Mit "Dark Knight"-Zitat: Comeback für Kult-Killer Kai Korthals
Von Lars-Christian DanielsFast sechs Jahre ist es mittlerweile her, dass es die Kieler „Tatort“-Kommissare das letzte Mal mit einem der gruseligsten Mörder in der gut 50-jährigen Geschichte der beliebtesten deutschen Krimireihe zu tun bekamen: Im hochspannenden „Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“ lehrte Kult-Killer Kai Korthals (Lars Eidinger) das TV-Publikum gehörig das Fürchten, nachdem er bereits 2012 mit seinem denkwürdigen Debüt im grandiosen „Tatort: Borowski und der stille Gast“ viele Zuschauer um ihren wohlverdienten Schlaf gebracht hatte.
Früh ließ der federführende NDR durchklingen, dass Drehbuchautor Sascha Arango – der noch ein halbes Dutzend weiterer toller „Tatort“-Folgen konzipiert hat – die Geschichte erneut fortsetzen würde, und das Finale gab das damals auch problemlos her: Während Korthals im ersten Teil aus einem Krankenwagen entkommen konnte, lief er der Polizei im zweiten Teil buchstäblich ins Messer und überlebte den Krimi mit schweren Stichwunden. Im dritten und erneut äußerst unterhaltsamen Teil der „Korthals-Trilogie“ sitzt der Psychopath nun hinter Gittern – doch es ist natürlich nur eine Frage der Zeit, bis es in „Tatort: Borowski und der gute Mensch“ ein weiteres Mal zur Konfrontation mit den Kieler Ermittlern kommt…
Schockierender Fund für Borowksi: Er muss wieder Kai Korthals jagen.
Klaus Borowski (Axel Milberg) trifft im Auto fast der Schlag: Auf dem Weg zum Präsidium läuft im Radio die Meldung, dass Serienmörder Kai Korthals, der in der Stadt an der Förde zahlreiche Frauen getötet hat, aus dem Gefängnis entkommen ist. Und es dauert nicht lange, bis der Hauptkommissar mit seiner Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) und seinem Vorgesetzten Roland Schladitz (Thomas Kügel) vor den ersten Leichen steht: Korthals tötet auf der Flucht zwei Mithäftlinge und kurz darauf eine junge Frau an einem See. Trotz einer Großfahndung geht er der Polizei durch die Lappen. Eine günstige Gelegenheit ergibt sich aber, als der Gesuchte wenig später Kontakt zu Telefonseelsorgerin Teresa Weinberger (Sabine Timoteo) aufnimmt: Er versteckt sich in der Wohnung der blinden Frau und ahnt nicht, wie dicht ihm die Polizei auf den Fersen ist…
Don’t imitate – innovate. Drehbuchautor Sascha Arango hat den deutlich einfacheren Weg und die durchaus naheliegende Gefahr, seine mega-erfolgreiche Geschichte von 2012 nur lau aufzuwärmen, bereits in der ersten Fortsetzung gekonnt umschifft. Konzentrierte sich „Borowski und der stille Gast“ noch auf Korthals‘ lautloses Eindringen in die Wohnungen ahnungsloser Frauen (Anspielung auf Alfred Hitchcocks Klassiker „Psycho“ inklusive), entpuppte sich „Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“, in dem die frühere Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert) ein bemerkenswertes Comeback feierte, als düsteres und knallhartes Psychoduell mit Borowski.
„Borowski und der gute Mensch“ ist nun eine Kreuzung aus beidem und dabei nicht nur in hohem Tempo, sondern auch mitreißend arrangiert: „Tatort“-Debütant İlker Çatak („Es war einmal Indianerland“) zieht uns schon in der Eröffnungssequenz, bei der Korthals dank einer aus dem Ruder laufenden Theaterprobe von Friedrich Schillers „Die Räuber“ die Flucht aus der JVA gelingt, direkt in die Geschichte hinein (mit Blick auf Lars Eidingers Theaterkarriere ein schöner Meta-Moment). Schon zu diesem frühen Zeitpunkt werden Erinnerungen an Christopher Nolans Meisterwerk „The Dark Knight“ wach, in dem sich Heath Ledger als „Joker“ in der Rolle seines Lebens etwa als Polizist und Krankenschwester tarnte, um nicht erkannt zu werden – Korthals flüchtet als Feuerwehrmann und tarnt sich bei einer Kontrolle mit Lippenstift, Echthaar-Perücke und Frauenkleidern.
Doch auch das gruseligste Element aus dem ersten Teil – Korthals‘ unbemerktes Eindringen in die Wohnung seiner Opfer und sein gespenstisches Verschwinden, wenn die Entdeckung droht – kommt in „Borowski und der gute Mensch“ erfolgreich zur Anwendung. Da darf auch sein irritierendes Faible für benutzte Zahnbürsten nicht fehlen, das aber erfreulicherweise nicht überstrapaziert, sondern gekonnt variiert wird. Einer der elektrisierendsten Momente des Thrillers ist die Begegnung mit seiner blinden Verehrerin Teresa Weinberger, die ihn in den eigenen vier Wänden zwar nicht sehen, dafür aber riechen kann. Das Thema Hybristophilie, das hier wieder prägend ist, wurde allerdings erst zwei Wochen zuvor im vielgelobten Kölner „Tatort: Der Reiz des Bösen“ thematisiert, so dass man sich über die ungeschickte Programmplanung der ARD einmal mehr nur wundern kann.
Kai und seine blinde Verehrerin Teresa hängen aneinander.
Der steilen Spannungskurve und dem hohen Unterhaltungswert tut dieser einfach vermeidbare Wiederholungseffekt aber keinen Abbruch, denn allein die Performance von Axel Milberg („Hannah Arendt“) und dem überragenden Lars Eidinger („Nahschuss“) ist bei diesem erstklassig besetzten Fernsehfilm das Einschalten wert: Eidingers Präsenz und Performance sind einmal mehr eine Wucht und gipfeln zwischenzeitlich in einer köstlichen Sequenz, in der Korthals bei einer Vernehmung seinen „Freund“ Borowski nachahmt. Es ist zugleich einer der humorvollen Momente in einem sehr düsteren und hochemotionalen „Tatort“, in dem der für die Kieler Folgen typische, markig-trockene Dialogwitz trotzdem nicht fehlen darf.
Anders als in den Dortmunder „Tatort“-Ausgaben mit Serienmörder Markus Graf (Florian Bartholomäi) begehen die Filmemacher auch nicht den Fehler, Korthals als stets überlegenen, fast fehlerlosen Bösewicht zu inszenieren: Sie werfen den Blick zurück in seine Kindheit und verleihen ihm nicht nur Menschlichkeit, sondern auch eine starke Verletzlichkeit, sodass wir den Killer trotz seiner bestialischen Taten fast ein wenig ins Herz schließen (und das nicht nur, weil er einen Hund vor der Misshandlung durch sein Herrchen rettet). Der Krimititel greift dabei ein Motiv auf, das bereits im Vorgänger seinen Anfang nahm: Korthals betonte darin immer wieder, dass er „kein schlechter Mensch“ sei – und überhaupt sind Borowski auf der Seite der Guten und Korthals als das personifizierte Böse häufiger Brüder im Geiste, als man das anfangs für möglich gehalten hätte.
Will man an „Borowski und der gute Mensch“ etwas bemängeln, ist es die für Arangos Verhältnisse recht geradlinige Geschichte: Sahins Rolle ähnelt stark der ihrer Kieler Vorgängerin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) – und weil mit Manfred Schumann (Hans-Uwe Bauer) der Vater eines Mordopfers nie aus dem Blickfeld gerät, ist früh abzusehen, auf welches Finale der letzte „Tatort“ mit Kai Korthals zusteuert. Dennoch ist auch der Showdown allerhöchstes Sonntagskriminiveau und besser als das Meiste, was man auf diesem Sendeplatz zu sehen bekommt. Und es gibt in der 1173. „Tatort“-Folge noch eine neue Figur, die wir hoffentlich wiedersehen werden: Borowski hat sich die tschechische Putzfrau Alma Kovacz (Victoria Trauttmansdorff) in seine Wohnung geholt – und die stiehlt in bester „Mary Poppins“-Manier praktisch jede Szene, in der sie auftritt.
Fazit: Aller guten Dinge sind drei – der tolle Kieler „Tatort: Borowski und der gute Mensch“ steht seinen packenden Vorgängern in Sachen Unterhaltungswert um nichts nach und sorgt für einen würdigen Abschluss der „Korthals-Trilogie“.