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    Lost In The Stars
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Lost In The Stars

    Einer der größten Kinohits des Jahres!

    Von Kamil Moll

    Wie weit kann man noch der eigenen Erinnerung trauen, wenn einem niemand mehr glauben und selbst Fotos dem zu widersprechen scheinen, woran man sich zu erinnern meint? Seit bereits 15 Tagen sucht He Fei (Zhu Yilong) seine Frau Muzi. Auf einer pittoresken kleinen Insel, irgendwo im südwestlichen Asien, wollten die beiden ihren ersten Hochzeitstag feiern – doch während eines Festes verschwindet Muzi spurlos. He Fei hängt überall auf der Insel Bilder von Muzi aus, gibt eine Vermisstenanzeige bei der Polizeiwache auf – und plötzlich, eines Morgens, liegt da diese fremde Frau neben ihm im Bett und behauptet, mit ihm verheiratet zu sein. Doch für ihn sieht sie nicht wie Muzi aus.

    Niemand glaubt ihm. Denn die Frau auf den Bildern, die er während der Reise gemacht hat, zeigen nicht Muzi, wie He Fei sich an sie erinnert, sondern diese andere, ihm fremde Frau. Dasselbe gilt für die Aufnahmen der Sicherheitskameras von Orten, die die beiden gemeinsam besucht haben. Officer Zheng (Du Jiang) prüft die aufgegebene Anzeige… Und damit beginnt im chinesischen Mega-Blockbuster „Lost In The Stars“, der allein in seiner Heimat fast eine halbe Milliarde (!) Dollar eingespielt hat, etwas, was man wohl einen Whodunit nennen könnte – und das, obwohl nicht einmal klar ist, ob überhaupt jemand gestorben oder auch nur tatsächlich verschwunden ist…

    He Fei (Zhu Yilong) kann sich seiner eigenen Erinnerungen einfach nicht mehr sicher sein…

    Die Geschichte, die Rui Cui und Xiang Liu in ihrem Film erzählen, ist eigentlich schon einige Jahrzehnte alt: Sie basiert auf einem Erfolgs-Theaterstück namens „Die Falle“, die der Autor Robert Thomas (bekannt vor allem für die Buchvorlage zu „8 Frauen“) bereits Anfang der 1960er veröffentlichte. Seitdem wurde der Stoff immer wieder neu verfilmt und variiert, selbst Alfred Hitchcock hatte sich einstmals die Rechte für eine Adaption sichern lassen. Am bekanntesten ist die Fassung des russischen Regisseurs Alexej Korenjew, 1990 unter dem Titel „A Trap For A Lonely Man“ gedreht.

    Doch der Style-Exzess, den „Lost In The Stars“ von der ersten Minute an abfeuert, ist dennoch ganz und gar zeitgemäß: Bei Nacht glüht die Insel vor Neonfarben, der Plot badet geradezu in starken, immer wieder einfarbig überfrachteten Farbfiltern – eine fieberhafte, künstlich und unwirklich wirkende Welt, in der He Fei vielleicht gar nicht mal zu Unrecht schnell an seinem Verstand zu zweifeln beginnt. Er habe eine neurologische Erkrankung, sagt seine vermeintliche Frau vor der Polizei, die durch jahrelanges Tiefseetauchen verursacht worden sei. Und die Tabletten, die er gegen die damit verbundenen Schmerzen einnehmen müsse, würden Vergesslichkeit und Angstzustände bei ihm erzeugen, letztlich zu Gemütsschwankungen führen.

    Van Goghs legendärerer Sternenhimmel

    Und noch etwas ist ein wiederkehrender Fingerzeig auf einen möglichen Realitätsverlust: Vincent van Goghs „Sternennacht“, ein von Muzi geliebtes Gemälde, taucht überall als Motiv auf: als Buchrückenmuster im Regal, im Handy-Display, am Getränkeautomaten, in Erinnerungen an eine gemeinsam besuchte Ausstellung. Van Gogh, das macht der Film einem schnell bewusst, ist ja selbst wahnsinnig geworden – und so könnte es auch He Fei bald ergehen (wenn es nicht ohnehin schon längst passiert ist).

    So weit, so schön. Visuell hat „Lost In The Stars“ tatsächlich so einiges zu bieten, und auch die Fabulier- und Erzähllust des Films ist zunächst recht spannend und kurzweilig. Gemeinsam mit einer Anwältin, Chen Mai (Ni Ni), beginnt He Fei dem Verschwinden seiner Frau selbst auf den Grund zu gehen – und beide merken schnell, dass nicht nur He Feis Erinnerungen unzuverlässig scheinen, sondern auch sonst niemandem wirklich zu trauen ist. Dabei gemahnt der Film mit seinen gedoppelten Frauenfiguren und zweifelhaften Wirklichkeitsverschiebungen schnell und nur allzu deutlich an die offensichtlichen filmischen Vorbilder Alfred Hitchcock und dessen gelehrigsten Regie-Nachkommen Brian De Palma („Blow Out“).

    Plötzlich behauptet eine ihm fremde Frau, seine vor zwei Wochen verschwundene Ehefrau Muzi zu sein.

    Und hier erweist sich „Lost In The Stars“ leider doch als eine ziemlich leichtgewichtige und überkonstruierte Story, deren Auflösung durchaus überraschend daherkommen mag, in keiner Weise aber über die pervers-ironischen Leidenschaften und Obsessionen De Palmas verfügt, die einen solchen verzwirbelten Krimiplot erst wirklich interessant machen würden. Letztlich scheint der Film doch nicht allzu viel mehr zu sein als eine etwas zu keimfreie Stilübung in Genre-Suspense, der die beiden Regisseure hoffentlich in Zukunft noch einen aufregenderen, persönlicheren folgen lassen werden.

    Fazit: Der erfolgreichste chinesische Film des Jahres bietet jede Menge hochglänzende Bilder und überraschende Twists, aber zu den Großen des Suspense-Genres ist es für die beiden Debüt-Regisseure trotzdem noch ein weiter Weg.

     

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