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    Smile 2 - Siehst du es auch?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Smile 2 - Siehst du es auch?

    Der seltene Fall einer Fortsetzung, die das Original sogar noch übertrifft

    Von Kamil Moll

    Womöglich sind Popstars die letzten großen dramatischen Gestalten unserer Zeit. Das Scheinwerferlicht vervielfacht und entstellt private Tragödien und Fehltritte, zerrt sie schonungslos an die Öffentlichkeit und erfindet dafür seine ganz eigenen Formen publikumswirksamer Läuterung. Am Anfang von „Smile 2 – Siehst du es auch?“ scheint es so, als läge das größte Drama für die Popsängerin Skye Riley (Naomi Scott) bereits in der langsam vergessenen Vergangenheit. Vor rund einem Jahr geriet sie auf dem Höhepunkt ihrer kommerziellen Karriere zusammen mit ihrem Freund Paul (Ray Nicholson) zugedröhnt mit Drogen und Alkohol in einen Autounfall: Sie erlitt schwere Verletzungen, er verstarb. Nun spielt sie in Talkshows das Spiel der geglückten Celebrity-Rehab mit und steht kurz vor der Wiederaufnahme einer weltumspannenden Tournee. Gegen traumatische Erfahrungen hilft, so denkt zumindest Skyes Mutter (eisig-kontrolliert: Rosemarie DeWitt), nichts so sehr wie selbstauferlegte Arbeitstherapie.

    Aber es kommt anders: Als Skye nach einer Choreo-Probe ihren Dealer Luis (Lukas Gage), der sie mit dem schmerzlindernden Mittel Vicodin versorgt, aufsucht, steht dieser plötzlich von einem Moment auf den anderen mit einem grotesk entstellten Grinsen vor ihr. Mit einem Gewicht zerschlägt er sich selbst das Gesicht, bis die Fleischlappen so sehr herunterhängen, dass sogar der Kiefer zu sehen ist und er blutend zusammenbricht. Kurze Zeit später kehrt dieses unwirkliche Lachen zurück: Skye meint es bei anderen Menschen, etwa den Fans bei einer Signierstunde, wiederzuerkennen. Etwas scheint schrittweise von ihrer Psyche Besitz zu nehmen und ihr Bewusstsein mit entsetzlichen Täuschungen zu dominieren…

    Paramount Pictures
    Als ob der Druck einer anstehenden Welttournee nicht schon groß genug wäre, muss Skye Riley (Naomi Scott) auch noch mit plötzlichen Terror-Visionen klarkommen.

    Bekannt ist diese sich aus Traumata speisende metaphysische Kreatur, die sich im Verlauf des Films der Wahrnehmung von Skye bemächtigt und sie in den Selbstmord treiben möchte, wie keine andere filmische Schreckensfigur der letzten Zeit. 2022 gelang Parker Finn mit seinem Debüt „Smile“ etwas, das so wirklich niemand vorhergesehen hatte: Mit einem schmalen Budget von 17 Millionen Dollar wurde „Smile“ zum erfolgreichsten Horrorfilm des Jahres. Viel ist seitdem geschrieben worden über die auf TikTok viral gegangenen Spielchen, die zahlreiche Zuschauer bei Screenings veranstalteten.

    Aber auch jenseits eines beispiellosen Social-Media-Hypes glückte dem Film, was Horrorproduktionen jüngeren Datums selten vergönnt ist: Das titelgebende, sich zu einer Fratze verzerrende Lachen ist längst ikonischer Bestandteil der Horrorfilmgeschichte geworden. Eine so simple wie einfach wiedererkennbare Miene, deren effektive Wirkung sich nicht zuletzt daraus erklärt, dass der Regisseur die unwirklich scheinenden Grimassen nicht durch CGI vermeintlich verstärkte, sondern mit den Schauspieler*innen rein mimisch erarbeitete.

    So sollten Sequels sein

    Überhaupt ging der Film mit seiner Betonung praktischer Effekte einer kleinen Welle von aktuellen Genreproduktionen wie „The Substance“ oder „Longlegs“ voraus, die ihre Schockwirkung wieder verstärkt mit handgemachten Mitteln anstelle digitaler Rechenarbeit erzeugen wollen. Umso erfreulicher ist es nun, dass die Fortsetzung dieser Überzeugung trotz eines weitaus größeren Rahmens treu bleibt. Als Verschränkung von Horror, Melodram und Popspektakel gelingt Finn mit „Smile 2“ dabei das selten gewordene Kunststück eines Sequels, das im Vertrauen auf die Stärken des Vorgängers etwas vollkommen Neues und Originäres erschaffen kann.

    Zusammengehalten wird diese nicht gerade selbstverständliche Genremischung wie auch schon im ersten Teil durch das intensivierte Schauspiel einer großartigen Hauptdarstellerin: Naomi Scott („Aladdin“), selbst eine Musical-erprobte Sängerin, spielt ihre Rolle so lustvoll wie feinfühlig zwischen aufgelöstem öffentlichen Meltdown und intimer Innenschau. Wie zuletzt beim Bühnenkonzert der Kunstfigur Lady Raven in M. Night Shyamalans Serienkiller-Farce „Trap“ dient Pop dabei nicht nur als rein dekorativer Hintergrund, sondern bildet eine eigene immersive Welt, die das Grauen geradezu anzuziehen scheint.

    Paramount Pictures
    Irgendwann sieht Skye überall nur noch fies grinsende Menschen!

    Skye Riley ist ein Popstar, wie es ihn momentan auch tatsächlich geben könnte: in der Bühnenshow an Lady Gaga während ihrer „Fame Monster“-Ära gemahnend, musikalisch zwischen dem kühlen Art-Pop von Sia und der elektronischen R&B-Spielweise von Tate McRae. (Da verwundert es eigentlich kaum, dass sich als Werbestunt für den Filmrelease bei YouTube auch vermeintlich reale Musikvideos von Riley finden lassen). Nach dem überraschenden Erfolg des Vorgängers scheint Parker Finn für die Fortsetzung also nicht nur mehr Budget, sondern auch einen weitgehenden kreativen Freifahrtschein erhalten zu haben. Aber anders als Todd Phillips bei „Joker 2: Folie À Deux“ gibt er den Fans trotzdem, wonach sie verlangen. Denn auch wenn einigen Jumpscare-Junkies in den stolzen 127 Minuten womöglich der eine oder andere Charaktermoment zu viel vorkommt, liefert „Smile 2“ auch da ab, wo Horrorfilme unbedingt überzeugen sollten. Und zwar gerade, weil bei allem überlebensgroßen Glamour der Film stets ganz nahe bei seiner emotional greifbaren Protagonistin bleibt.

    In den Schreckensmomenten erweist sich Parker Finn einmal mehr als einer der aktuell stärksten Regisseure in der Inszenierung wirkungsvoll gesetzter Jumpscares – vom kreativ und nicht zu knapp eingesetzten Gore ganz zu schweigen. Vor allem Skyes so luxuriöses wie trostlos unbelebtes Apartment wird zum Schauplatz zahlreicher, sich immer weiter steigernder Horror-Set-Pieces. Wie bei einer perfekt durchchoreografierten Bühnenperformance kriechen da auch schon mal ineinander verdrehte und verwachsene Backgroundtänzer*innen durch den schmalen Flur der Wohnung. So einleuchtend und effektvoll wie „Smile 2“ einem somit Popkultur als abgründig bunten Resonanzraum für parasitären Horror zeigt, stellt sich schon die Frage, warum Genrefilme eigentlich bislang so selten diese fruchtbare Verbindung gemacht haben.

    Fazit: Ein bunt-abgründiges Pop-Horror-Melodram, wie es so bislang noch kein ähnliches gab – und als in jeglicher Hinsicht gelungenes Sequel weckt der Film zugleich Lust auf weitere tollkühne Variationen eines plötzlich auftauchenden, verschobenen Lächelns!

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