Lüg' mich bis zum Mond
Von Sidney ScheringDie Raumfahrt dient seit Jahrzehnten als Steilvorlage für Verschwörungstheoretiker*innen – und davon inspirierte Filme über fiktive Skandale: Im Thriller „Unternehmen Capricorn“ von 1978 droht etwa die US-Regierung, das Weltraumprogramm mangels Zuspruch der Wählerschaft zu stutzen. Also täuscht die NASA kurzerhand eine Reise zum Mars vor, um sich weiterhin die üppigen Steuermittel zu sichern. 46 Jahre später spinnt nun Greg Berlanti eine ungleich leichtfüßigere Geschichte über NASA-Fakes sowie das Ringen um Akzeptanz seitens Volk und Politik.
Beim „Love, Simon“-Regisseur will sich die NASA mit allerlei Werbelügen zurück in die Herzen der wählenden Bevölkerung flunkern – mit einer reibungslosen Mondlandung als krönendem Abschluss! Rund um diesen satirisch angehauchten Marketing-Plot entwickeln sich zudem noch eine Screwball-Romanze zwischen Scarlett Johansson und Channing Tatum sowie ein erstaunlich bodenständiges Apollo-11-Drama. Beim Versuch, diese tonal doch sehr unterschiedlichen Stränge zusammenzuführen, gerät „To The Moon“ allerdings zunehmend ins Trudeln...
In den 1960er Jahren hat die Sowjetunion die USA beim Wettlauf ins All abgeschüttelt. In der Folge zeigt die US-Bevölkerung dem Thema vermehrt die kalte Schulter. Auftritt Kelly Jones (Scarlett Johansson): Die wandelnde Werbewunderwaffe soll der US-Öffentlichkeit das Bestreben der NASA wieder schmackhaft machen. Mit ihrer quirligen Art und ihrem Hang zur unverschämten Lüge geht Kelly dem NASA-Startdirektor Cole Davis (Channing Tatum) jedoch gehörig auf den Keks. Und dann erhält sie vom Geheimdienstler Moe Berkus (Woody Harrelson) auch noch den Auftrag, parallel zur realen Apollo-11-Mission vorsichtshalber auch noch eine gefälschte Mondlandung zu inszenieren…
Eine modisch-spießige Frisur und ein flinkes Mundwerk, mit dem sie Herren sprachlos macht: Scarlett Johansson („Black Widow“) lässt als Kelly Jones einen Hauch von Doris Day durch „To The Moon“ wehen. Die Hollywood-Ikone plauderte sich in ihren oft kopierten, aber selten erreichten Romantik-Komödien schließlich ebenfalls mit Eloquenz, Witz und einem Quäntchen Glück durch allerlei Männerdomänen. Drehbuchautorin Rose Gilroy erreicht den Esprit der Day-Klassiker zwar nur teilweise, trotzdem verkörpert Johansson Kellys Raffinesse mit ansteckender Spielfreude – insbesondere, wenn sie aus dem Stand regionale Akzente imitiert, um ihre Gegenüber zu neppen.
Aber während Johansson schlagfertig abliefert, sprühen zwischen ihr und ihrem Co-Star Channing Tatum („Magic Mike“) nach einem gewitzt-überzeichneten Kennenlernen leider keinerlei romantische Funken. Aber das liegt nicht allein an den beiden Stars, die die kollegiale Sympathie und die ständige Frustration zwischen ihren Figuren überzeugend verkaufen. Es liegt vielmehr daran, wie unbeseelt Coles und Kellys weitere Annäherung skizziert wird – sowie an dem erzählerischen Ungleichgewicht zwischen den beiden: Während Johansson für den Großteil ihrer Szenen fest in Hollywoods Screwball-Tradition verortet bleibt, muss Tatum einen tonalen Spagat bewerkstelligen.
Einerseits ist Cole im Zusammenspiel mit Kelly der nörgelnde Spielverderber. Andererseits ist er aber auch der treibende Faktor bei den zumeist ernsthaft eingefangenen Apollo-11-Vorbereitungen. In diesen Passagen verkörpert Tatum einen mit Erwartungsdruck, Gewissensbissen und technischen Problemen hadernden Ingenieur, der zugleich lachhaft abergläubisch ist und einer schwarzen Katze hinterherjagt wie eine Cartoon-Figur. Diese Tonfallwechsel gestalten sich äußerst holprig, was es Tatum noch schwieriger macht, seine unzweifelhaften komödiantischen Fähigkeiten voll auszuspielen. In einzelnen nachdenklichen Momenten vermittelt er trotzdem effektiv Coles Begeisterung für seinen Job sowie seine Ehrfurcht vor dem Weltall. Ein besonnenes Abendessen mit einem Politiker, den Cole von der NASA überzeugen muss, entwickelt sich dank Tatums Spiel glatt zu einem Highlight von „To The Moon“ – auch ganz ohne komödiantischem Knalleffekt.
Einige der ernsteren Passagen muten aber auch einfach an wie ein weniger intensiver Abklatsch von Damien Chazelles „Aufbruch zum Mond“. Enttäuschend ist auch, mit wie wenig satirischem Biss der Film Kellys Presselügen und der ungezügelten Werbemaschinerie begegnet – statt saftiger Pointen gibt es da eher sanfte Retourkutschen. Die unterschwellige Botschaft, Fortschritt sei nur durch ungezügelten Hurra-Kapitalismus und sich willig beugender Presse möglich, klingt da eher nach SpaceX-Konzernkredo als nach NASA-Idealismus. Umso erstaunlicher, dass es Gilroy tatsächlich gelingt, aus dieser kuriosen Mischung aus Apollo-11-Drama und Sechzigerjahre-Screwball-Komödie plausibel zwei parallele Handlungen um die echte und eine gefälschte Mondlandung zu spinnen.
Der Bezug zur unkaputtbaren Verschwörungstheorie, die Mondlandung sei bloß eine Inszenierung (womöglich sogar von „Shining“-Regisseur Stanley Kubrick), wird in „To The Moon“ immer wieder durch süffisante Dialoge sowie ironisch-verspielte Absurditäten hergestellt. Zugleich generiert Gilroy durch dieses Story-Element effizient Spannung, da es einen Keil zwischen die Hauptfiguren zu treiben droht. Zwar gerät das Kapitel über die Fake-Mondlandung eine Spur zu lang, sodass einige der quirligen Comedy-Einfälle verpuffen, dennoch glänzen „Community“-Star Jim Rash als brabbelnder, affektierter Regisseur und Woody Harrelson als amüsant-geheimnisvoller, arg begriffsstutziger Regierungsbeamter. Trotz der gut aufgelegten Stars lässt Berlantis inszenatorisches Gespür für Slapstick zu wünschen übrig, was dem Chaos am Mond-Set ein wenig den Zunder nimmt. Mit so wenig Antrieb wäre Apollo 11 wahrscheinlich tatsächlich nicht bis zum Mond gekommen.
Fazit: Screwball-Komödie, Marketing-Satire, Verschwörungs-Thriller und Raumfahrt-Drama – „To The Moon“ bedient zu viele verschiedenen Genres und Tonfälle zugleich, um allen wirklich gerecht werden zu können. Aber abgebrochen werden muss die Mission trotzdem nicht – dafür sorgen schon die ansteckend-amüsierte Scarlett Johansson, ein redlich bemühter Channing Tatum sowie die sich voll ins Zeug legenden Co-Stars Jim Rash und Woody Harrelson.