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    La Cocina - Der Geschmack des Lebens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    La Cocina - Der Geschmack des Lebens

    Ein turbulenter Tag in einer Steakhausküche am Times Square

    Von Christoph Petersen

    Es wurde immer wieder gesagt, dass heute keine Cherry Coke bestellt werden könne, weil der Hebel des Automaten kaputt sei. Aber in der mittäglichen Rushhour des Steakhauses The Grill am New Yorker Times Square vergisst eine der Kellnerinnen die eindringliche Warnung – und schenkt doch ein Glas ein. Kurz darauf steht die gesamte Großküche zentimeterhoch unter Wasser bzw. Cherry Coke. Aber selbst das hält die Köch*innen und das Servicepersonal nicht davon ab, weiter umeinander zu wuseln und mit scheinbar perfekt aufeinander abgestimmten Bewegungen für eine möglichst reibungsfreie Bedienung der hungrigen Gäste zu sorgen. Der mexikanische Regisseur Alonso Ruizpalacios („Ein Polizei-Film“) hat diese minutenlange Sequenz, die aus der Küche zwischendrin auch hoch in den Gastraum und wieder zurückwechselt, in seinem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „La Cocina“ in einer einzigen Einstellung und ohne Schnitt gedreht.

    Auch abseits dieser sicherlich eindrucksvollen Plansequenz offenbart Ruizpalacios einen konsequenten Hang zu großen inszenatorischen Gesten: In gestochenem Schwarz-Weiß gedreht, schiebt sich das Bild jedes Mal zusammen, wenn die Kamera die engen Gänge in den Katakomben des Steakrestaurants betritt. Die Bildausschnitte sind zudem selten herkömmlich gewählt. So ist einmal nur der Kopf der gerade erst neu zum Team gestoßenen Estela (Anna Ruiz) am unteren Rand zu sehen, während der obere Teil von einem Abstellbord dominiert wird, in deren metallener Oberfläche sich ihre Kochmütze spiegelt. Auch an Provokationen spart Ruizpalacios nicht: Als sich Koch Pedro (Raúl Briones Carmona) in der Kühlkammer von der kurz vor einer Abtreibung stehenden Kellnerin Julia (Rooney Mara) einen runterholen lässt, ejakuliert er auf das tiefgefrorene Fleisch, das den Gästen die nächsten Stunden über serviert werden wird.

    Filmadora / Juan Pablo Ramírez
    Pedro (Raúl Briones Carmona) will unbedingt verhindern, dass Julia (Rooney Mara) sein Kind abtreibt.

    Es lässt sich kaum vermeiden, bei „La Cocina“ an die ja eh gerade omnipräsente und vielfach preisgekrönte Serie „The Bear: King Of The Kitchen“ zu denken. Aber wo Jeremy Allen White als Chefkoch Carmy trotz des auch mal überkochenden Drucks in der Serie immer ein charismatischer Leader bleibt, entpuppt sich Pedro vor allem als nerviges Arschloch, das sich konsequent in den Mittelpunkt drängt, mit Messern auf Kollegen losgeht und Kellnerinnen zum Weinen bringt (und wehe, sie halten mal gegen seine Beleidigungen dagegen). Auch das ist eine mutige Entscheidung von Ruizpalacios, zumal er seinen Protagonisten auf der Zielgeraden auch noch in Richtung einer tragischen Erlöserfigur mit Spaghetti-Dornenkrone umzudeuten versucht.

    Im Gegensatz zu „The Bear“, einer aller Küchen-Konflikte zum Trotz herzerwärmenden Feel-Good-Serie, ist „La Cocina“ deshalb insgesamt eine ziemlich schroffe, manchmal sogar regelrecht unangenehme Seherfahrung – und dafür steht der Pay-Off dann einfach nicht in einem angemessenen Verhältnis. Die Küche wird trotz der Laufzeit von zwei Stunden und 19 Minuten nie zu einem kohärenten Ort: Abseits der oben genannten Plansequenz, wo alle plötzlich wie Ameisen schuften, scheinen die meisten Angestellten einen Großteil der übrigen Zeit gar nicht zu arbeiten, sondern sich stattdessen um ihre privaten Probleme zu kümmern – und die verharren im Gegensatz zur betont künstlerischen Inszenierung dann doch überwiegend auf Seifenoper-Niveau.

    Gleich zwei Pointen aus der Mottenkiste

    Zwei zentrale Konflikte halten das Geschehen den Tag über am Laufen: Zum einen wurden am Vorabend offenbar etwas mehr als 800 Dollar aus der Kasse gestohlen – und weil die Polizei angesichts der vielen illegal Beschäftigten in der Küche auf keinen Fall eingeschaltet werden soll, führen die Restaurantmanager ihre eigenen Befragungen und Nachforschungen durch. Zum anderen hat Pedro seiner Affäre Julia zwar das nötige Geld für eine Abtreibung besorgt, will sie nun aber doch noch davon überzeugen, das Kind zu bekommen. Da werden auch direkt Fragen von Rassismus, Sexismus und migrantischen Erfahrungen ausgiebig mitverhandelt, aber das angestrebte Melodrama kommt trotzdem nie richtig in die Gänge, was mitunter auch den schlecht-kitschigen Dialogen zuzuschreiben ist – und dann werden die beiden Handlungsstränge auch noch jeweils mit einer sicherlich bitter-ironisch gemeinten, aber letztendlich ziemlich altbackenen Pointe zum Abschluss gebracht.

    Fazit: Ein Film wie das Klischee eines Drei-Sterne-Menüs – alles wird betont kunstvoll präsentiert, aber am Ende liegt da (trotz einer Laufzeit von 139 Minuten) einfach nur sehr wenig auf dem Teller.

    Wir haben „La Cocina“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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