Eine Gute-Laune-Hommage an das Bücherlesen (auch wenn es vor allem um Freundschaft geht)
Von Gaby SikorskiZum erfolgreichen Roman „Der Buchspazierer“ von Carsten Henn gibt es tatsächlich ein real existierendes Vorbild: einen Mann, der mit einem Rucksack durch die Stadt geht, um bestellte Bücher persönlich an die Kundschaft auszuliefern. Die Buchhandlung Backhaus in Aachen bietet diesen Service auch heute noch – dreimal pro Woche. Das Ganze begann vor vielen Jahren mit einem Mitarbeiter des Teams, einem leidenschaftlichen Büchernarren, auf den Carsten Henn aufmerksam wurde, als er sich in Aachen aufhielt. Aus der Begegnung wurde Inspiration – und aus der Inspiration schließlich ein Bestseller (» hier bei Amazon*).
Der Film zum Buch erzählt eine märchenhafte, romantische Geschichte, die auf freundliche Weise altmodisch wirkt. Das liegt auch an der Stimme der allwissenden Erzählerin, die mit leiser Ironie die Handlung kommentiert. Der Schauplatz ist „das Dorf der Lesenden“, was ein bisschen nach Fantasy klingt, und der Held ist Carl Kollhoff (Christoph Maria Herbst), ein leicht schrulliger, in Ehren ergrauter Buchhändler. Jeden Tag füllt er einen großen Rucksack mit Büchern, die er persönlich ausgewählt und liebevoll verpackt hat und direkt zu seinen Kundinnen und Kunden bringt. Eines Tages begegnet ihm Schascha (Yuna Bennett), ein aufgewecktes neunjähriges Mädchen, das ihm fortan auf Schritt und Tritt folgt. Schaschas Mutter ist gestorben, worüber sie aber nicht spricht.
Beide, der alte Mann und das kleine Mädchen, sind im Grunde einsam. Sie lieben Bücher und das Lesen, das verbindet sie. Doch für Schascha haben Bücher eine andere Bedeutung als für Carl: Schascha möchte über Bücher sich selbst und die Welt verändern. Für Carl sind sie seine Familie, wo er Halt findet und Erinnerungen, die ihm wichtig sind. Er gibt seinen Kund*innen heimlich Namen aus der Weltliteratur, mit denen er sie charakterisiert. So beliefert er Mr. Darcy, Effi Briest, Herkules und Pippi Langstrumpf. Aber er kennt sie nicht wirklich – und genau das holt er nun gemeinsam mit Schascha nach, und dabei wird er einige Überraschungen erleben.
Die Neunjährige überwindet die Grenzen zwischen der Fantasiewelt der Bücher und dem echten Leben, Schascha dringt konkret ein in die Welt der Leseratten und stellt Fragen. Sie ist neugierig, mischt sich ein, will überall ihren Senf dazugeben, und damit löst sie bei Carl etwas aus. Er hatte sich mit seinen Büchern in der Einsamkeit eingeigelt wie in einem schützenden Kokon. Aber jetzt sieht er sich dank Schascha mit einer neuen, anderen Welt konfrontiert, in der er mit den Problemen anderer umgehen muss – und letztlich auch mit seinen eigenen. Hier finden sich zwei, die sich nicht gesucht haben, und bringen über ihre Freundschaft und ihre Liebe zu Büchern die Menschen zusammen. Gemeinsam entdecken sie, dass es wichtig ist, miteinander zu sprechen, wenn man den Lauf der Welt und sich selbst verändern will. Und der alte Carl verändert sich…
Das ist eine richtig hübsche, optimistische Geschichte, die auf den ersten Blick in ihrer Aussage vielleicht etwas schlicht wirkt, aber auf den zweiten Blick mit Witz und einem Hauch pfiffiger Ironie eine liebenswürdige Atmosphäre verströmt. Dafür sorgen feine Dialoge (Drehbuch: Andi Rogenhagen) sowie vor allem Christoph Maria Herbst („Der Spitzname“) in der Hauptrolle: ein sympathischer Nerd des analogen Zeitalters, ein knorriger Außenseiter – vielleicht ein bisschen klapprig, aber geistig voll auf der Höhe. Die kleine Yuna Bennett ist als Schuscha mit viel Spielfreude dabei. Da muss Christoph Maria Herbst seinen ganzen, nicht unerheblichen Charme einsetzen, um gegen sie zu bestehen. Dafür ist er ein Held, der immer sympathischer wird.
Der viel beschäftigte Ronald Zehrfeld („Zwei zu Eins“) überzeugt als Schaschas rumplig rustikaler Vater, der seine Sensibilität erst entdecken muss, und Maren Kroymann, genannt Frau Langstrumpf und in Wahrheit eine pensionierte Deutschlehrerin, darf so richtig auf den Putz hauen. Das Interessante an diesem Film über Menschen, die Bücher lieben, ist, dass es eigentlich mehr um den Wert der Freundschaft und der Mit-Menschlichkeit im besten Sinne geht, als ums Lesen. Doch dieser Aspekt entwickelt sich relativ langsam. Zu Beginn finden sich das kleine Mädchen im praktischen Overall und der olle Zausel als Team, die beiden tauchen ein in ihre eigene Welt des Lesens und der Bücher – Fantasiebilder und Erinnerungen eingeschlossen. Da steht ein goldener Mann auf dem Marktplatz, der vielleicht ein Denkmal ist, vielleicht aber auch ein Schauspieler, der eine Statue spielt.
Die beiden leben in einer selbst gebauten Welt der Illusionen. Doch dann, als könnten sie dem richtigen Leben nicht entkommen, dringt die Realität in die Welt der beiden Buchfans ein. Denn Carl selbst und seine Kundinnen und Kunden haben Probleme, die immer konkreter werden. Was vorher vielleicht klischeehaft wirkte – die angestaubte Buchhandlung, die Namen der Kund*innen – wird durch die Wirklichkeit gebrochen. Effi Briest entpuppt sich als misshandelte Ehefrau, und die Buchhandlung verwandelt sich in eine orangefarbene bücher- und herzlose Multimedia-Hölle.
Der Film wendet sich, anders als die Romanvorlage, eindeutig auch an ein junges Publikum, dennoch gibt es keinen bildungsbürgerlichen Zeigefinger, obwohl zumindest der Hauptfigur Carl die literarische Bildung aus allen Knopflöchern tropft. Hier geht es bodenständig zu, die vielen hübschen Zitate und Anspielungen auf die Weltliteratur sind lediglich ein Bonus. Die Botschaft lautet: Bücher schaffen Verbindungen. Und sie können die Welt verändern. Das ist so zauberhaft altmodisch wie der ganze Film.
Fazit: Ngo The Chau verwandelt die Romanvorlage in seinem Kinodebüt in ein märchenhaftes, witziges Abenteuer, das mit feiner Ironie dem Lesen von Büchern ein Denkmal setzt. Mit Christoph Maria Herbst ist die Hauptrolle ideal besetzt, die kleine Yuna Bennett ist ihm eine gleichwertige Partnerin. Es dauert ein wenig, bis er in die Gänge kommt, aber dann ist es ein Film für die ganze Familie, vom Vorschulkind bis zur Uroma: mit Humor, Herz und Gefühl, aber glücklicherweise nahezu kitschfrei.
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