Ein Urlaub zum Abgewöhnen oder die Frage: Wo wohnt eigentlich Phil Collins?
Von Joana MüllerBereits 2013 tauchte Samuel Perriard mit „Schwarzer Panther” (» aktuell bei Amazon Prime Video im Abo*) als junges Talent der Schweizerischen Filmbranche auf dem Radar der Festivalpresse auf. Im Zentrum seines provozierenden Debütfilms steht die verbotene Liebe zweier Geschwister, die ihrem Glück gegenseitig im Wege stehen. Trotz der Aufmerksamkeit hat es zehn Jahre gedauert, bis er mit „8 Tage im August” nun einen zweiten, mit Florian Lukas („Weissensee“) und Julia Jentsch („Der Pass“) deutlich prominenter besetzten Spielfilm nachlegt – und sich darin wieder dem Thema „Familie“ annimmt. Statt um Geschwister, die sich zu nahekommen, geht es diesmal um ein in Routinen feststeckendes Paar, dem ein wenig mehr Nähe sicherlich guttun würde. So wird der vermeintlich idyllische Urlaub in Süditalien, der sich nach einem mysteriösen Vorfall immer mehr zu einem Horrortrip entwickelt, zur regelrechten Zerreißprobe – und vielleicht ist ja auch genau das die einzige Chance, diese Ehe überhaupt noch zu retten.
Jedes Jahr verbringen Adam (Florian Lukas), Helena (Julia Jentsch) und ihr Teenager-Sohn Finn (Finn Sehy) den Urlaub gemeinsam mit einer befreundeten Familie: Matti (Sami Loris), Ellie (Sarah Hostettler) und Luca (Yaron Andres), der ungefähr in Finns Alter ist. Diesmal geht es nach Süditalien zu traumhaften Stränden und verlassenen Buchten, die zum Teil so abgelegen sind, dass sie nur mit dem Boot angefahren werden können. Irgendwo hier soll sogar Phil Collins ein Ferienhaus haben – eine lokale Legende und der perfekte Gesprächseinstieg in die belanglosen Konversationen mit anderen Urlauber*innen oder Einheimischen. Als Finn nach einem langen Strandtag plötzlich in Ohnmacht fällt, bröckelt die so perfekt erscheinende Urlaubsidylle. Zwischen Adam und Helena entstehen kleine, aber signifikante Unstimmigkeiten, die vor allem Adam um die Zukunft der Ehe bangen lassen. Ein absurdes Ereignis jagt fortan das nächste und die Frage, ob die Familie diese acht Tage im August überstehen stehen kann, erscheint immer akuter…
Adam (Florian Lukas) hat sich den Familienurlaub in Süditalien sicherlich ganz, ganz anders vorgestellt.
Finn rennt während der Abenddämmerung ins Wellenrauschen, gefolgt von Adam, gefolgt von Helena. Die drei Teile der Familie stehen abseits voneinander, sehen sich kaum an – und doch erleben sie diesen Naturmoment gemeinsam, bis die Titelsequenz das Familienbild unterbricht und das Meeresrauschen abrupt verstummen lässt. Mit diesem Einstieg warnt uns Perriard bereits, dass es unter der Fassade dieses italienischen Küstenurlaubs so sehr brodelt wie die Hitze auf dem trockenen Staubboden. Wenn Adam den beiden Jungs Fahrunterricht gibt, während Helena auf einer Bootstour angeflirtet wird und den Avancen gegenüber nicht gerade abgeneigt scheint, spüren wir schnell, dass hier etwas nicht stimmt.
Mit dem Zusammenbruch des Sohnes auf dem Rückweg vom Strand bahnt sich das Verdrängte unaufhaltsam seinen Weg an die Oberfläche: Als Adam den zusammengesackten Finn dort liegen sieht, starrt der Vater seinen Sohn so regungslos wie handlungsunfähig an, bis die vorausgeilte Helena dazukommt und das Ruder in die Hand nimmt. Es sind nur kurze Blicke, die Helena ihrem Mann zuwirft, an denen wir aber ablesen können, wie sehr sie sich wünscht, er hätte schneller gehandelt und nicht nur dagestanden und geschwiegen. Da kommen Erinnerungen an Ruben Östlunds „Höhere Gewalt“ hoch, wo ein Vater im Anblick einer herabstürzenden Lawine die Flucht ergreift und seine Familie am Hüttentisch zurücklässt – nur dass dort eben der Egoismus des Protagonisten entlarvt wurde, während Adam wohl vor allem überfordert ist.
Bei einem Partyspiel muss das Paar so tun, als würde es sich an einer Bar zum ersten Mal begegnen. Es ist fast schon schmerzhaft, Adam bei seinen halbherzigen Flirtversuchen zuzusehen, während das Feuer in Helenas Augen immer mehr erlischt. In der Folge ist Adam immer häufiger allein – im Traum, wenn Helena und Finn ihn verlassen, aber auch am Strand, wo ihn die Fähre am Abend einfach vergisst. Dabei wird ganz konkret auch Adams männliches Selbstverständnis verhandelt: Matti hat einen grandiosen neuen Job bekommen, bei dem er in Japan eine ganze Stadt errichten soll – und es ist sicher auch kein Zufall, dass die zwei Familien in einer regelrecht surrealen Sequenz in ein militärisches Sperrgebiet geraten, wo junge Soldaten sich auf ihren bereits am nächsten Tag startenden Kriegseinsatz vorbereiten.
Und dann ist da ja auch noch das große Mysterium: Woher hat Finn die mysteriöse Beule am Kopf, die er sich bei seinem sanften Sturz nicht zugezogen haben kann? Je mehr Adam selbst unter Rechtfertigungsdruck gerät, desto mehr Misstrauen entwickelt er gegen andere: In jedem Mann sieht er fortan einen potentiellen Feind – und wenn dann plötzlich die Schüsse im Sperrgebiet fallen, wirkt es fast, als hätte Adam selbst diese heraufbeschworen. So entwickelt „8 Tage im August“ auch immer mehr Spannungselemente, die mitunter sogar schon fast ins Mystische abdriften. Das Normale wird ins Absurde gestürzt und die entfremdeten Figuren wissen endgültig nicht mehr, wie sie zueinander stehen und wie sie sich in einer Welt voller Ungewissheit verhalten sollen.
Fazit: Der Schweizer Regisseur Samuel Perriard beschreibt in seinem zweiten Spielfilm die Suche eines Handlungsunfähigen zu sich selbst – angesiedelt vor der malerischen Kulisse Süditaliens, in der zugleich auch Themen wie toxische Männlichkeit und Kriegsgewalt kritisch mit beleuchtet werden. Dass den Figuren untereinander die Chemie fehlt, man ihnen ihre Freundschaft oder gar Partnerschaft kaum abnimmt, mag dem Kern der Erzählung womöglich sogar zuträglich sein – macht die Seherfahrung von „8 Tage im August” aber mitunter so unangenehm wie den Urlaub, der hier inszeniert wird.
Wir haben „8 Tage im August“ im Rahmen der 57. Hofer Filmtage im Online-Angebot HoF on Demand gesehen.