Zwei Drittel werden bei diesem Film das Kotzen kriegen – und das ist auch gut so
Von Christoph PetersenEs ist noch gar nicht lange her, seit Politische Inkorrektheit bei Filmen als Qualitätsmerkmal angepriesen wird. Etwas sei „herrlich politisch inkorrekt“, heißt es dann oft. Nach einer Pressevorführung des inzwischen sicherlich als Kultfilm zu bezeichnenden „Adams Äpfel“ standen damals ein gutes Dutzend Kritiker und Kritikerinnen zusammen – und lobten einhellig die (vermeintlichen) Grenzüberschreitungen. Das ist vielleicht frech und bissig, aber doch sicher nicht „politisch inkorrekt“. Dafür müsste schon mindestens die Hälfte mit hochroten Wutköpfen aus dem Kinosaal stürmen – um dann so richtig über den Film abzukotzen. Es spricht viel dafür, dass genau das nun bei der in vielerlei Hinsicht gnadenlosen Kulturbetriebs-Abrechnung „Bad Director“ von Oskar Roehler („Die Unberührbare“) der Fall sein wird.
Schon der zugrundeliegende, mit autobiografischen Elementen zumindest gespickte Roman „Selbstverfickung“ (warum wurde dieser wunderschöne Titel eigentlich fürs Kino geändert?) stieß 2017 auf ein – gelinde gesagt – geteiltes Echo. Ist Oskar Roehler als Autor nun die deutsche Antwort auf Michel Houellebecq, dessen Roman „Elementarteilchen“ er 2006 verfilmt hat – oder doch nur ein Meckeronkel (aka alter weißer Mann) voller Selbst- und Fremdenhass? FAZ und Süddeutsche sahen es so, Die Tageszeitung und Die Welt genau andersherum. Im Film zieht sein Alter Ego nun zumindest nicht mehr über Flüchtende her – das wird die Abkotz-Quote womöglich von Dreiviertel auf Zweidrittel absenken. Aber sehr viel und sehr laut lachen, das kann man in diesem Film eben auch – noch viel mehr als über die Seitenhiebe aufs Filmgeschäft übrigens über das in jederlei Hinsicht erbärmliche Alter Ego des Regisseurs selbst.
Der in Berlin lebende Gregor Samsa (Oliver Masucci) soll in Köln seinen nächsten Film inszenieren. Aber während seine Kostümdesignerin dringend eine Entscheidung zur Sockenfarbe des Protagonisten benötigt, interessiert sich der titelgebende Bad Director nur für seine ausbleibende Rohybnol-Bestellung. Sein junger Hauptdarsteller geht ihm schon ab der ersten Probe mächtig auf den Senkel – und schon der letzte Dreh mit seiner Hauptdarstellerin Konstanze (Anne Ratte-Polle) endete damals in der totalen Katastrophe. Parallel dazu verliebt sich Gregor in die vor dem Krieg aus ihrer Heimat geflüchtete Sexarbeiterin Grete (Bella Dayne).
Auf die steht er vor allem, weil sie beim Sex Weltliteratur rezitieren kann (als Sohn eines Suhrkamp-Lektoren steht man nun mal ganz besonders auf Töchter aus gutem Hause). Am Set besteht der Job ausschließlich aus vermeintlich banalen Entscheidungen wie jener, welches der zur Auswahl stehenden Babys in einer bestimmten Szene zum Einsatz kommen soll – und während sich Gregor selbst genauso scheiße findet wie alles und jeden um sich herum, droht er zunehmend, endgültig den Halt in der Realität zu verlieren. Allerdings steht mit seinem Co-Regisseur (Götz Otto) bereits jemand bereit, der ihn notfalls ersetzen könnte – und das gilt es mit allen Mitteln zu verhindern…
„Bad Santa“, „Bad Moms“, „Bad Teacher“ – sicherlich ist „Bad Director“ eine recht generische Titelkonstruktion, die einem Großteil des Publikums deutlich leichter als „Selbstverfickung“ über die Lippen gehen wird. Zugleich ist es natürlich eine Steilvorlage, den Titel in Verrissen einfach auf Oskar Roehler persönlich zu beziehen. Aber einstecken scheint der Regisseur ja zum Glück sehr gut zu können: Schon in „Selbverfickung“ hat er stets erst einmal in Richtung eines verlogen-zugekoksten Kulturbetriebs ausgeteilt – nur um sich dann gleich doppelt so hart in die eigene Fresse zu schlagen: Schließlich ist sein Alter Ego – ein tablettensüchtiger, rumhurender, nach dem Käfer-Protagonisten aus Franz Kafkas „Die Verwandlung“ benannter Regisseur – an Erbärmlichkeit kaum noch zu übertreffen.
„Bad Director“ beginnt mit einem Besuch im Puff – und während Gregor unbedingt noch die letzten zehn Minuten seiner halben Stunde „auskosten“ will, zieht sich die sichtlich gelangweilte, ein schnelleres Abspritzen einfordernde Sexarbeiterin bereits während des Ficks ihren Mittagspause-Döner rein. Anschließend schimpft der Regisseur über den Deutschen Filmpreis („3 Stunden Scheiße“), nur um die vorschnell weggeworfene Einladung dann doch wieder aus dem Mülleimer zu fischen. Wenn man sich zumindest ein wenig fürs deutsche Film- und Fernsehgeschäft interessiert, macht es durchaus Laune mitzurätseln, welche realen Personen die teils grotesken Karikaturen bei der Preisverleihung wohl darstellen könnten?
„Ich bin dann mal weg“-Star und Roehler-Stammschauspieler Oliver Masucci („HERRliche Zeiten“, „Enfant Terrible“) gibt den abgehalfterten Regisseur als Mixtur aus bockig-aufstampfendem Rumpelstilzchen, Tom Gerhardt im „Voll normaaal“-Modus sowie einer Stefan-Raab-Parodie von „LOL: Last One Laughing“-Dauergast Max Giermann. Voll drüber, voll nervig, voll lustig. Weil „Bad Director“ von Anfang Vollgas gibt und stolze 131 Minuten lang ist, gelingt es nicht immer, die Wahnsinns-Spirale noch weiter anzuziehen – selbst wenn sich das Set immer mehr in einen surrealen Ort verwandelt, in dem die omnipräsenten Schilder immer seltener tatsächlich irgendwo hinzuweisen scheinen, während sich die Hauptdarstellerin wegen eines tiefsitzenden Baby-Traumas im Teppich verbeißt.
Da müssen dann irgendwann doch noch die ganz großen Anti-PC-Keulen wie Gregors Wahnfantasie, aus seiner osteuropäischen Prostituierten und seinem schwarzen Hotelpagen eine neue Herrenrasse heranzuzüchten, ausgepackt werden. Da kann man sich eigentlich auch direkt selbst die Feuilleton-Kugel verpassen – aber auch das sind dann eben nur die logischen nächsten Schritte zur absoluten Selbstverfickung…
Fazit: Mit „Bad Director“ liefert Oskar Roehler eine gnadenlos-nihilistische Abrechnung – vor allem mit sich selbst. Da kriegt man entweder das Kotzen oder man lacht sich scheckig. Zur Abwechslung ist die Bezeichnung „politisch inkorrekt“ hier wirklich mal angebracht. Nur ob das etwas Gutes ist oder nicht, muss dann – im Gegensatz zu „herrlich politisch inkorrekten“ Konsens-Filmen – tatsächlich jeder selbst entscheiden.
PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten Vorurteil vom „lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Bad Director“ ist unsere Wahl für den Mai 2024.