Als im November 1994 Regisseur Terry Gilliam mit der Arbeit an seinem achten Spielfilm beginnt, ist noch unklar, was das Endprodukt sein soll. Denn es stellt sich die Frage, ob Terry Gilliam einen Hollywood-Film drehen kann. Schon mit seiner von der Kritik hochgeschätzten Variation des Orwell-Klassikers „1984“, Brazil (1985), hat er schlechte Erfahrungen mit dem Studiosystem Hollywoods, mit Universal, gemacht. Schicksal nun, dass auch das neue Projekt, die Science-Fiction-Story „Twelve Monkeys“, von Unisersal produziert wird. Von den für diese Art Produktionen üblichen kreativen Einschränkungen abgesehen, wähnt sich Gilliam in der Gefahr, Teil dieses Systems zu werden, das er so ausdrücklich nicht liebt. Nach den schlimmen Erfahrungen, die er mit „Die Abenteuer des Baron von Münchhausen“ (1988) gemacht hat, schöpft er 1991 neue Kraft aus der Arbeit an Der König der Fischer, den er als den einfachsten Film bezeichnet, den er je gemacht habe. Grund hierfür war, dass er damals nicht für das Drehbuch verantwortlich zeichnete und den Film somit nicht als sein geistiges Eigentum ansah, was für ihn stets von großer Wichtigkeit gewesen ist. So konnte er flüssig arbeiten, ohne die Vorgaben des Studios zu verletzen. Dass man es jedoch mit einem fremden Drehbuch auch wesentlich schwerer haben kann, sollte er nur vier Jahre später feststellen.
Worauf Gilliam, einerseits aus präventivem Selbstschutz, andererseits aus Angst um den Film, der entstehen soll, von Anfang an besteht, ist der Final Cut. Jene mystische Gegebenheit, die jedem Independentfilmer selbstverständlich und jedem kleinen Hollywood-Regisseur unbekannt ist.
5 Milliarden Menschen sterben 1997 an einem tödlichen Virus.
Die Überlebenden werden die Oberfläche des Planeten verlassen.
Wieder einmal werden die Tiere über die Welt herrschen.
James Cole (Bruce Willis) ist derjenige Auserwählte, der die Gegenwart retten soll. Gegenwart, das ist die Menschheit im Jahr 2035, unter der Erdoberfläche lebend, das ist die von einem Virus verseuchte Oberfläche, Städte beherrscht von Tieren. In einer unterirdischen Stadt lebt Cole in einer Gefängniszelle bis zu dem Tag, da die für die Rückeroberung des Planeten zuständigen Wissenschaftler ihn als Freiwilligen ausersehen, in der Zeit zurück zu reisen und im Jahr 1996, das Jahr, in dem das Virus ausbricht, nach der so genannten Armee der 12 Monkeys zu suchen. Die Armee der Twelve Monkeys - die ist es gewesen. Kathryn Railly (Madeleine Stowe) ist eine erfolgreiche Psychologin, sie lebt im amerikanischen Baltimore. An einem Tag im Jahr 1990 wird sie von der Polizei wegen eines Notfalls ins Polizeirevier gerufen. Sie soll sich eines aufgefundenen Mannes annehmen. Der Gefangene sei nackt, nur in eine Art Regenmantel gehüllt und äußerst aggressiv aufgefunden worden. Dieser Mann spricht über einen dubiosen Auftrag, den er ausführen müsse, über die Luft, die so wunderbar rein sei, frei von Bakterien. Er glaubt, sich im Jahr 1996 zu befinden...
Kurzerhand weist Railly ihn unter ihrer Beobachtung in eine Nervenheilanstalt ein. Für eine kurze Zeit wird James Cole nun über dem Kuckucksnest fliegen. Auf wen er dort trifft, das ist der manische Jeffrey Goines (Brad Pitt), Sohn eines renommierten Wissenschaftlers. Jeffrey ist es auch, der ihm durch ein großes Tohuwabohu unter den Patienten, den von der Gesellschaft Abgeschotteten, zur Flucht verhilft. Railly bekommt einen Brief von Cole, ihrem Patienten: er finde ihre Zeit, ihre Welt sehr schön, könne jedoch nicht bleiben. So geschieht es auch. Cole verschwindet völlig spurlos. Die Jahre gehen ins Land, Railly veröffentlicht psychologische Fachbücher, hält Vorträge an der Universität und arbeitet weiterhin als Psychologin in der bekannten Anstalt. Eines Tages, dieses Mal im Jahr 1996, wird sie entführt: Es ist James Cole, der während der vergangenen sechs Jahre, nach seinem ungeklärten Verschwinden, nicht auffindbar gewesen ist. So beginnt die Suche des Patienten und seiner Ärztin nach der Armee der Twelve Monkeys.
James Cole, der die erste Hälfte des Films nahezu ausschließlich in von Medikamenten betäubtem Zustand auftritt, wird von Action-Star Bruce Willis in einer seiner anspruchsvollsten Rollen auf vielfach gepriesene Weise verkörpert. Sein Cole ist ein gebrochener Charakter, einerseits gefangen im Auftrag, die Erde des Jahres 2035 durch seine Nachforschungen wieder zivilisierbar zu machen, andererseits der friedliebende Mensch, der schon mit reiner Atemluft und ein wenig Musik zufrieden ist - und der es im Jahr 1996 ziemlich angenehm findet. Der schwelende Konflikt in Coles Innerem spiegelt sich in Willis Mimik, in sparsamer Gestik und seinen immerwährend krank wirkenden Bewegungsabläufen. Ob ihm die Gratwanderung zwischen ausdruckstarker Darstellung und dem herzlich gern herbeizitierten Overacting gelungen ist, liegt in der Anschauung des Einzelnen. Zweifelsohne jedoch besteht Willis auch im Charakterfach.
Obschon die ersten Rezensionen des Films Wert legten auf die Neubewertung des Action-Stars Bruce Willis als Charakterdarsteller und neben ihm Brad Pitt, damals gerade auf dem Weg zum Star, im Vordergrund stand, ist die Leistung Madeleine Stowes nicht unterzubewerten. Auch ihre Rolle, die der rational denkenden, rational handelnden Psychologin Kathryn Railly, erlebt eine große Entwicklung. Auch ihre Rolle verlangt die differenzierte Darstellung des Zweifels, dem sowohl Cole als auch Railly bald erliegen: Was ist wahr, was Fiktion? - Ist Cole aus der Zukunft, wird im Jahr 1996 ein tödliches Virus sich über den Planeten verteilen oder sind beide einfach nur verrückt? Madeleine Stowe steht Willis in nichts nach, und der grandios aufspielende Pitt, als Jeffrey Goines von kleinen Ticks und Wahnsinnigkeiten nur so durchzogen, wird zu Recht für mehrere Filmpreise nominiert.
Terry Gilliam sagt, die Essenz des Films spiegle sich in seiner Herstellung wider. Darin scheint eine große Wahrheit zu liegen. Das, was das Produktionsteam um „12 Monkeys“ später den Hamster-Faktor taufen wird, ist eine Angewohnheit Gilliams, aus im Grunde einfachen Szenen durch Hinzufügung kleiner Details wesentlich kompliziertere zu kreieren. Exemplarisch sei hier jene Szene genannt, in welcher James Cole sich nach seiner ersten Expedition auf die verseuchte Erdoberfläche eine Blutprobe entnehmen muss. Hier nämlich gibt es einen Hamster, der tatsächlich klein und für den Zuschauer wohl eher unbedeutend nebensächlich in seinem Rad läuft, während Cole die Spritze zur Blutentnahme ansetzt. Das Problem nun ist, dass der Hamster nicht will, wie er soll, nämlich im Rad laufen. Aus dem Zwang heraus, Bruce Willis, der für Gilliam statt des Hamsters nur noch die Nebenrolle spielt, und das aufbegehrende Nagetier gleichermaßen ihre Aufgabe erfüllen zu sehen, gerät diese eigentlich sehr simple Szene in der Praxis zu einem mehrtägigen Dreh.
Dass dieses Element des laufenden Hamsters schlechterdings zur Klärung der Handlung beiträgt, darf man bezweifeln. Eine andere Szenerie des Films vermag dies jedoch eher: der Verhörraum. Gemäß dem Ausstattungswahn eines Terry Gilliam sind in diesem dermaßen viele Details in höchst unterschiedlichen Darreichungsformen enthalten, dass sie zu klären - und überhaupt zu erkennen - kein Leichtes ist. Nach Aussage des Regisseurs sei, um die Essenz des Films und des Pudels Kern zu ergründen, nur dieser eine Raum vonnöten. Er enthalte jeden wesentlichen Aspekt und sei eine Projektion von Coles Psyche; der Film könne demnach ausschließlich dort spielen. James Cole (Gefängnisinsasse) sehnt sich nach Nähe, im Laufe des Films erkennen wir, wessen Nähe. Doch im Verhörraum ist die persönliche Distanz ihm gegenüber allgegenwärtig. Man kommuniziert über Bildschirme, trägt dicke Brillen, setzt Cole zum Verhör auf einen Stuhl, der an einer großen Wand in die Höhe gefahren wird, kurzum: möglichst keine persönliche Nähe. Dem Aspekt der Wandlung Coles wird darin Rechnung getragen, dass jene Distanz, die die Wissenschaftler zu Cole anfangs haben, im Verlauf seines Fortschritts immer weiter abnimmt.
Nicht zufällig kommt es dazu, dass sich Cole und Railly im Kino eine Hitchcock-Filmnacht ansehen. Einige Elemente des Films lassen sich auf dessen Klassiker Vertigo (1958) zurückführen. Anders als „La Jetée“ hat Terry Gilliam diesen sogar selbst gesehen, und sein offenkundiges Gefallen tritt insbesondere in jener Szene im Kino zutage. Mit ein wenig Feile da, ein wenig Schminke dort, lassen sich die Figuren aus dem Hitchcock-Klassiker wie folgt übertragen: Kathryn Railly ist Scottie Ferguson (James Stewart), nachdem er Madeleine (Kim Novak) zuerst verloren hat. Er geht durch die Welt und findet sie überall, ohne sie zu suchen. Kathryn Railly findet James Cole, den sie schon lebenslang kennt, ohne ihn gesucht zu haben. Und Cole seinerseits stößt auf Railly, die er nie gesucht hat, doch schon immer kennt. Später, als Cole und Railly sich wegen ihrer Flucht vor der Polizei verkleidet haben, sind die Rollen vertauscht. Cole ist Scottie: Er erkennt Kathryn als die Frau aus seinem Kindheitstraum - und Railly ist Madeleine, die sich erst durch äußere Verwandlung als diejenige zu erkennen geben kann, die sie schon immerzu gewesen ist. Im Kino, als (in „Vertigo“) Scottie und Madeleine neben dem Redwood-Baum stehen, sagt Cole:
Das ist genau wie das, was mit uns geschieht, wie die Vergangenheit.
Der Film wird natürlich nie anders, das kann er gar nicht,
aber jedes Mal, wenn du ihn siehst, ist er ein bisschen anders,
weil du anders bist: du siehst eben andere Dinge.
Das trifft zu auf „Vertigo“ und das trifft zu auf „12 Monkeys“, Terry Gilliams Meisterwerk von 1995. Und vielleicht zeichnet das einen guten Film aus, dass es etwas zu entdecken gibt, und immer etwas mehr, immer etwas anderes.