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    Chevalier: The Untold Story
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Chevalier: The Untold Story

    Nennt ihn nicht "Der Schwarze Mozart"!

    Von Sidney Schering

    Ohne seine geschichtsträchtige Niederlage bei Waterloo hätte es einen der größten ABBA-Hits nie gegeben. Aber trotz dieser verspäteten Bereicherung der Musikkultur war Napoleon Bonaparte zu seinen Lebzeiten eher darum bemüht, die musikalische Vielfalt möglichst zu beschneiden: Der auf Korsika geborene General, Diktator und Kaiser ließ so u.a. die Arbeiten des Komponisten Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges verbieten und ordnete darüber hinaus sogar deren Zerstörung an. Glücklicherweise wurde das Schaffen nicht vollkommen ausgelöscht, aber die Nachwirkungen der napoleonischen Zensur sind trotzdem bis in die Jetztzeit hinein zu spüren:

    Joseph Bologne ist heutzutage weitaus unbekannter als viele seiner einst ähnlich hochgeschätzten Zeitgenossen. Eine Schande, schließlich ordnete ihn nicht nur der Violinist und Musik-Geschichtsexperte Gabriel Banat als wichtigen Einfluss auf Beethoven ein. Aber wenn Bologne doch mal im musikalischen Mainstream vorkommt, dann wird er meist ganz plump als „der Schwarze Mozart“ etikettiert. Ob der gefeierte Serien-Regisseur Stephen Williams („Lost“, „Watchmen“) den Bekanntheitsgrad von Bologne mit der Disney+-Veröffentlichung „Chevalier: The Untold Story“ maßgeblich in die Höhe schrauben kann, bleibt abzuwarten. Aber wer den Film gesehen hat, wird den titelgebenden Komponisten hinterher sicherlich nicht mehr als bloße Mozart-Kopie betrachten...

    Der Showman des 18. Jahrhunderts: Joseph Bologne (Kelvin Harrison Jr.) hat kein Problem damit, sein Talent auch im öffentlichen musikalischen Schaukampf unter Beweis zu stellen.

    Als das uneheliche Kind einer versklavten Afrikanerin und eines französischen Plantagenbesitzers käme ihm im Frankreich des 18. Jahrhunderts eigentlich die Rolle eines Aussätzigen zu. Allerdings verfügt Joseph Bologne (Kelvin Harrison Jr.) über ein ungeheuerliches Talent an der Geige. So gelingt es ihm trotz der Geringschätzung, die ihm allein aufgrund seiner Herkunft und Hautfarbe entgegengebracht wird, die soziale Leiter emporzuklettern.

    Als ihm trotz aller Qualifikationen eine prestigeträchtige Stelle vorenthalten wird, schlägt Marie-Antoinette (Lucy Boynton), die ihn einst bereits zum Chevalier de Saint-Georges ernannte, eine Wette vor: Wenn Bologne in wenigen Monaten eine bessere Oper kreiert als sein ärgster Konkurrent, der deutsche Komponist Christoph Willibald Gluck (Henry Lloyd-Hughes), dann bekommt er den Posten doch noch...

    Ein Rap-Battle unter klassischen Virtuosen

    Der einprägsamste und kraftvollste Moment des Films steht sogar noch vor der Titeleinblendung an: Mozart (Joseph Prowen) gibt ein Konzert und fragt das Publikum nach Musikwünschen. Da richtet sich im Schatten eine Person auf, übertönt die restlichen Vorschläge, schreitet gen Bühne und bietet selbstbewusst an, mit Mozart gemeinsam zu spielen. Es ist selbstredend Bologne, der nach und nach die zentrale, eigentlich Mozart zugedachte Position auf der Bühne einnimmt – und dem virtuosen Superstar so zunächst die Gunst des Publikums und dann sogar die des Orchesters stiehlt.

    Stephen Williams inszeniert diese Eröffnungssequenz mit Schmiss und Gravitas zugleich, sodass sie erfolgreich ebenso am Klischee wie an der Parodie vorbeischrammt. Was ein regelrechtes Kunststück ist, denn Bologne wedelt den Geigenbogen mit einer derart selbstbewussten Rotzigkeit, dass man sich kaum wundern würde, sollte er nun auch noch seine Zunge herausstrecken und sein Instrument auf dem Bühnenboden zerschlagen. Dieses rockig-rebellische Kokettieren mit anachronistischen Elementen, ohne diese Grenze letztlich ganz zu überschreiten, dient als unmissverständliches Ausrufezeichen! Es ist direkt zum Auftakt eine Kampfansage, mit der sich Williams allerdings ein Stück weit selbst ein Bein stellt – denn der Rest des Films wird diesem wachrüttelnden Aufschrei nicht immer gerecht.

    Samara Weaving bringt als Marie-Josephine de Montalembert noch mal ordentlich neuen Schwung in den Film.

    Die für ihre Arbeit an der unberechenbaren Dramedy „Atlanta“ preisgekrönte Drehbuchautorin Stefani Robinson lieferte zwar nicht einfach nur die x-te Kopie einer Biopic-Blaupause ab. Trotzdem verharrt der Film zwischen zwei Stühlen: Auf der einen Seite will er Bolognes Leben mit durchaus historischem, staatstragendem Anspruch aufarbeiten – auf der anderen aber gegen das Image eines schwerfällig-staubigen Musik-Dramas aufbegehren. Das bedeutet übrigens nicht, dass „Chevalier“ nach dem denkwürdigen Auftakt in jene Bedeutungslosigkeit abgleiten würde, in die einst Napoleon den Titelhelden verbannen wollte – vielmehr ist es so, dass einzelne effektive Passagen offenbaren, welch bewegendes Drama oder welch inspirierende Komödie aus dem Film auch hätte werden können.

    Der Abschnitt, in dem sich Bologne mit der kecken Schriftstellerin Félicité de Genlis (Sian Clifford) gutstellt, ist beispielsweise ein zwar recht seichtes, aber eben auch wunderbar amüsantes „Lasst uns eine Show auf die Beine stellen!“-Vergnügen. Das liegt nicht zuletzt an Samara Weaving als de Genlis' Cousine Marie-Josephine de Montalembert. Die begnadete Sängerin und aufmüpfige Freidenkerin willigt trotz Widerrede ihres Gatten ein, die Hauptrolle in Bolognes Stück zu übernehmen. Das mündet in leichtgängige Probemontagen, spritziges Liebäugeln mit der sich langsam formierenden Revolution – und natürlich in ein Liebesdreieck. Die erotische Anspannung zwischen Weaving und Harrison bringt die Luft zum Flirren, ebenso wie ihr gemeinsames komödiantisches Timing – wenngleich dieses nur sporadisch zum Zug kommt.

    » "Chevalier" ab dem 16. Juni 2023 bei Disney+*

    Leider tritt auch Ronke Adekoluejo, die als Bolognes Mutter Nanon den ernsteren Teil des Films mitträgt, nur selten zum Vorschein: Adekoluejo strenges Spiel und das dornige Hin und Her zwischen Mutter und Sohn offenbaren ein tiefgreifendes dramatisches Potential. Es schimmern Ansätze durch, einen zerrissenen, fehlerhaften Protagonisten zu zeigen, der sich seiner Mutter ebenso schämt wie seiner Hochnäsigkeit und Ignoranz gegenüber ihrer Kultur. Erst einmal etabliert, werden diese rauen Aspekte allerdings schnell wieder ausgeblendet, ehe eine kurze Montage sie ganz aus der Welt schafft – eine oberflächliche Lösung für komplexe Konflikte.

    Auch die Dialoge sind weitestgehend zu formelhaft für einen profunden Historienfilm. Zugleich ist Williams' Regieführung größtenteils zu starr, als dass „Chevalier“ komplett in die Richtung eines anspornenden Pop-Dramas über einen außergewöhnlichen Klassik-Komponisten abbiegen könnte. Umso raffinierter ist derweil, wie Kris Bowers' und Michael Abels' Filmmusik neue Kompositionen und Bolognes überlieferte Arbeiten zu einer aussagekräftigen Melange vereint: Ganz gleich, ob gerade Bologne und de Montalembert einander verführen, Bologne mit seiner Identität hadert, oder aber mit der Rebellion geflirtet wird: In seinen Kompositionen findet „Chevalier“ stets jenen Antrieb wieder, der erzählerisch und bildästhetisch mitunter verloren geht.

    Fazit: Napoleon wird es ärgern, aber „Chevalier“ ist trotz erzählerischer Schwächen ein Neugier entfachendes Porträt eines unzureichend gewürdigten Komponisten.

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