Jennifer Lawrences Wechsel von Netflix zu Apple TV+
Von Christoph PetersenAuf dem Poster zu „Causeway“, mit dem die Oscargewinnerin von Netflix („Don’t Look Up“) zu Apple TV+ wechselt, schaut Jennifer Lawrence mit einem leeren Blick aus dem Fenster eines Hauses. Auf dem ersten veröffentlichten Szenenbild sehen wir hingegen, wie der „Tribute von Panem“-Star mit einem leeren Blick aus dem Fenster eines Busses starrt. Weil sie den Film zudem mit ihrer eigenen Firma Excellent Cadaver koproduziert hat, ergibt sich da schon der Eindruck eines persönlichen Prestigeprojekts. Als wolle Lawrence nach all dem Blockbuster-Bombast („X-Men“, „Passengers“) und all den überdrehten Oscar-Rollen („Joy“, „American Hustle“) beweisen, dass sie es auch zwölf Jahre nach ihrer ebenso zurückgenommenen wie überwältigenden Durchbruch-Performance in „Winter’s Bone“ immer noch draufhat, mit ganz wenig ganz viel zu erreichen.
Aber das gelingt nur bedingt – wobei das Scheitern am Ende wenig mit dem Cast vor der Kamera, sondern vor allem mit dem Personal dahinter zu tun hat: Regisseurin Lila Neugebauer sowie ihr Autor*innen-Trio Ottessa Moshfegh, Luke Goebel und Elizabeth Sanders liefern mit „Causeway“ ein fast schon zu reduziertes und deshalb an vielen Stellen austauschbares PTSD-Drama, das immer nur dann grandios zum Leben erwacht, wenn die Stars Jennifer Lawrence und Brian Tyree Henry („Eternals“) ganz für sich miteinander agieren können. Dann eröffnen sich plötzlich Brüche und Ambivalenzen in ihren traumatisierten Figuren, die zutiefst berühren und weit über das hinausweisen, was im generischen Skript angelegt ist.
Ein Superstar, der aus dem Fenster starrt…
Nachdem sie bei einem Einsatz in Afghanistan eine Hirnverletzung davongetragen hat, kann Lindsey (Jennifer Lawrence) weder Gehen noch Sprechen, nicht einmal mehr ihren eigenen Mund trifft sie noch mit der Zahnbürste. Trotzdem dauert es zu Beginn von „Causeway“ nur elf Minuten, bis die Protagonistin ihre Reha wie im Zeitraffer abgeschlossen hat und – zumindest äußerlich – unversehrt zu ihrer Mutter Gloria (Linda Emond) nach New Orleans zurückkehrt. Die vermeintliche Leichtigkeit, mit der sich Lindsey quasi im Schnelldurchlauf ins Leben zurückkämpft, wirkt zwar zunächst merkwürdig, ist aber ein geschickter dramaturgischer Kniff …
… denn auf die großen Erfolgsschritte in der Reha folgt der langwierige Kampf, sich mit den verbliebenen Einschränkungen im Alltag wieder zurechtzufinden. Ihre Mutter sagt einmal, dass sie „voller Sorge war“. Sie spricht also in der Vergangenheitsform, als sei nun alles wieder gut. Aber für Lindsey, die auch deshalb zur Armee gegangen ist, weil sie unbedingt von daheim wegwollte, ist weiterhin jeder Schritt zurück eine Qual. In ihrem Zimmer trainiert sie Memory, um ihre Gedächtnislücken zu schließen – und wenn sie sich über ein Eis freut, stehen die Chancen gut, dass sie es direkt wieder auf den Boden fallen lassen wird.
Die ebenso wärmende wie brüchige Chemie zwischen Brian Tyree Henry und Jennifer Lawrence ist schlichtweg grandios.
Vieles in „Causeway“ ist gut beobachtet. Aber die Art, wie es dann erzählt wird, bleibt überwiegend sehr schematisch – wobei auch generelle Klischees des Genres nur allzu gern bedient werden: So gibt es natürlich eine Szene, in der sich Tochter und Mutter doch noch einmal annähern – nur damit Lindsey im nächsten Moment erneut herb enttäuscht werden kann. Dazu stapeln die Autor*innen die Konflikte und Traumata ihrer Figuren regelrecht übereinander: Wenn wir in den letzten Minuten erfahren, dass Lindseys inhaftierter Dealer-Bruder auch noch taubstumm ist, weshalb seine Schwester mit ihm in Zeichensprache kommuniziert, dann wirkt das endgültig nur noch selbstzweckhaft. So wird aus einer eigentlich begrüßenswert-inklusiven Casting-Entscheidung ein bloßes Gimmick.
Ganz und gar nicht schematisch, sondern voller Leben und Ambivalenzen ist „Causeway“ hingegen immer dann, wenn Lindsey und der hilfsbereite Mechaniker James (Brian Tyree Henry), der bei einem Autounfall nicht nur ein Bein, sondern auch noch seinen Neffen verloren hat, miteinander Zeit verbringen. Die freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden traumatisierten Seelen ist zutiefst berührend – und dabei in ihrer Brüchigkeit zugleich extrem komplex, was auch damit zu tun hat, dass sich Lindsey als lesbisch outet, sich die beiden also nicht einfach auf eine simple sexuelle Beziehung zurückziehen können, um sich gegenseitig Trost zu schenken. Gerade „Atlanta“-Shooting-Star Henry verleiht seiner Figur dabei eine bis aufs Wohnzimmersofa hinaus wärmende Empathie.
Fazit: Jennifer Lawrence macht nach zwölf Jahren Superstardasein mal wieder einen richtig kleinen Film – und beweist damit, dass sie zu Recht zu den besten Schauspielerinnen ihrer Generation gezählt wird. Trotzdem ist „Causeway“ kein neuer „Winter’s Bone“ – dafür bleibt die Traumata-Erkundung abseits der herausstechenden Szenen zwischen Jennifer Lawrence und Brian Tyree Henry allzu generisch.