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    The Balconettes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    The Balconettes

    Viel Lärm um fast gar nichts

    Von Gaby Sikorski

    Wenn die heiße Sommersonne gnadenlos vom Himmel strahlt, dann sind alle Großstadtmenschen, die sich keine Klimaanlage leisten können, auf der Suche nach Abkühlung. Von außen wie von innen, denn die Hitze befördert auch das Brodeln der Emotionen. Wer einen Balkon hat, kann sich glücklich preisen. Er bietet ein bisschen frische Luft oder sogar einen kühlen Windhauch, vor allem aber Aus- und Einblicke ins Leben der Nachbarschaft. Das ist die Ausgangsposition für „Die Balconettes“, die zweite Regiearbeit von „Porträt einer jungen Frau in Flammen“-Star Noémie Merlant. Eine Thriller-Komödie, wie es heißt, wobei sich die Komödie vor allem auf das erste Filmdrittel beschränkt.

    Es geht um drei sehr unterschiedliche Freundinnen, die sich in der Sommerhitze von Marseille auf ihren Balkons die Zeit vertreiben: die schüchterne Schriftstellerin Nicole (Sanda Codreanu), das kesse Camgirl Ruby (Souheila Yacoub) und die Schauspielerin Elise (Noémie Merlant selbst). Nicole ist heimlich verknallt in den hübschen Nachbarn von gegenüber (Lucas Bravo), den sie vom Balkon aus beobachten kann. Als er die drei Damen vom Balkon spontan zu sich einlädt, ist Nicole komplett aus dem Häuschen. Die anderen helfen ihr dabei, sich ein bisschen aufzubrezeln. Doch alle Mühe ist vergebens – die Nacht, die so fröhlich beginnt, endet im Desaster: Der Nachbar landet nämlich nicht, wie erhofft, in Nicoles Bett, sondern aufgespießt auf einem Kleiderständer, wo ihn die Frauen am nächsten Morgen finden. Um nicht unter Mordverdacht zu geraten, wollen sie die Leiche beseitigen…

    Nicole (Sanda Codreanu Ruby (Souheila Yacoub) und Elise (Noémie Merlant) machen in diesem Hitze-Sommer Urlaub auf Balkonien.  Progress Film Verleih
    Nicole (Sanda Codreanu Ruby (Souheila Yacoub) und Elise (Noémie Merlant) machen in diesem Hitze-Sommer Urlaub auf Balkonien.

    Das allein ist schon ein bisschen merkwürdig, aber von nun an wird die Handlung richtig krude, mit zig Ideen, die teilweise originell sind, aber nicht zu Ende geführt werden oder erst gar keinen Anfang haben. Da ist zum Beispiel die Schwarze Nachbarin. Sie erschlägt gleich zu Beginn kommentarlos ihren übergriffigen Mann, doch die Drehbuchautorinnen Noémie Merlant, Pauline Munier und Céline Sciamma gönnen ihr keine eigene Geschichte. Möglicherweise soll es ironisch sein, dass nur noch einmal indirekt von ihr die Rede ist, doch das erschließt sich nicht. Stattdessen konzentrieren sich die Autorinnen lieber auf die drei hübschen weißen Mädchen mit ihren coolen Jobs, die sich vor allem darin einig zu sein scheinen, sich oberflächlich und infantil zu verhalten.

    Damit bedienen sie genau die Klischees, die sie eigentlich bekämpfen wollen. Überflüssigerweise werden dann auch noch die Hauptfiguren erklärt: Elise und ihre unglückliche Beziehung zu ihrem Lover, Ruby und ihr Job als Camgirl und immer wieder Nicoles Reflexionen. Die Möchtegern-Autorin erzählt den Film aus ihrer Sicht. Doch durch die zusätzlichen Erklärungen wird der Film unnötig verlängert, bis auch der letzte Rest von Spannung entwichen ist.

    Wenig Logik, viel Gekreische

    Was den Handlungsverlauf betrifft, kommt die Logik eindeutig zu kurz, der Film wirkt insgesamt sehr uneinheitlich und verquast. Manchmal wird es eklig, es fließt reichlich Kunstblut, und gelegentlich entwickeln einige Körperteile ein sinistres Eigenleben. Insgesamt entsteht der Eindruck, als ob die Autorinnen spätestens nach der Hälfte des Films vergessen haben, dass sie eine abendfüllende Komödie schreiben. Stattdessen greifen sie immer häufiger auf Klischees und aus dem Zusammenhang gerissene Gags zurück, um den Film irgendwie zu Ende zu bringen. Ähnliches gilt für die Regie: Die Darstellerinnen übertreiben, dass die Wände wackeln, sie schreien und kreischen aufs Nervigste und versuchen offenbar damit und mit ihrer sexy Ausstrahlung Lacher zu erzeugen und die zahlreichen Löcher im Drehbuch zu stopfen. Das geht leider nach hinten los und konterkariert die Absicht des Films, der eine feministische Thriller-Komödie sein will.

    Es gibt aber auch gute Ansätze – besonders zu Beginn, solange der anfängliche Schwung und ein hübsch bissiger, tatsächlich rebellischer Humor das Geschehen bestimmen. Dazu gehört auch ein Fake-Orgasmus, der mit schrillen Tönen die Nachbarn des Toten davon abhält, weiter nachzufragen, was da eigentlich los ist, als die Freundinnen beim Auffinden zu schreien beginnen. Sehr schön ist auch, wenn die drei Frauen beim Abtransport der Leiche unerwartete Unterstützung von der Polizei erhalten. Doch beinahe der gesamte Witz und die zu Beginn noch verheißungsvolle freche Dynamik des Frauentrios verschwindet im blutigen Dunst einer künstlich emotionalisierten und bis ins Groteske überdrehten Entwicklung quer durch verschiedene Genres, aber bedauerlicherweise nicht mehr in Richtung Komödie.

    Die Leiche am Kleiderständer muss ganz schnell verschwinden – aber das ist leichter gesagt als getan. Progress Film Verleih
    Die Leiche am Kleiderständer muss ganz schnell verschwinden – aber das ist leichter gesagt als getan.

    Ob es dem Feminismus wirklich dient, sämtliche Männer als tatsächliche oder potenzielle Täter zu betrachten, die verhindern, dass Frauen frei leben können, sei dahingestellt. Wenn sich Frauen blutig rächen für das Leid, das Männer ihnen angetan haben, dann kann das allerdings filmisch durchaus reizvoll sein, „Kill Bill“ ist in dieser Hinsicht natürlich unvergessen. „Die Balconettes“ mit ihren unausgegorenen, kunstblutreichen Verweisen in Richtung Revenge-Movie, Gore und Zombiefilm können da allerdings nicht mithalten.

    Leider wirkt das Ganze so, als hätten sich ein paar 14-jährige Mädchen zusammengerottet, um sich mal was richtig Schlimmes, Provokantes auszudenken und das Produkt als feministisch zu verkaufen. Die Atmosphäre dieses Films erinnert jedenfalls stark an betrunkene Frauenhorden, die zwecks Junggesellinnenabschied kreischend durch die Innenstädte ziehen. Ein bisschen mehr Eleganz, Humor und Struktur hätten dem Film jedenfalls gutgetan.

    Fazit: Na gut – jetzt wissen wir’s: Frauen stellen sich sogar noch dämlicher an als Männer, wenn es darum geht, eine Leiche zu beseitigen. Außer dieser Einsicht hat die feministische Thriller-Komödie aber nur wenig zu bieten, vor allem fehlt es an Humor.

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