Mein Konto
    Veni Vidi Vici
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Veni Vidi Vici

    Passanten-Niederschießen als Zeitvertreib der Superreichen

    Von Jochen Werner

    Veni vidi vici, mit diesen Worten kommentierte Gaius Julius Caesar der Überlieferung nach den Sieg in der Schlacht von Zela. Ich kam, ich sah, ich siegte, und zwar in nur vier Stunden. Einer von zahlreichen militärischen Erfolgen in der Karriere des Feldherrn, der sich kurz darauf zum Diktator auf Lebenszeit im Römischen Reich ernennen ließ. Ob Julius Caesar gegen Ende seines Lebens auch die Umwandlung der römischen Republik in eine Monarchie anstrebte, ist umstritten – aber die Macht, die er vor seiner Ermordung in seiner Person vereinte, war im Alten Rom bis dato ungekannt und leitete die 17 Jahre später vollzogene Umwandlung der Republik zum Kaiserreich ein. Parallelen zwischen dem antiken Rom und der Gegenwart des Spätkapitalismus zu ziehen, scheint dem Gegenwartskino dieser Tage immer wieder überraschend nahezuliegen.

    Da ist natürlich Francis Ford Coppolas Opus magnum „Megalopolis“, in dem Rom und Amerika, Utopie und Dystopie, Historien-Phantasmagorie und Science-Fiction-Spektakel zu einer wahrhaft einzigartigen Melange verschmelzen. Da ist aber auch „Gladiator II“, der ausgerechnet heute, 24 Jahre nach dem Vorgänger, plötzlich wie eine gute Idee erschien und der sich nahtlos in die Reihe jener (oft etwas unterschätzten) Historienfilme einreiht, in denen Ridley Scott über die politisch-gesellschaftliche Gegenwart spricht. Und dann diese irrwitzige, bis dato einzigartige Idee, mit Tinto Brass‘ „Caligula“ eine der legendärsten Vollkatastrophen der Kinogeschichte als archivarische Fantasie über ein verlorenes Meisterwerk komplett auseinanderzunehmen und aus einst unverwendetem Filmmaterial ganz neu als „Caligula: The Ultimate Cut“ zusammenzusetzen.

    Großwildjagd auf arglose Passanten

    Im Vergleich zu diesen Filmen, die tief in diese tatsächlichen oder vermuteten Parallelen zwischen Spätkapitalismus und spätrömischer Dekadenz eintauchten, bleibt die Bezugnahme in der zweiten gemeinsamen Regiearbeit von Daniel Hoesl und Julia Niemann, „Veni Vidi Vici“, geradezu betont beiläufig. Denn in der Historie verankert scheint hier rein gar nichts, der gesamte Film kommt im Gegenteil ganz als Oberfläche daher: von den zentralperspektivisch aufgeräumten Kameraeinstellungen über die von Schlagworten und Businessphrasen durchzogenen Dialoge bis hin zu den minimalistisch-lichtdurchfluteten, geradezu whitecubeartigen Räumen, in denen sich die Geschichte der Familie Maynard abspielt. Familienvater Amon (Laurence Rupp) ist Investor in der Hochfinanz – „was Mozart für die Musik war, ist Amon Maynard fürs Geld“, so erfahren wir einmal, und dass für die Maynards keinerlei Regeln gelten, macht „Veni Vidi Vici“ von den ersten Sekunden an unmissverständlich klar.

    Denn Amon Maynard ist Jäger, macht sich allerdings nicht, wie andere Anhänger dieses Hobbys, aus dem Töten von Tieren einen Spaß, sondern knallt mit einem Scharfschützengewehr willkürliche Passanten ab. Von dem serienmordenden Sniper, der seit langem gesucht wird, ist immer wieder die Rede im Film, und irgendwie scheint dessen Identität auch ein offenes Geheimnis zu sein. Unternehmen kann oder will jedoch niemand etwas, um die Mordserie zu stoppen. Lediglich der Journalist Volker Carlotta (Dominik Warta) versucht, die Enthüllung publik zu machen, stößt jedoch überall nur auf taube Ohren und betretene Blicke – außer bei Maynard selbst, der sich geradezu danach zu sehnen scheint, dass sich ihm irgendwer in den Weg stellt, ihm auf Augenhöhe begegnet statt in serviler Unterwerfungsgeste…

    Auf dem Jahrmarkt wird nur auf Zielscheiben geschossen. Im wahren Leben macht Amon Maynard allerdings lieber Jagd auf Menschen. Grandfilm
    Auf dem Jahrmarkt wird nur auf Zielscheiben geschossen. Im wahren Leben macht Amon Maynard allerdings lieber Jagd auf Menschen.

    Erzählt wird „Veni Vidi Vici“ jedoch vornehmlich aus der Perspektive der Maynard-Tochter Paula (Olivia Goschler), die das Geschehen aus dem Off kommentiert. Für Fairplay sei sie viel zu kreativ, so dekretiert sie gleich zu Beginn des Films, und im Verlauf des Films wird immer deutlicher erkennbar, dass auch von der nächsten Generation keinerlei moralisches Bewusstsein zu erwarten ist. Viele Menschen werden sterben, ohne jede Konsequenz für die Verantwortlichen. Wird sich jemals etwas daran ändern? Und wenn nein – warum unternimmt eigentlich niemand etwas dagegen?

    Die Welt der Superreichen als sadistischer Spielplatz begründete in jüngerer Zeit schon fast ein eigenes Subgenre, irgendwo zwischen Genre- und Arthouse-Kino. Von Ruben Östlunds überbordender Satire „Triangle of Sadness“ über Zoe Kravitz‘ Geschlechterkriegshorror „Blink Twice“ bis zu den obszön reichen Foodies, die in der Menschenjagdfantasie von „The Menu“ zu Zielscheiben einer Art Haute-Cuisine-Guerrilla wurden, erlebte eine Art kapitalismuskritisches Agitprop-Kino eine kleine, aber unübersehbare Renaissance. „Veni Vidi Vici“ kommt nun allerdings deutlich sperriger daher als all die genannten Beispiele.

    In der Welt der Superreichen können die Leute laut „Veni Vidi Vici“ tatsächlich machen, was immer sie wollen. Grandfilm
    In der Welt der Superreichen können die Leute laut „Veni Vidi Vici“ tatsächlich machen, was immer sie wollen.

    Daran, ihren Stoff als abgründiges Genrestück wie etwa „Bacurau“ zu inszenieren, haben Hoesl und Niemann ohnehin kein Interesse. Aber auch an die barocken Groteskerien von „Triangle Of Sadness“ erinnert hier, abgesehen von ein paar Grundgedanken, wenig. Stattdessen kommt „Veni Vidi Vici“ als eine unterkühlt konzeptuelle Kunstanstrengung daher, was durch den avantgardistischen Klangkunst-Soundtrack des Wiener Komponisten Manuel Riegler überdeutlich unterstrichen wird. Das alles bleibt aber trotzdem allzu oft bloß ornamental, und so richtig springt der Funke nie über. Allzu sehr tritt der Film auf der Stelle, und der bereits in den ersten Minuten etablierten Grundidee hat er über immerhin angenehm knapp gehaltene 86 Minuten hinweg eigentlich kaum noch etwas hinzuzufügen.

    Das ist dann einfach am Ende etwas wenig – auch weil diese Grundidee an sich ja bereits weder sonderlich originell noch superkomplex wäre. Was ja an sich noch nicht schlimm wäre, ist es doch seit jeher das Vorrecht dieser Art der satirisch-generischen Gesellschaftskritik, ihre Botschaften auch mit plakativen Mitteln einzuhämmern. Aber dafür hat „Veni Vidi Vici“ dann auch wiederum einfach zu wenig Biss. Er spielt sein Spiel recht unbeirrt bis zum bösen Ende durch, formuliert dann unnötigerweise seine Message nochmal ganz deutlich aus, und macht im Rahmen dessen, was er sich konzeptuell vorgenommen hat, kaum einen Fehler. Aber um wirklich eine Kraft zu entwickeln, bleibt das alles viel zu glatt und auch in ästhetischer Hinsicht zu durchsichtig.

    Fazit: Menschenjagd im Spätkapitalismus – der Film des österreichischen Regieduos Hoesl/Niemann reiht sich irgendwo zwischen „Bacurau“, „Triangle Of Sadness“ und „The Menu“ ein in eine lose Folge satirischer Vivisektionen der Welt der Ultrareichen. Obgleich er aber mit recht demonstrativem Kunstwillen daherkommt, geht die Rechnung nie so ganz auf: zu oberflächlich, zu zahnlos wirkt das alles, um wirklich in Erinnerung zu bleiben. Schade.

    Wir haben „Veni Vidi Vici“ im Rahmen des 19. Around the World in 14 Films Festival in Berlin gesehen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top