwickelt sich ein intensives Spiel um Macht und Ohnmacht, das noch dazu mit erstaunlich viel schwarzem Humor aufwartet.

    A24
    Praktikant Samuel (Harris Dickinson) lässt all die Verlangen herausbrechen, die in Romy (Nicole Kidman) schon lange geschlummert haben.

    Auf dem Weg zur Arbeit beobachtet Romy, wie ein junger Mann einen bedrohlich kläffenden Hund, der sich von seiner überforderten Besitzerin losgerissen hat, mit einer einzelnen klaren Ansage zum Gehorchen bringt. In der Geschäftsführerin eines Robotertechnik-Unternehmens löst der Vorgang augenblicklich sexuelle Gefühle aus, die sich noch weiter auftürmen, als ihr der so bestimmt auftretende Jüngling wenig später als neuer Praktikant in ihrer Firma vorgestellt wird. Samuel (Harris Dickinson) spürt ebenfalls, wonach sich Romy wirklich sehnt. Mit für seine Position unangemessenen-befehligenden Bemerkungen tastet er ab, ob er auf der richtigen Spur ist.

    Diese Provokationen, die von der HR-Abteilung sicherlich nicht gern gesehen werden, steigern sich langsam, bis es schließlich zum ersten Treffen in einem Hotel kommt. Zwar wissen die beiden noch immer nicht, was genau eigentlich ihre jeweilige Rolle ist, doch Romy hat dennoch den besten Orgasmus ihres Lebens. Allerdings scheint dabei von Anfang an klar, dass die Sache nicht wirklich gut ausgehen kann: Romy steht nämlich nicht nur auf unterwürfigen Sex, sondern auch auf die Gefahr, dass die auf vielfältige Weise unangebrachte Affäre womöglich ihr ganzes perfektes Leben auf einen Schlag implodieren lassen könnte…

    Vom Verhandeln der Macht

    Der erste Teil der „Fifty Shades Of Grey“-Trilogie macht im Gegensatz zu den unterirdischen Fortsetzungen zwar als trashige SM-Version von „Cinderella“ durchaus Laune. Aber die Szene, in der Christian Grey seiner neuen „Liebe“ Anastasia Steele einen vielseitigen Sado-Maso-Vertrag vorlegt, gehört trotzdem zu den dümmeren Momenten des Franchise. Auch in „Babygirl“ geht es ganz zentral um das Verhandeln von (sexueller) Macht, aber das geschieht hier auf erstaunlich komplexe Weise: Romy und Samuel sind eben keine Profis, deren Rechtsabteilung bereits alle Klauseln ausgehandelt hat. Stattdessen sind die beiden mit der Situation und ihren Gefühlen zunächst völlig überfordert. Statt Romy zu dominieren, beginnt der sonst so selbstbewusste Samuel seine Forderungen beim ersten Sex-Treffen stets mit einem höflichen „Könntest du…“.

    Die Unbedarftheit, mit der die beiden an die Umsetzung ihrer sexuellen Fantasien herangehen, schlägt immer wieder auch in schwarzen Humor um: Ja, wenn die auf allen Vieren krabbelnde Nicole Kidman wie ein Kätzchen Milch aus einem Schälchen schlürft, dann darf im Saal auch (verschämt oder geradeheraus) gekichert werden. Aber dass das (übrigens peitschenfreie) SM-Romantik(?!)-Drama auch auf einer humorigen Ebene verdammt gut unterhält, ändert nichts daran, dass gerade diese zugelassenen Unsicherheiten den Film so „erwachsen“ wirken lassen. Die Geschichte des 23-jährigen Praktikanten und seiner 30 Jahre älteren Chefin ist hier eben nicht bloß ein prickelndes MILF-Szenario …

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    Romy liebt ihren Ehemann (Antonio Banderas), selbst wenn er ihre speziellen Fantasien im Bett nicht befriedigen kann.

    … sondern vor allem Ausgangspunkt für allerlei spannende Fragen: Wie weit ist es heutzutage mit der sexuellen Befreiung wirklich gediegen, selbst wenn Romy ihre lesbische Tochter Isabel (Esther McGregor) ganz selbstverständlich akzeptiert? Und auch wenn in jedem Management-Training gepredigt wird, dass Verwundbarkeit nicht länger ein Makel, sondern sogar eine Stärke sei, darf Romy deshalb tatsächlich (masochistische) Schwächen zeigen? Optisch jedenfalls nicht, wie ihr strenges Schönheitsregiment mit regelmäßigen Gesichtsstraffungen verrät. Nicole Kidman liefert dabei – wie unlängst auch schon Demi Moore in „The Substance“ – eine gnadenlos uneitle Performance, was längst nicht nur das Botox und das Milchschlürfen umfasst:

    Ja, die Idee der immer perfekten Geschäftsführerin und Dreifachmutter, die sich dann zumindest beim Sex mal fallen lassen und alle Entscheidungen von sich weisen will, mutet zu Beginn durchaus etwas küchenpsychologisch an. Aber die Oscargewinnerin (für „The Hours“) füllt ihre Rolle mit genügend Ambivalenzen, um die andauernden kleinen Machtverschiebungen zwischen ihr und Samuel (sowie später auch noch einigen weiteren Figuren) bis zum Schluss in einem ständigen Spannungsfeld zu halten. So stark haben wir den „Moulin Rouge“-Star lange nicht mehr gesehen.

    Fazit: Die sehr viel reifere (und bessere) Antwort auf „Fifty Shades Of Grey“ – spannend, sexy und erstaunlich reich an schwarzem Humor.

    Wir haben „Babygirl“ auf dem Filmfest Venedig 2024 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb seine Weltpremiere gefeiert hat.

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