Uwe Boll macht da weiter, wo er aufgehört hat
Von Lutz GranertPünktlich zur Veröffentlichung von „Rampage: President Down“ im September 2016 verkündete Uwe Boll („Postal“, „Alone In The Dark“) seinen Abschied aus der Filmbranche. Es würde sich einfach nicht mehr lohnen, weil seine preisgünstig produzierten Filme bei einer Auswertung auf dem immer stärker zusammenschrumpfenden Markt für DVDs und Blu-rays einfach keine Chance mehr auf wirtschaftlichen Erfolg hätten, begründete er seine Entscheidung. Teile des Publikums und der Filmkritik dürften aufgeatmet haben, galten die Werke des streitlustigen, zuletzt in der Partei Das Haus Deutschland (DHD) auch politisch engagierten Filmemachers doch wegen ihrer mangelhaften Qualität stets umstritten.
Vier Jahre später arbeitete er mit „Hanau“ semi-dokumentarisch den Amoklauf in der gleichnamigen hessischen Stadt auf. Dabei griff er trotz eines lobenswerten Ansatzes dann doch immer wieder auf allzu reißerisch-blutige Zutaten und simple dramaturgische Kniffe zurück. Der aus eigener Tasche finanzierte Streifen sorgte ebenso für Schlagzeilen wie die Dreharbeiten seines jüngsten Cop-Thrillers „First Shift“. So brachte Line Producer Ari Taub eine Pistolenattrappe mit ans Set, was gerade nach dem Todesfall durch eine versehentlich geladene Waffe beim Dreh des Western „Rust“ mit Alec Baldwin für Unruhe sorgte. Zu Querelen kam es zudem, als der gewerkschaftlich organisierte Teil der Crew streikte, da unterschriebene Arbeitsverträge nachverhandelt und den Tarifbestimmungen angepasst werden wollten.
Boll aber gab, wie man es von ihm auch nicht anders erwartet hätte, nicht nach – und drehte seinen Film einfach ohne die streikenden „Unruhestifter“ weiter. Insbesondere für Ton und Requisite trieb er schnell fragwürdiges Ersatzpersonal auf, wie er gewohnt unverblümt und freimütig im letzten Jahr bei einem Interview auf der „Weekend Of Hell“ erzählte. Doch die Schwächen von „First Shift“ erstrecken sich nicht nur auf einzelne Gewerke: Bolls sichtlich preisgünstige Inszenierung wirkt fahrig und der Plot arg substanzlos und sprunghaft.
Eigentlich ist Detektive Deo Russo (Gino Anthony Pesi) froh darüber, bei seinen Schichten für die Mordkommission des NYPD allein unterwegs sein. Deswegen ist er wenig begeistert, als er von seiner Vorgesetzten Lieutenant Walden (Tia Dionne Hodge) den New-York-Neuling Angela Dutton (Kristen Renton) aus dem fernen Atlanta als neue Partnerin zugeteilt bekommt. Bei der ersten Zwölfstundenschicht in Brooklyn soll er sie eigentlich nur einarbeiten und mit ihr einen Bagel essen gehen. Stattdessen wird das Duo aber direkt mit der ganzen kriminellen Bandbreite auf den gefährlichen Straßen des Big Apple konfrontiert. Dabei lernt sich auch das ungleiche Duo besser kennen – und schätzen…
Das Budget für „First Shift“ war klein – und das sieht man dem Thriller in nahezu jeder Einstellung deutlich an. Beim Setdesign wurde ordentlich gespart: Entweder wurde an Originalschauplätzen in der New Yorker Innenstadt, am/im Auto oder – wie bei der Einstiegsszene, welche in Deos Wohnung spielt – in lieblos-karg eingerichteten Innenräumen gedreht. Für eine halbwegs stimmige Atmosphäre wurden willkürlich preisgünstig gefilmte Außenaufnahmen des New Yorker Großstadttrubels ohne Schauspieler (aber gern auch mal im Zeitraffer) in den Film montiert, die sich zum Teil wiederholen.
Wenn das Ermittler-Duo bei einem Frühstücks-Stopp auf einem menschenleeren Platz am Auto lehnt oder neben einer Parkreihe hockend einen Hund knuddelt, wurde von Bolls Stamm-Kameramann Mathias Neumann („Schwerter des Königs“) von so weit unten gefilmt, dass der Eindruck eines (heimlich) improvisierten Drehs entsteht. Leider neigt Neumann bei der beweglichen Handkamera zu Gewackel, sodass schon simple Dialogszenen unruhig daherkommen. Bei der Konfrontation mit einem mit Drogen vollgepumpten Mann, der sich selbst mit einem Fleischerbeil zu verletzen droht, geht im Schnittgewitter sogar zwischenzeitlich komplett die Orientierung verloren, wer in der kleinen Nebenstraße gerade wen von wo aus bedroht. Größere Actionszenen sind in „First Shift“ mangels Budgets Mangelware – zum Glück, möchte man hinzufügen.
Eine weitere große Schwäche ist das Skript – und dafür verantwortlich zeichnet Uwe Boll selbst. Es ist offensichtlich, dass der eh nie um klare Worte verlegene Wermelskirchener dem hippen Lifestyle der jungen Generation eine klischeebeladene Breitseite verpassen wollte. Aber eine Kombucha trinkende und Yoga treibende Frau wie Angela, die auch im Einsatz regelmäßig ihre ca. 1.200 Follower mit Content versorgt, würde es im echten Polizeialltag sicherlich nicht geben. Auch der mit Streife fahrende Hund eines im Supermarkt zusammengebrochenen Mannes ist arg süßlich geraten. Beides passt so gar nicht zu der möglichst rohen, ungeschminkten Schilderung des Polizeialltags, die Boll in anderen Szenen wiederum anzustreben scheint.
Man glaubt fast, man würde in den banalen Dialogen nicht Deo, sondern Boll höchstpersönlich beim Stammtisch-Plaudern hören, wenn der desillusionierte Cop auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen beharrt oder über die gestiegenen Kriminalitätsraten schwadronieren. (Boll selbst gab sein zuvor offenbar gut laufendes Restaurant in Vancouver unter anderem wegen der vielen Drogenabhängigen und der Untätigkeit der Polizei in der Stadt auf.) Beide Hauptfiguren bleiben zudem reißbrettartig gezeichnet, auch wenn die flippig-freche Kristen Renton („Sons Of Anarchy“) erstaunlich spielfreudig aufgelegt ist und auch Gino Anthony Pesi („Shades Of Blue“) den Brummbär durchaus charmant verkörpert.
Boll selbst muss gemerkt haben, dass sein Plot ums lustlose „Abarbeiten“ mehrerer Einsätze an einem Tag und ein paar Einsprengsel zum Privatleben der beiden Cops etwas substanzlos geraten ist. Deshalb hat er ihn ohne Gespür für Timing mit merkwürdigen Subplots angefüttert. Anstatt in einer simplen Rückblende wird Angelas Bruder schon zu Beginn vollkommen kontextlos in einer rätselhaften Montage eingeführt, dann regelrecht vergessen, bis er am Ende dann doch noch kurz Erwähnung findet. Ein vermeintlich tiefer Kommentar zum Umgang mit Veteranen mit PTSD, aber der verpufft schon allein aufgrund der Amateurhaftigkeit der Inszenierung.
Für die eigentliche Story ist er aber ebenso wenig relevant wie ein Doppelmord rund um unterschlagenes Drogengeld sowie einen angepissten Gangsterboss: Deo öffnet die Tür der Wohnung, findet die zwei Leichen – Schnitt, interessiert nicht weiter. Zumindest nicht in diesem Film, denn darum geht es dann wohl erst in der fast schon „Horizon“-artig mit einem kurzen Ausblick auf kommende Attraktionen angekündigten Fortsetzung.
Fazit: Uwe Boll macht in seiner ersten US-Produktion nach mehr als sieben Jahren Pause da weiter, wo er aufgehört hat – und liefert mit „First Shift“ einmal mehr Murks ab. Die Actionszenen sind in dem sichtlich schmal budgetierten 08/15-Thriller unübersichtlich geraten. Um überhaupt auf eine abendfüllende Länge zu kommen, wurden im Sand verlaufende Subplots und jede Menge völlig beliebige Großstadtimpressionen aus New York hineingeschnitten.