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    Moonage Daydream
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Moonage Daydream

    Der ultimative David-Bowie-Trip

    Von Michael Meyns

    Ziggy Stardust, Thin White Duke, Major Tom. Das sind nur einige der Personas, die David Robert Jones, besser bekannt als David Bowie, im Laufe seiner Karriere verkörperte. 2016 starb der Künstler mit nur 69 Jahren und hinterließ ein enormes Archiv, die Rede ist von bis zu fünf Millionen (!) Dokumenten aller Art. Der Dokumentarfilmer Brett Morgen hat sich nun durch diese schiere Datenmasse gekämpft und aus einem Teil des Materials den sensationell guten „Moonage Daydream“ geformt. Ein Dokumentarfilm, aber keine trockene Biographie, sondern eine expressive Kollage aus Bildern und Musik, Gedanken und Inspirationen, in der fast nur David Bowie selbst zu Wort kommt. Das Ergebnis ist eine Hagiographie, aber was für eine! Wer vor dem Film noch kein Bowie-Fan ist, wird es spätestens nach den 140 Minuten garantiert sein.

    „Moonage Daydream“ beginnt mit Bildern des Mondes. Womit auch sonst, schließlich wurde David Bowie immer wieder mit einem Außerirdischen verglichen; er sang von Flügen ins All und spielte in seiner ersten Filmrolle in Nicolas Roegs „Der Mann der vom Himmel fiel“ ein Alien. „Alles ist vergänglich“, hört man Bowie da in Bezug auf den Buddhismus sagen. Die Religion prägt seine Lebensphilosophie, aber nicht ausschließlich. Gleich in den ersten Minuten wirft Brett Morgen mit Zitaten aus Film- und Popgeschichte regelrecht um sich, zeigt Bilder aus „Metropolis“ und „Nosferatu“, zitiert Nietzsche und Brecht, rasant montiert, mit Bowies „All The Young Dudes“ unterlegt. Ein atemberaubender Auftakt, aber auch eine ziemliche Fallhöhe: Aus all dem Material schöpfen zu können, das Bowie im Laufe seines Lebens angesammelt hat, mit unbegrenztem Zugriff auf Gemälde, Skulpturen, Kurzfilme und natürlich die Musik des Künstlers, dazu von der Erbengemeinschaft völlige kreative Freiheit zugesichert – von solchen Möglichkeiten können die allermeisten Filmemacher*innen nur träumen, sie könnten einen aber auch lähmen.

    Es ist ja eigentlich gar nicht möglich, einen langweiligen Film über David Bowie zu machen...

    Fünf Jahre hat sich Brett Morgen durch das Material gekämpft und im Schneideraum verbracht, um am Ende einen Film vorzulegen, der sämtliche Fallstricke eines biographischen Dokumentarfilms umschifft, dem es trotz seiner Länge von 140 Minuten gelingt, nie durchzuhängen, der im Gegenteil zum Ende sogar noch einmal an Wucht zulegt. Das ist auch einer gewagten Entscheidung zu verdanken: Der lose rote Faden von „Moonage Daydream“ sind nicht die banalen biographischen Daten, sondern die emotionale Entwicklung Bowies, sein Wachsen als Künstler und vor allem als Mensch, seine Wandlung von einem tatsächlich schüchternen Mann, der sich auf der Bühne auslebte, zu einem in sich ruhenden Menschen, der mit Mitte 40 durch seine Ehe mit dem Model Iman endgültig zu sich selbst fand.

    Erzählt wird dieser Bogen praktisch ausschließlich durch die Worte Bowies selbst. Nur selten sind auf den dokumentarischen Aufnahmen Fans zu hören, die ihre Begeisterung für Bowie kaum bremsen können. Zum Glück für Morgen und die Nachwelt hat Bowie nicht nur viele Interviews gegeben, sondern vor allem auch ausgesprochen kluge, nachdenkliche und selbstreflexive. Diese Gespräche – meist aus dem englischen Fernsehen – bilden Ruhepole des Films, Momente, in denen der Fluss der Bilder zum Halt kommt, Bowie über sein Wesen nachdenkt, über seine Lust, immer neue Figuren zu spielen, vielleicht auch seine wahre Persönlichkeit hinter den grellen Masken von Ziggy Sturdust oder Major Tom zu verstecken. Lose folgen diese Gespräche dennoch dem Leben Bowies, angefangen beim Durchbruch Ende der 1960er, mit Phasen in Los Angeles und Berlin (wo Bowie hinzog, weil er nach der „mühsamsten Stadt suchte“). Die größten Pop-Erfolge in den 80ern kommen genauso vor wie späte Experimente mit Industrial- und Jungle-Musik.

    Völlig atemlos

    Pausen gönnt Morgen dem Zuschauer nur selten, die Interviewaussagen Bowies lassen das Bild eines komplexen, selbstreflexiven Menschen entstehen, der mit enormer Lust am Leben ausgestattet war, sich in vielfältigen Kunstformen ausprobierte, nie stillstehenden wollte, Jahrelang vielleicht auch mit einer gewissen Rastlosigkeit lebte, bis er in seinen letzten Jahren mit seiner Frau am Genfer See ein zu Hause fand. Auch Morgens Film kommt kaum zur Ruhe, aber warum auch? Wenn man so spektakuläres Material zur Verfügung hat, dazu die Masterbänder von Bowies Musik, da kann man halt kaum stillhalten. Bowies langjähriger Produzent Tony Visconti war für des Remastering der Musik verantwortlich, die gerade in den vielen Konzertaufnahmen mit enormer Wucht und Klarheit aus den Boxen dröhnt. Performances von „Heroes“, „Sound And Vison“ oder eine moderne Industrial-Version von „Starman“ zeigt Morgen in voller Länge, dazu private Aufnahmen aus Thailand und Berlin, beim Malen, bei Fotoshootings, beim schieren David Bowie-sein.

    Und was kam da bei diesem Mann alles zusammen: Diese markanten, unverwechselbaren Gesichtszüge, ein enormes künstlerisches Talent, dazu eine mysteriöse, androgyne Aura. Alles zusammen machte aus David Robert Jones David Bowie, eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Auch wenn es kaum möglich scheint, einen langweiligen Film über David Bowie zu drehen, gelingt Brett Morgen mit „Moonage Daydream“ dennoch Bemerkenswertes: Eine stilistisch atemberaubende Bild- und Tonkollage, die einen komplexen Künstler umkreist, sich ihm annähert, viel über sein Wesen und Denken verrät, ohne dabei sein Geheimnis zu entzaubern.

    Fazit: Brett Morgen schöpft für „Moonage Daydream“ aus dem reichen Fundus von David Bowies Nachlass und umgeht dabei mit seiner kollagenhaften Annäherung die Fallstricke einer konventionellen biographischen Dokumentation. Eine immer mitreißende, fantastisch geschnittene Hommage, gekrönt von der grandiosen Musik David Bowies.

    Wir haben „Moonage Daydream“ beim Filmfestival in Cannes 2022 gesehen, wo er als Midnight Screening gezeigt wurde.

     

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