Eine ungewöhnliche (aber sicher nicht unproblematische) Liebesgeschichte
Von Michael MeynsSeit seinem Durchbruch mit „Tuvalu“ vor 25 Jahren erzählt der deutsche Filmemacher Veit Helmer märchenhafte, poetische Geschichten – und die haben sich in diesem Vierteljahrhundert kaum verändert. Man könnte sagen, er bleibt seiner Vision treu. Aber im Fall des Beinahe-Stummfilms „Gondola“ ist das weniger Kompliment als Problem, denn im Gegensatz zu Helmers Filmen hat sich die Welt in den vergangenen 25 Jahren fundamental verändert – vor allem auch das Bewusstsein dafür, welche Blicke auf andere Ethnien sich anbieten, und welche wohl endgültig in den Mottenschrank gehören.
„Gondola“ spielt irgendwo in Georgien, der kleinen, ehemals russischen Republik im Kaukasus. An einem Hang befindet sich eine Gondelbahn, die die wenigen Bewohner eines Bergdorfs hinunter ins Tal und wieder hoch nach Hause bringt. Die beiden jungen Schaffnerinnen Iva (Mathilde Irrmann) und Nino (Nini Soselia) begegnen sich genau alle 30 Minuten, wenn die Gondeln in der Mitte der Strecke aneinander vorbeifahren. Sie sehen sich immer und immer wieder aus der Distanz – und verlieben sich ineinander…
Diese Beschreibung der Handlung hört sich ein bisschen dünn an für einen abendfüllenden Spielfilm, selbst wenn er mit 82 Minuten nicht allzu lang ist? Stimmt, „Gondola“ fühlt sich mitunter an, als wäre eine nette Kurzfilmidee unnötig aufgeblasen worden. Dutzende Male sieht man, wie die Gondeln hoch- und runterfahren und sich die Schaffnerinnen kurz anhimmeln. Wobei sie nur auf Mimik, Gesten und gutturale Laute zurückgreifen, denn Worte werden in „Gondola“ nicht gewechselt. Vollkommen stumm läuft die Geschichte aber auch nicht ab, im Gegensatz zu etwa „The Artist“ geht es hier nicht darum, tatsächlich einen Film der damaligen Ära zu imitieren. Die Figuren (und der Film) sind nicht stumm, sie reden nur nicht. Nur Laute geben sie von sich, mal ein „Ah“ oder ein „Oh“, ein Lachen oder Juchzen.
Dass die Figuren nicht sprechen, ist also eine bewusste Setzung des Regisseurs, wohl auch, um die Universalität der Geschichte zu betonen: Liebe braucht keine Worte und so. Zugleich offenbart diese gewollte Sprachlosigkeit aber auch das Desinteresse an dem Land, in dem der Film spielt. Dass „Gondola“ in Georgien gedreht wurde, ist zwar unübersehbar – die einzigartige Schrift des Landes ist ebenso präsent wie der Schriftzug Georgian Airways. Aber Veit Helmer wählt bewusst Bilder, die antimodern sind, in denen Georgien rückständig und unterentwickelt wirkt, ohne Anzeichen der Gegenwart wie Handys oder Fernseher. Selbst die wenigen Autos wirken, als stammten sie noch aus der Zeit des Kalten Krieges.
Alles in „Gondola“ wirkt steckengeblieben in einer zeitlosen, naiv und rückständig wirkenden Ära. Und so eine Welt braucht Helmer eben auch, um jene kindlich-naiven, märchenhaft-poetischen Geschichten zu erzählen, für die er seit 25 Jahren bekannt ist. „Tuvalu“, „Absurdistan“ oder „Vom Lokführer, der die Liebe suchte“ hießen diese Filme, fast alle gedreht am Rand der ehemaligen Sowjetunion, in Kasachstan, Georgien oder Aserbaidschan, Länder, die die wenigsten aus eigener Erfahrung kennen, über die man meist auch wenig weiß, die aber gerade dadurch genug exotischen Reiz verströmen, um als Hintergrund für Helmers Phantasien zu dienen. Man muss sich ja nur einmal vorstellen, welche Reaktion es hervorrufen würde, wenn ein Film wie „Gondola“ mit braunen oder schwarzen Menschen gedreht werden würde: Naives, kindliches Verhalten, der Sprache beraubt, Kommunikation mit gutturalen Lauten und „Ahs“ und „Ohs“.
Der Vorwurf wäre zu Recht ein inakzeptabler kolonialer Blick auf ein fremdes Land und eine fremde Kultur. Helmer dreht seinen magischen Realismus oft in dörflichen Gegenden, in malerischen Landschaften, in denen das Leben – angeblich – noch einfacher und unberührter ist als in den Städten, in der Moderne, im Westen. Schon Ende der Neunziger wurde dieser oft kitschige, simplifizierende Blick des Öfteren kritisiert, aber seitdem sind eben 25 Jahre vergangen. Viel sensibler ist die Welt geworden, manchmal gewiss auch überempfindlich. Aber die Erkenntnis, dass man als westlicher Filmemacher nicht einfach in ein mehr oder weniger unterentwickeltes Land gehen sollte, ohne sich darauf einzulassen, sondern es einfach der eigenen exotisierenden Vision unterzuordnen. Bei den Filmen von Veit Helmer bietet sich eigentlich immer an, sie als „wie aus der Zeit gefallen“ zu beschreiben. Aber in diesem Fall ist das keineswegs positiv gemeint.
Fazit: Auch in „Gondola“ versucht Veit Helmer eine magische, poetische Liebesgeschichte zu erzählen, die er diesmal sogar ohne Worte inszeniert. Doch gerade diese Sprachlosigkeit macht die fragwürdige Weise umso sichtbarer, mit der er fremde Kulturen und Menschen für seine Zwecke benutzt – ein kolonialer Blick, der im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr akzeptabel erscheint.