Mehr wie Wien kann ein Film gar nicht sein!
Von Kamil MollSo einen wie den Rickerl (Voodoo Jürgens), den gibt’s wohl wirklich nur noch in Wien: ein erfolgloser Musiker und Songschreiber in seinen späten 30ern, der tagsüber mehr schlecht als recht als Totengräber auf einem Friedhof über die Runden kommt und abends in den Kneipen und Wiener Beisln versumpft, wo er nach ein paar Gläsern Weinschorle für alle zu singen beginnt. Gut gehen kann so etwas nicht ein ganzes Leben lang – und so wird Rickerl gleich zu Beginn des Films die Rechnung präsentiert: Weil er sich bei der Umbettung von Gräbern einen besonders schön aussehenden Totenschädel eingepackt hat und dieser bei einer Begräbnisfeier aus seinem Rucksack kullert, wird er vor die Tür gesetzt und kommt auf die schwarze Liste der Friedhöfe. „In manchem muss man das System schon a bissel infrage stellen“, sagt er ungerührt. So einen zu vermitteln, damit tut sich auch das Arbeitsamt schwer.
Aber so unscheinbar dieser hagere Typ mit der zotteligen Schmiermatte auf den ersten Blick auch wirken mag, wird Rickerl zum Star der Wirtsstuben und Hochzeitsfeiern, wenn er seine wehmütigen Lieder über Loser und Abstürzler zu singen beginnt: mit geschlossenen Augen, lächelnd, den Kopf vorgereckt, in einer vernuschelten Mundart, bei der sich durch Wortdehnungen und Zusammenziehen von Silben auf magische Weise Reime ergeben, wo eigentlich keine sind. „Wer macht in mein Kammerl Licht? Wer hert mi schrei'n, wanns soweit is?“ Rickerl ist ein begnadeter Poet und auratischer Liveperformer, jemand, in den einst alle in seiner Umgebung große Hoffnungen setzten, dass er es mit seiner Musik schaffen wird. Der aber jahrelang jede angebotene Chance ausschlug, keine Aufnahmen machen wollte und stattdessen seine Lieder auf Schmierblättern überallhin mit sich schleppt. „In deinem Gitarrenkoffer“, sagt sein mürrischer Manager, „da sieht es aus wie in meinem Büro“.
Rickerl (Voodoo Jürgens) hat’s eigentlich voll drauf – schleift die Melancholie seiner Songs aber auch im wahren Leben mit sich herum und sabotiert sich so immer wieder selbst.
Dass „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ kein deprimierendes Drama über einen Hängengebliebenen geworden ist, sondern eine der lustigsten deutschsprachigen Komödien der letzten Jahre, verdankt er vor allem dem Wiener Musiker Voodoo Jürgens in der Hauptrolle. Zusammen mit Regisseur Adrian Goiginger entstand die Idee dazu bereits vor vielen Jahren, als Jürgens 2016 sein erstes Album „Ansa Woar“ (das übrigens immens erfolgreich war und es bis zur Nummer eins der österreichischen Charts schaffte) veröffentlichte. Die schwarzhumorigen, so melancholischen wie lustvoll-drastischen Geschichten des Albums inspirierten die Hauptfigur des Films und bilden auch dessen Soundtrack.
Der sogenannte Austropop als musikalische Mundarttradition und künstlerische Lebenshaltung bestimmt aber auch sonst den Sound. Zu Hause auf Rickerls Plattenspieler und auf der Anlage in den Kneipen läuft das, was den Songs von Voodoo Jürgens vorausging: die alten Lieder des österreichischen Nationalhelden Wolfgang Ambros und längst vergessener Sänger wie Heinrich Walcher und Hans Orsolics – auf unaufdringliche Weise verweist der Film so auf Vorbilder und Einflüsse, auf eine vorgelebte und besungene Lebensart, der „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ in der Gegenwart nachspürt.
An der Verantwortung für seinen Sohn reift Rickerl dann doch – ohne dass der Film dabei je in die üblichen sozialmelodramatischen Klischees abdriften würde.
Gleichwohl ist der Film nicht nur eine Künstlererzählung, ein Musical, sondern eine herzzerreißende Familienstory. Mit seiner Ex-Freundin Viki (Agnes Haussmann) hat Rickerl einen sechsjährigen Sohn, Dominik (Ben Winkler), für dessen Unterhalt er aufkommen muss. Die schwierige Annäherung an das Kind wird zum Mittelpunkt des Films: Dominik begleitet seinen Vater bei dessen vergeblichen Bemühungen, einen neuen Job zu finden, und landet mit ihm dabei u.a. in einer Erotikboutique. Ein alter Fernseher wird dort zum fragwürdigen Babysitter-Ersatz, auf dem sich Dominik in der schönsten Szene des Films das österreichische Sexkomödien-Pionierwerk „Die liebestollen Dirndl von Tirol“ anschaut.
In entspanntem Erzähltempo erzählt Adrian Goiginger Rickerls Geschichte mit viel Gespür und sichtbarer Liebe für Kneipenpalaver und vermeidet es dabei gekonnt, in sozialmelodramatische Klischees zu verfallen. Der herumstrauchelnde Verweigerer wird nicht als tragischer Fall gezeichnet, sondern als ein moderner Antiheld, der sich mit Schnauze und Schmelz dem Kampf gegen die Zumutungen des Alltags und Arbeitslebens, einem falschen Leben, stellt. „Wann wirst du endlich in der Gegenwart ankommen?“, fragt ihn mal jemand. Seine Antwort darauf: „Auf die Gegenwart ist g'schissen.“
Fazit: Mit „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“, der Geschichte eines arbeitslosen Wiener Musikers, der sich in Wirtshäusern und Erotikboutiquen durchs Lebens schlawinert und schließlich an der Beziehung zu seinem sechsjährigen Sohn reifen muss, gelingt Adrian Goiginger zusammen mit seinem Hauptdarsteller Voodoo Jürgens eine der schönsten und lustigsten deutschsprachigen Komödien der letzten Jahre.