Ein tierisches Familien-Abenteuer hoch oben im Himalaya
Von Christoph PetersenDer italienische Regisseur Brando Quilici ist seit Anfang der Neunziger vor allem für zwei Dinge bekannt: Reportagen aus der Wüste, in denen er allerlei Mumien und Pharaonen hinterherforscht, sowie Dokumentationen aus der Arktis, in denen er die dortige Natur möglichst spektakulär in Szene setzt. Da passte es natürlich, dass er als erste Spielfilm-Regiearbeit die tief in der Arktis angesiedelten Szenen zum Kleiner-Eisbär-Familienabenteuer „Midnight Sun“ von Bond-Regisseur Roger Spottiswoode beisteuerte.
Acht Jahre später liefert der erfahrene (Natur-)Dokumentarist mit „Die Legende vom Tigernest“ nun seinen ersten eigenen Spielfilm ab – und dem sieht man jederzeit an, wo die speziellen Qualitäten des Filmemachers liegen. Genauso auffällig ist aber auch, dass er als Erzähler fiktiver Geschichten noch eine Menge zu lernen hat – und mit der Entscheidung, alle seine Darsteller*innen nur Englisch sprechen zu lassen, hat er sich (und dem Publikum) ebenfalls keinen Gefallen getan.
Balmani (Sunny Pawar) schlägt sich gemeinsam mit dem verwaisten Tigerbaby Muki einmal quer durch Nepal.
Seit seine Eltern bei einem Erdbeben ums Leben gekommen sind, lebt Balmani (Sunny Pawar) in einem Waisenhaus im Süden von Nepal. Weil ihn die anderen Kinder regelmäßig als „Erdbeben-Junge“ verspotten, beschließt Balmani auszureißen und die Reise in seine Heimatstadt Kathmandu anzutreten. Selbst wenn er allein in einem zerstörten Haus leben muss, kann er sich dort nämlich zumindest auf die Unterstützung seiner Freunde verlassen. Aber dann beobachtet der Waisenjunge, wie einige Wilderer eine Tigermutter erschießen – und ihr Junges in einen Käfig sperren.
Balmani befreit das Tier und tritt mit ihm gemeinsam die Flucht an, während sich die Gangster und die besorgte Waisenhaus-Leiterin Miss Hannah (Claudia Gerini) an seine Fersen heften. Auf dem beschwerlichen Weg, der schließlich bis hoch hinauf in das verschneite Himalaya-Gebirge führt, gilt es allerlei Hindernisse zu überwinden – zugleich machen Balmani und sein auf den Namen Muki getauftes Tigerbaby aber auch immer wieder die Bekanntschaft von Menschen, die ihnen in ihrer schwierigen Lage weiterhelfen…
Es gibt zwei Dinge, an denen man sich bei „Die Legende vom Tigernest“ durchaus stören darf: Zum einen erzählt eine italienische Produktion hier eine ur-nepalesische Geschichte – und dieser Blick von außen, der zudem spürbar vor allem auf ein internationales Kinopublikum schielt, hat unter anderem zur Folge, dass im Film quasi nur Englisch gesprochen wird. Nun wird Englisch zwar von den meisten Menschen in Nepal beherrscht und verstanden, während sich ein Gros des hiesigen Kinopublikums den Film eh in einer deutschen Synchronisation ansehen wird – aber es tut auch einfach der Natürlichkeit des Schauspiels nicht gut, wenn gerade so junge Darsteller*innen in einer Nicht-Muttersprache performen müssen.
Zum anderen ist da der Dreh mit dem Tigerbaby, der sicherlich einigen sauer aufstoßen wird. Aber schon hier schlägt sich die Vorgeschichte des Regisseurs als Dokumentarfilmer positiv nieder: Denn in der weit überwiegenden Zahl der Szenen muss das Tigerbaby nicht irgendwelche (erzählerischen) Aufgaben erfüllen, sondern ist einfach nur mit dabei – wobei es meist einfach nur ausdauernd an den Stiefeln seines menschlichen Co-Stars Sunny Pawar herumkaut. Das wirkt, wenn man es nicht grundsätzlich ablehnt, angenehm entspannt-beobachtend und wenig ausbeuterisch.
Muki ist nicht da, um Kunststückchen zu vollführen – sondern knabbert die meiste Zeit einfach neugierig an den Stiefeln seines Co-Stars herum.
Apropos Dokumentarherkunft: „Die Legende vom Tigernest“ ist voll von dokumentarisch anmutenden Aufnahmen der Tierwelt und der Landschaft Nepals, die gerade auf der großen Kinoleinwand voll zur Geltung kommen. Der Höhepunkt ist dabei sicherlich ein kurzer Abstecher zu den sogenannten Honigjägern, die zweimal jährlich an den Hunderte Meter hohen Steilwänden im Himalaya herumkraxeln, um dort einen besonders bekömmlichen und seltenen Honig zu ernten. Selbst wenn man nur von unten an den gigantisch langen Strickleitern hinaufschaut, bekommt man im sicheren Kinosessel gewisse Anflüge von Höhenangst.
Erzählerisch erweist sich „Die Legende vom Tigernest“ unterdessen als streng episodisches Road-Movie, bei dem das dramaturgische und emotionale Potenzial der einzelnen Stationen selten ausgeschöpft wird. Wenn Balmani neue Bekanntschaften wie ein verletztes Nomadenmädchen oder den hilfsbereiten Sohn eines Honigjägers kennenlernt, dann verabschieden sie sich meist zwei, drei Szenen später ohne großes Gewese auch schon wieder. Das Drehbuch von Rupert Thomson und Hugh Hudson (oscarnominiert für „Die Stunde des Siegers“) nach einer Story-Idee des Regisseurs ist hier ganz offensichtlich vor allem ein Mittel zum Zweck, um an die richtigen Orte für die möglichst spektakulären Bilder zu kommen – und zumindest diese Aufgabe hat es ja auch erfüllt…
Fazit: Ein etwas holprig erzähltes Familienabenteuer, das vor allem in seinen vielen dokumentarisch anmutenden Momenten überzeugt – dann nämlich kommen die spektakulären Schauwerte Nepals und des Himalayas besonders gut zur Geltung.