Woody Allens vielleicht letzter Film ist zugleich sein bester seit 10 Jahren!
Von Christoph PetersenSeit den im Zuge von #MeToo wieder hochgekochten Missbrauchsvorwürfen gegen Woody Allen ist es für den 87-Jährigen kaum bis gar nicht mehr möglich, in den USA eine Filmfinanzierung auf die Beine zu stellen. Timothée Chalamet hat seine Gage für „A Rainy Day In New York“ sogar nachträglich gespendet. Stattdessen sucht Allen nun in Europa nach Financiers – und zumindest sein erster Versuch, der im spanischen San Sebastián gedrehte „Rifkins Festival“, war dann auch gleich ein ziemlicher Schuss in den Ofen. Stets ganz besonders geschätzt wurde der „Stadtneurotiker“-Regisseur seit Beginn seiner Karriere in Frankreich …
… und so scheint es nur stimmig, dass er nun als womöglich letzten Film zugleich seinen ersten in französischer Sprache gedreht hat: „Ein Glücksfall“ ist Woody Allens bester Film seit dem oscarprämierten „Blue Jasmine“ von 2013 – und zugleich einer seiner bestaussehenden überhaupt. Das herbstliche Paris kommt hier ganz besonders gut zur Geltung – und bildet zugleich den perfekten Hintergrund für eine federleichte, aber deshalb nicht weniger mundende Gesellschaftskomödie, die in der zweiten Hälfte zudem noch die eine oder andere mild-makabre Pointe bereithält. Allen scheint die Seine-Metropole einfach ähnlich gut zu liegen wie sein geliebtes New York.
Die in einem Pariser Auktionshaus arbeitende Fanny (Lou de Laâge) trifft auf der Straße zufällig den Romanautoren Alain (Niels Schneider), der schon damals total in sie verknallt war, als sie noch gemeinsam eine Schule in New York besucht haben. Fanny ist zwar inzwischen mit dem sehr wohlhabenden Steuervermeidungsspezialisten Jean (Melvil Poupaud) in zweiter Ehe verheiratet, aber dann kommt es doch, wie es (gerade in Paris) kommen muss:
Fanny und Alain beginnen eine Affäre. Irgendwann überlegt sie sogar ernsthaft, ihren Mann für ihren Liebhaber zu verlassen. Aber ist es wirklich nur ein böses Gerücht, dass Jean auch deshalb so reich ist, weil er einst seinen Geschäftspartner gewaltsam verschwinden ließ? Oder waren es womöglich doch Marsmenschen, wie einer seiner Freunde ernsthaft glaubt? Zumindest Fannys Mutter (Valérie Lemercier) schöpft Verdacht – und lässt sich auf eine gefährliche Ermittlung ein…
Im Gegensatz zu Horst Seehofer hat Jean seine Modellbauanlage nicht im Keller, sondern ganz prominent in einem extra geräumigen Zimmer in seinem Pariser Luxusappartement ausgestellt – und wer nicht schnell genug reagiert, wird von ihm hierhergeschleppt, um sich seine neuesten Anschaffungen (aktuell eine Märklin-Eisenbahn aus den 1950ern) anzusehen. Melvil Poupaud („Jeanne du Barry“) verkörpert den besitzergreifenden Finanzjongleur, der seinen Job selbst als „Ich helfe Reichen, noch reicher zu werden“ beschreibt, mit einer regelrecht ansteckenden Freude am Schmierigen: Nein, das kann kein guter Mensch sein!
Trotzdem entwickelt „Ein Glücksfall“ bei seiner Beschreibung der Pariser High Society längst nicht so einen Biss wie frühere, in vergleichbaren Metiers angesiedelte Allen-Filme wie „Match Point“. Es geht hier nicht wirklich darum, irgendwas oder irgendwen zu entlarven, sondern um eine locker-flockig erzählte Räuberpistole – ohne allzu kompliziertem Plot, aber mit einem einnehmenden Charme sowie einem sanft-fließenden Rhythmus, der den Herzschlag trotz Mord und Totschlag bloß nicht zu sehr in die Höhe treibt, einen aber trotzdem mit einem zufrieden-wohligen Gefühl aus dem Kino entlässt.
Jeans Widersacherin ist allerdings weniger Lou de Laâge („Weiß wie Schnee“) als Fanny, selbst wenn sie in den meisten Szenen des Films zu sehen ist, sondern die wie immer großartige Valérie Lemercier („Aline - The Voice Of Love“), die als Mutter zwar zunächst über alle Maßen von ihrem Schwiegersohn begeistert ist, dann aber doch irgendwann mit dem Herumschnüffeln beginnt. Aber auch hier sollte man bloß keine cleveren Miss-Marple-Momente erwarten …
… schließlich deutet ja schon der Titel an, dass die Idee des Schicksalhaften und Zufälligen eine zentrale Rolle im Film spielen könnte: Und während der perfektionistischen Mystery-Konstrukteurin Agatha Christie so etwas natürlich gar nicht in die Tüte gekommen wäre, nutzt Woody Allen es voll aus, um mit einer befriedigend-makabren Schlusspointe zu schließen. Sollten das tatsächlich die letzten Szenen im mehr als 60 Jahre umspannenden Werk des Filmemachers sein, hätte er es sicherlich nicht ganz schlecht „getroffen“…
Fazit: Nach dem Mondschein erforscht Woody Allen in seinem womöglich letzten Film nun das Herbstlicht von Paris. Das Ergebnis ist eine wunderbar leichtgängige Gesellschafts-Komödie mit einer erlesen-makabren Note im Abgang.
Wir haben „Ein Glücksfall“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm seine Weltpremiere gefeiert hat.