Ein hochverdientes Denkmal für die Rote Kapelle - und ein richtig guter Film!
Von Michael MeynsIn den vergangenen Jahren hat sich Andreas Dresen zunehmend vom Regisseur zeitgenössischer Beziehungsfilme hin zum Chronisten deutscher Geschichte entwickelt. Seinen Anfang nahm das mit dem Nachwendefilm „Als wir träumten“ sowie dem Biopic „Gundermann“ über den ostdeutschen Liedermacher und Stasi-Informanten. In „Rabiye Kurnaz gegen George Bush“ standen dann der ungerechtfertigterweise in Guantánamo inhaftierte Deutsch-Türke Murat Kurnaz und der Kampf seiner Mutter für Gerechtigkeit im Mittelpunkt.
Mit seinem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „In Liebe, Eure Hilde“ ist Dresen nun bei dem Thema gelandet, mit dem sich das deutsche Kino seit Jahrzehnten auseinandersetzt: Nationalsozialismus und Holocaust, Vergangenheitsbewältigung und Widerstand. Und auch wenn er dem Thema auf den ersten Blick nicht viel Neues abgewinnen kann: Durch seinen nüchternen Blick, der sich ganz auf die Kraft seiner Geschichte und die Qualität der Hauptdarstellerin Liv Lisa Fries verlässt, entwickelt sich das ruhige, zurückgenommene Drama zu einer berührenden Geschichte über Menschen, die einfach nur das Richtige tun.
Berlin, 1942. Hilde Coppi (Liv Lisa Fries) wird verhaftet. Der Vorwurf: Das Verfassen von Schriften gegen das Nazi-Regime, Abhören von Feindsendern, Spionage. In der Berliner Haftanstalt Plötzensee wird Hilde den Rest ihres kurzen Lebens verbringen und dabei auch ein Kind zur Welt bringen. In Freiheit waren Hilde und ihr Mann Hans (Johannes Hegemann) im Widerstand aktiv, in einer losen Gruppe von meist jungen Aktivisten, die später einmal als „Rote Kapelle“ bezeichnet werden wird…
Seit mehr als 30 Jahren ist Deutschland schon wiedervereint, doch vieles trennt Ost und West noch immer. Zum Beispiel die Erinnerung an die ohnehin ja nicht allzu zahlreichen Widerstandskämpfer*innen, die im Dritten Reich gegen das Nazi-Regime kämpften und ihren Mut oft mit dem Leben bezahlten. Im Westen wurde in der Nachkriegszeit vor allem der Geschwister Scholl und den Verschwörern vom 22. Juli rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg gedacht. Im Osten dagegen waren es die Widerständler, die unter dem Oberbegriff „Rote Kapelle“ zusammengefasst wurden, an die man sich erinnerte und nach denen Straßen benannt wurden. Aus Sicht des Westens lag der „Fehler“ der Gruppe darin, dass viele von ihnen Kontakte nach Moskau hatten – sie zwar gegen das Nazi-Regime spionierten, aber eben auch für die Sowjetunion. Und das machte sie nach Kriegsende und mit Beginn des Kalten Krieges im Westen zu fragwürdigen Gestalten.
Seit einigen Jahren wird der Blick auf die Mitglieder der „Roten Kapelle“ allerdings komplexer. 2021 kam etwa ein Dokumentarfilm über die Widerständler*innen ins Kino, auch der 1971 gedrehte DEFA-Film „KLK an PTX – Die Rote Kapelle“ wurde wiederentdeckt. Nun also Andreas Dresens „In Liebe, Eure Hilde“. Erneut verfilmt Dresen hier ein Drehbuch von Laile Stieler, mit der er seit vielen Jahren zusammenarbeitet und die auch schon die Bücher zu den anderen historischen Filmen Dresens geschrieben hat. Diesmal bedient sie sich einer zweiteiligen, gegenläufigen Struktur, die zumindest zur Hälfte an Christopher Nolans „Memento“ und noch mehr an Gaspar Noés „Irreversible“ erinnert:
Während ein Teil des Films Hildes Weg von der Gefangennahme bis zur Hinrichtung linear erzählt, schildern Rückblenden ausschnittsweise die Vorgeschichte – und zwar in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge. Szenen kurz vor der Verhaftung, als die Gefahr durch die Gestapo schon spürbar ist, sieht man also vor Szenen, in denen sich Hilde immer mehr beim Widerstand engagiert, bevor man erst kurz vor Ende die zarten, noch völlig unbeschwerten Anfänge der Beziehung zwischen Hilde und Hans an einem Badesee beobachten kann. Was anfangs noch wie ein etwas forcierter dramatischer Kniff wirkt, erweist sich mit zunehmender Dauer allerdings als brillanter Dreh.
Dresen erzählt keine betont spannungsgeladene Widerstandsgeschichte voller Action und Schießereien. Es gibt keine dramatischen Geheimübergaben und auch die Darstellung der Folter, die die Widerständler*innen in Gefangenschaft erlitten, ist auf ein Minimum reduziert. Ruhig und zurückgenommen, ohne jede Musikuntermalung, in leicht körnigen, ein wenig wie alte Fotos wirkenden Bilder seiner Kamerafrau Judith Kaufmann erzählt Dresen das Leben von Hilde Coppi – ohne dramatische Zuspitzung, ohne laut zu werden, ohne Ausrufezeichen.
In praktisch jeder Szene ist seine Hauptdarstellerin Liv Lisa Fries zu sehen, die sich nach Jahren in „Babylon Berlin“ inzwischen gut in dieser Ära auskennt, hier aber so gut ist wie nie zuvor. Eine schüchterne junge Frau ist sie am Anfang. Sie macht auch aus wachsender Liebe zu Hans im Widerstand mit, vor allem aber, weil es ihr als das Richtige, das Moralische erscheint. Was das genau ist, wird jedoch nicht in großen, überdeutlichen Monologen gesagt, sondern durch ruhige Beobachtung gezeigt.
Schon in „Rabiye Kurnaz gegen George Bush“ hatten sich Dresen und Stieler eines ganz ähnlichen Ansatzes bedient, der gewagt war, aber Früchte trug: Die endlos lange Leidensgeschichte von Murat Kurnaz, der viele Jahre in Guantánamo inhaftiert war, immer wieder von deutschen Behörden und Politikern im Stich gelassen wurde, bis er endlich freikam, wurde in einer schier endlosen Und dann-und-dann-und-dann-Narration erzählt, die einfach nur zeigte, was passierte – und gerade dadurch langsam, aber unerbittlich eine enorme Kraft entwickelte. Auf ähnliche Weise funktioniert nun auch „In Liebe, Eure Hilde“ und schafft es so, dem Thema Widerstandsfilm doch noch etwas Überraschendes abzugewinnen.
Was nicht zuletzt deswegen gelingt, weil Dresen weitestmöglich auf Klischees verzichtet, keine laut schreienden, geifernden Nazis zeigt, keine vor Hass triefenden Normalbürger*innen, auch keine allzu heroisch agitierenden Widerstandskämpfer*innen. Hier sind einfach nur junge Menschen zu sehen, die sich gegen das Regime stellen, die agieren, wo viel zu viele still waren. Wenn Hilde dann im Gefängnis mit ihrer ruhigen Art ihrem Schicksal entgegensieht, kann sich sogar die anfangs distanzierte Wärterin nicht verschließen. Dies nicht mit konstruierten Szenen, mit platten Dialogen zu unterstreichen, sondern sich ganz auf das Zeigen zu verlassen, war das Wagnis, auf das sich Dresen eingelassen hat. Dazu das Vertrauen in seine Hauptdarstellerin, vor allem aber auf das bemerkenswerte Leben der Hilde Coppi, die 1943 mit nur 34 Jahren hingerichtet wurde.
Fazit: Auch wenn sich Andreas Dresen in den eigentlich mehr als ausgetretenen Gefilden des Drittes-Reich-Widerstandskinos bewegt, gelingt ihm mit einem ambitionierten erzählerischen Ansatz, einer herausragenden Hauptdarstellerin und vor allem seiner Fähigkeit zu ruhigem, emphatischem Beobachten ein berührender Film über eine Frau im Widerstand und die Kraft der Liebe.
Wir haben „In Liebe, Eure Hilde“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.