Die fade Auflösung hält nicht, was die spannende Prämisse verspricht
Von Oliver KubeIn „Berlin Nobody“ stehen ein Vater und seine Tochter im Zentrum. Auch hinter der Kamera war eine solche Konstellation entscheidend am Film beteiligt: Der Regie-Titan Ridley Scott („Gladiator 2“) zog als Produzent die Strippen, während seine Tochter Jordan Scott für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnete. Der Sekten-Thriller ist erst der zweite Langfilm der in Los Angeles lebenden, primär für die dortige Werbebranche tätigen Britin – und kommt nun satte 15 Jahre nach „Cracks“, indem Eva Green als Internatsleiterin eine ungesunde Obsession für ihre neue Schülerin (Juno Temple) entwickelt.
Wie schon ihr Debüt punktet auch „Berlin Nobody“ mit einer vielversprechenden Mystery-Prämisse – und kann zudem auch visuell wie atmosphärisch überzeugen. Die Charaktere und der Fortgang der Story sind hingegen weit weniger gelungen. Wenn schließlich der Abspann läuft, dürfte die Reaktion des Publikums wohl am ehesten in folgende Richtung gehen: „Das soll es jetzt wirklich schon gewesen sein?“ Oder auch: „Diesen lahmen Twist sollen wir euch ernsthaft abkaufen?“
Ben Monroe (Eric Bana) ist ein in Fachkreisen hochgeschätzter Sozialpsychologe, der nach der Scheidung von seiner Frau aus den USA nach Berlin gezogen ist, wo er nun als Gastdozent an der Uni arbeitet. Zudem schreibt er an einem neuen Buch über sich freiwillig von der Gesellschaft isolierende Menschen. Durch einen ehemaligen Studienkollegen (Stephan Kampwirth), der inzwischen bei der Polizei angestellt ist, hat Monroe exklusiven Zugang zu für seine Arbeit relevanten Kriminalfällen. Bei der Forschung an einem mysteriösen Massenselbstmord lernt er zudem die Verfassungsschutz-Ermittlerin Nina Hoffmann (Sylvia Hoeks) kennen.
Am selben Tag trifft auch Bens Tochter Mazzy (Sadie Sink) aus Kalifornien in Berlin ein. Ihre Mutter ist mit der Teenagerin offenbar überfordert und hat sie deshalb nach Deutschland geschickt – vorgeblich, damit sie und ihr Vater sich wieder näherkommen. Doch Ben ist viel zu sehr mit seinem Buch und vor allem der attraktiven Nina beschäftigt. So zieht Mazzy alleine los, um ihre neue Umgebung zu erkunden – und läuft dabei dem nur wenig älteren Martin (Jonas Dassler) über den Weg. Die beiden treffen sich häufiger und der junge Mann macht Mazzy schließlich mit Hilma (Sophie Rois) bekannt. Sie ist die Anführerin einer privaten Organisation, die sich für die Rettung der Umwelt einsetzt und laut eigener Aussage bereit ist, dafür auch „radikale Opfer“ zu bringen…
„Berlin Nobody“ basiert auf dem Roman „Tokyo Nobody“* des britischen Schriftstellers Nicholas Hogg. Der Schauplatz der Handlung wurde für die Verfilmung also aus der japanischen in die deutsche Hauptstadt verlegt. Dort gibt es nun die üblichen Aufnahmen – vom Alexanderplatz, von Kreuzbergs Straßenzügen und einem Techno-Club, der wohl das Berghain darstellen soll. Eine echte Rolle spielt Berlin – trotz der Nennung im angepassten Titel – allerdings nicht. Das Ganze hätte problemlos auch in New York, Paris, oder sonst irgendeiner beliebigen modernen Großstadt stattfinden können.
Als ähnlich generisch bis geradezu hanebüchen entpuppt sich auch die „Philosophie“ der sich schon bald als eine Art Selbstmord-Sekte herausstellenden Umweltaktivistengruppe um die Figur der seltsam desinteressiert wirkenden Sophie Rois („A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“). Klar, die von der deutlich engagierter auftretenden „Stranger Things“-Durchstarterin Sadie Sink verkörperte Mazzy ist noch sehr jung, in Martin verliebt und von einem traumatischen Erlebnis in ihrer Vergangenheit gezeichnet. Trotzdem wird sie uns nicht als besonders naiv oder gar einfach gestrickt präsentiert. So wirkt es doch arg unglaubwürdig, wie schnell sie die leeren Worthülsen und plumpen Schlagwörter des Kults schluckt.
Mit den effektiv-unterkühlten Bildern vom Auffinden des schaurigen Massenselbstmords zum Einstieg sowie dem Etablieren der angespannten Vater-Tochter-Beziehung baut Scott im ersten Teil des Films noch recht geschickt ein Gefühl von Suspense auf. Allerdings funktioniert die Auflösung des Szenarios dann leider so gar nicht: Selbst als überraschend gedachte Wendungen in der Handlung sind sehr früh zu durchschauen, weil sie doch allzu plump vorbereitet werden. So wirkt das ohnehin absehbare Ende viel zu lange hinausgezögert. Zudem nimmt Scott mögliche Gründe, weshalb Menschen tatsächlich in solche Situationen geraten, offenbar nicht ernst genug, um sie uns authentisch zu vermitteln.
Emotionen wie Versagensängste, Verlust, Schuld, Enttäuschung und Ressentiments werden in Bezug auf die Hauptcharaktere und ihre Beziehungen zueinander nicht wirklich erforscht. Stattdessen holt Scott sie lediglich als Werkzeuge hervor und setzt sie hier und dort ein, um die Figuren an den Punkt zu bringen, an dem das Skript sie jeweils gerade braucht, um zum Ziel zu gelangen. Dementsprechend eindimensional geraten die Protagonist*innen – speziell Eric Banas Ben wirkt geradezu fade. So stellt sich schon lange vor dem ebenso platt wie konstruiert anmutenden Finale zunehmend Langeweile ein.
Fazit: Jordan Scotts langatmiger Psycho-Thriller startet mit einer vielversprechenden Prämisse, nimmt aber seine Figuren und sein Thema nicht ernst genug, um die Spannung auch längere Zeit hochzuhalten. Stattdessen wird zu eindimensional auf Plot-Twists hingearbeitet, die man eh schon längst kommen sieht und zudem oft auch noch über die Maßen forciert wirken.
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