Jetzt noch ein Film, aber bald eine Serie
Von Björn Becher„The Wire“ wird immer wieder und vollkommen zu Recht als beste Serie aller Zeiten gefeiert, auch weil Showrunner David Simon es über die fünf Staffeln schafft, den Blick immer mehr zu weiten. Geht es in der ersten Staffel zunächst nur um Drogendeals und Polizeiarbeit, kommen im Verlauf der Serie immer mehr Themen dazu: Arbeitskampf an den Docks, das Schulsystem, die Politik, der Journalismus. Auf kleinerer Flamme macht der philippinischer Filmemacher Erik Matti nun etwas Ähnliches.
2013 feierte das Action-Drama „On The Job - Showdown in Manila“ über ein real existierendes „Arbeitsprogramm“ für Gefängnisinsassen, die als Killer angeheuert werden konnten und dann immer das perfekte Alibi hatten, weil sie ja offiziell im Knast saßen, seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes. Acht Jahre später folgt mit „On The Job 2: The Missing 8“ eine epische Fortsetzung, die zusätzlich auch noch die Rolle der Medien auf den von Korruption erschütterten philippinischen Inseln in den Fokus rückt.
Ironischerweise hat sich nun ausgerechnet „The Wire“-Sender HBO die Rechte an dem Sequel und gleich auch noch am Vorgänger gesichert. Für die Ausstrahlung auf dem Pay-TV-Sender soll aus beiden Filmen sowie bisher nicht verwendetem Material eine sechsstündige Serie geschnitten. Ursprünglich konzipiert war „On The Job 2: The Missing 8“ aber als 208 Minuten langer Kinofilm. Noch ist offen, ob er in dieser Form zukünftig auch jenseits von Festivals zu sehen sein wird.
Nach dem 8-fach-Mord muss sich Sisoy Salas (John Arcilla) entscheiden, ob er den Mächtigen weiterhin nur nach dem Mund reden will.
In der philippinischen Stadt La Paz wird der Bürgermeister Pedring Eusebio (Dante Rivero) vor allem dafür gefeiert, weil er das Verbrechen weitestgehend ausgerottet hat. Auch der Journalist Sisoy Salas (John Arcilla) überschüttet Eusebio in seiner populären Radioshow regelmäßig mit Lob, während er anrufende Kritiker rhetorisch geschickt lächerlich macht. Sein bester Freund Arnel Pangan (Christopher De Leon) sieht das anders. Er wirft in seiner Zeitung Eusebio vor, nicht nur korrupt zu sein, sondern auch etwas mit dem gehäuften Verschwinden von Menschen zu tun zu haben.
Und Arnel hat recht: Auf Befehl von Eusebio werden Gefängnisinsassen wie Roman Rubio (Dennis Trillo) regelmäßig für wenige Stunden aus dem Knast geholt, um in seinem Auftrag Morde zu begehen. So werden auch der kritische Journalist samt Sohn und sechs seiner Kollegen regelrecht durchsiebt und anschließend mitsamt ihrem Auto in einer Grube vergraben. Der Fall der Vermissten 8 soll schnell unter den Tisch gekehrt werden. Sisoy, der die Zeitung seines Freundes übernimmt, soll dabei mithelfen. Doch der bekommt genauso wie der Killer Roman Gewissensbisse - und begibt sich deshalb selbst auf die potenziell tödliche Suche nach der Wahrheit...
Schon „On The Job“ wurde von einem realen Skandal inspiriert: Gefängnisinsassen wurden auf den Philippinen tatsächlich als Killer benutzt, indem geschmierte Wärter sie für wenige Stunden aus dem Knast ließen. Ein Großteil des ersten Teils zeigt, wie genau diese Tötungsmaschinerie funktioniert. Im Sequel sind die Killer-Schwadronen zwar weiter präsent, bekommen aber weniger Aufmerksamkeit. Dafür rückt ein anderer wahrer Fall ins Zentrum des Drehbuchs, für das wie beim Vorgänger erneut Mattis Lebensgefährtin Michiko Yamamoto verantwortlich zeichnet.
2019 kam es endlich zur juristischen Aufarbeitung des laut Reporter ohne Grenzen „größten einzelnen Massakers an Journalist*innen in der Geschichte“: Bereits 2009 wurde ein Konvoi mit insgesamt 57 Menschen gestoppt, alle Insassen der Autos umgebracht. Gruben waren bereits ausgehoben, um einfach die kompletten Autos samt Leichen darin zu versenken. Bagger standen bereit, um alles wieder zuzuschütten. Verantwortlich für die Tat war eine einflussreiche Politikerfamilie. Diese grausame Tat stellt Matti auf kleinerer Ebene mit acht Opfern schonungslos nach. Es ist eine bedrückende Szene …
… und das, obwohl „On The Job 2: The Missing 8“ insgesamt etwas zahmer, verspielter als der Vorgänger daherkommt. Die wenigen, ziemlich gleichmäßig über die lange Laufzeit verteilten Tötungsszenen inszeniert Matti unterlegt mit Rock- und Pop-Songs in Zeitlupe. Ohnehin setzt er immer wieder Momente wirklich stark und stylish in Szene. So gibt es gleich mehrere Plansequenzen, in denen sich Figuren durch ein Haus oder das Gefängnis bewegen, sie die Kamera verfolgt, dann aber auch mal für kurze Zeit verliert, um sie in einem anderen Raum wieder zu finden.
Die ebenfalls verhandelte Macht von Fake News illustrieren derweil Tweets und Zeitungsschlagzeilen, die immer wieder als Collagen in den Hintergrund eingepasst werden. Auch auf Split-Screens greift Matti hin und wieder zurück. In einigen Szenen, zum Beispiel einer Redaktionskonferenz, zeigen sie nachvollziehbar auf, wie unterschiedliche Personen mit derselben Situation umgehen. Manchmal sind sie aber auch einfach unnötig. Inszenatorisch ist Matti, der zwischen den beiden Teilen den zum selben Film-Universum gehörende Action-Kracher „BuyBust“ gedreht hat, aber insgesamt wieder voll auf der Höhe. Seine Bilder erzeugen einen Sog, weshalb „On The Job 2: The Missing 8“ trotz der exorbitanten Laufzeit nie langweilt.
Gegenüber dem Vorgänger ist das Tempo dennoch reduzierter. Matti verliert sich bisweilen dann doch in Ausschweifungen und Ausschmückungen, in der einen oder anderen zu ausführlichen Dialogszene. Diese werden bei einer späteren Ausstrahlung als Serie als Teil einer einstündigen Episode wahrscheinlich kaum ins Gewicht fallen. Dass sie aber auch dem Film kaum schaden, ist wohl vor allem der Verdienst von Mattis stringenter Inszenierung. Und ob sich die angesprochene Sogwirkung auch bei schnell wieder abgeschlossenen Serienepisoden einstellt, ist dann noch mal eine ganz andere Frage.
Fazit: Im Rahmen der Weltpremiere in Venedig kündigte Erik Matti an, dass „On The Job“ sogar noch weitergehen und er über die Jahre noch weitere Bereich der korrupten Gesellschaft in den Fokus rücken könnte - wie zum Beispiel das ursprünglich bereits für den zweiten Teil eingeplante Gesundheitswesen. Nach diesem zwar nicht rundweg überzeugenden, aber trotzdem sehenswerten Sequel hoffen wir, dass er dieser Ankündigung Taten folgen lässt.
Wie haben „On The Job: The Missing 8” auf dem Filmfestival in Venedig gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.