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    Alle reden übers Wetter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Alle reden übers Wetter

    Vom Saufverhalten der Provinzler und Akademiker

    Von Kamil Moll

    In der Provinz betrinken sich Menschen anders als an der Uni. Diesen vermeintlichen Unterschied betont Annika Pinske in ihrem Regiedebüt „Alle reden übers Wetter“ öfter als alles andere: Kristallgläser mit Goldrand gegenüber gerillten Plastikbechern, Serviertabletts mit Champagner gegenüber endlosen Runden „Hustensaft“ auf der Bierbank. In den Details, wie gesoffen wird, lässt sich am einfachsten erkennen, wie sich der Film Gegensätze vorstellt und wie er mit ihnen auch argumentieren will.

    Clara (Anne Schäfer) ist Ende 30 und Philosophie-Doktorandin an der Humboldt-Universität in Berlin. Zum Geburtstag ihrer Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) reist sie ins Mecklenburg ihrer Kindheit – und muss sich dort sowohl mit ihrer ländlichen wie ihrer ostdeutschen Herkunft auseinandersetzen, obwohl sie mit dem Einschlagen ihrer akademischen Laufbahn eigentlich beides längst überwunden glaubte. In Claras Utilitarismus-Seminar analysieren ihre Studierenden unterdessen ein Gemälde von Roy Lichtenstein namens „Drowning Girl“: Warum ist das Bild einer Frau, die gerettet werden möchte, ein Klischee?

    Akademische Seminare in der Stadt ...

    Auch „Alle reden übers Wetter“ möchte sich spürbar von zu einfachen Stereotypen und Zuschreibungen lösen, erschafft dabei aber immer wieder neue. Insbesondere die erste Hälfte des Films verfängt sich darin, zu viele Situationen in zu kurzer Zeit herbeizuschreiben, um den vermeintlich komplexen Mikrokosmos Universitätsbetrieb in verknappten Details greifbar werden zu lassen: Ein frisch emeritierter Professor beschämt seine ehemaligen Kollegen mit einer gönnerhaften Würdigung der „starken Frau an seiner Seite“; eine Assistentin mit Doktortitel richtet sich in einer akademischen Schattenexistenz ein; eine Gastdozentin (großartige Comedy-Miniatur: Sandra Hüller) konfrontiert ihre ehemalige Professorin mit vor Jahren erfahrenen Erniedrigungen; ein studentischer Mitarbeiter, zu dem Clara eine Fuck-Buddies-Beziehung unterhält, profiliert sich auf ihre Kosten bei einer Feier.

    An der Universität geht es ums Aushandeln von Machtpositionen, bei dem Demütigungen und permanent erneuerte Beziehungsverknüpfungen und erzwungene Mesalliancen unumgänglich sind. Aber so einleuchtend und zutreffend diese im Film etwas überstrapazierte Diagnose auch sein mag – in diesen Szenen funktioniert „Alle reden übers Wetter“ vor allem über seinen Wiederkennungswert: Like, wer‘s kennt.

    Hafer kann man doch nicht trinken

    Entspannter, wenn auch nicht immer weniger schematisch, werden Tonfall und Erzählweise im zweiten Teil des Films. Claras Reise in die mecklenburgische Provinz inszeniert die Regisseurin als locker verknüpfte Miniaturen, in denen Konflikte eher beiläufig gestreift als greifbar ausgearbeitet werden. Im Gespür für sicher ausgespielte Situationskomik scheint dabei der gute Einfluss der Regisseurin Maren Ade durch, an deren Film „Toni Erdmann“ Pinske als Assistentin beteiligt war. Dadurch bleibt selbst der bärbeißige Drehbuch-Schnack der Dorfbewohner („So was wie Hafermilch habt ihr nicht, oder?“ „Was ist das denn? Das ist doch Getreide.“) meist in der Schwebe zwischen Sozialklischee und lustvoll bewusstem Spiel mit genau solchen Stereotypen.

    Wie zuletzt Sabrina Sarabis „Niemand ist bei den Kälbern“, ein anderer sanfter Exorzismus der Verletzungen, die das Leben in der Provinz hinterlassen kann, bewahrt sich auch „Alle reden übers Wetter“ letztlich einen romantisierenden Rest, über den sich der Film ja eigentlich hinwegsetzen wollte: Jahre später den Jungen (viel zu selten in Hauptrollen zu sehen: Max Riemelt) zu küssen, der einen zu Schulzeiten verließ, kann etwas Tröstliches und Trostloses zugleich sein.

    ... und Supermarkt in Schlabberlook auf dem Land.

    „Niemand wird so wieder werden“ ist ein etwas sämiges Lied der DDR-Band Puhdys, das in der Titelsequenz des Films einen Ton der Unumgänglichkeit – „Niemand kann zurück sich regen, weil er immer reifer wird / Niemand kann sich frei bewegen, hat er sich einmal verirrt“ – setzt, von dem der Film sich im weiteren Verlauf unbedingt lösen möchte. Möglicherweise ist „Alle reden übers Wetter“ im Bemühen, eine sich zwischen Ost und West, Stadt und Land aufreibende Identität auszusöhnen, aber auch unbewusst der letzte Film der langen Regierungszeit von Angela Merkel:

    Im Uni-Kurs wird über die Progressivität von Männlichkeitsbildern ausgerechnet anhand von Angela Merkels Ehemann Joachim Sauer diskutiert, und auf dem Dorf tanzen Boomer zum Toten-Hosen-Lied „Tage wie diese“ wie 2013 beim Wahlkampfsieg die Parteispitze der CDU. Gelungener hingegen ist der Film immer dann, wenn er sich in der Form einer ungezwungenen Komödie einfach über all die (behaupteten) Gegensätze hinwegsetzt und seine Figuren ausatmen lässt: Im Suff ist es wohl doch überall in Deutschland gleich trüb.

    Fazit: Annika Pinskes Debütfilm verfängt sich zwar zu oft in den Klischees, die er eigentlich auflösen wollte, ist aber immer dann besonders gelungen, wenn er als gelöste Komödie seine sozialdramatischen Absichten mal eine Zeit lang beiseitelässt.

    Wir haben „Alle reden über das Wetter“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er in der Sektion Panorama gezeigt wurde.

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