Der ultimative Fassbinder-Tribut
Von Christoph PetersenIm Zuge des Online-Shitstorms rund um den „Ghostbusters“-mit-Frauen-Reboot tauchte immer wieder das Argument auf, dass ja auch niemand auf die Idee käme, klassisch weibliche Filme mit männlichen Darstellern neu aufzulegen. Aber genau das hat François Ozon mit dem Berlinale-Eröffnungsfilm „Peter von Kant“ getan: In seiner Verfilmung des Theaterstücks „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von Rainer Werner Fassbinder geht es nun nicht länger um die lesbische Modedesignerin Petra, sondern um den schwulen Regisseur Peter.
Allerdings hat der Geschlechtertausch bei Ozon nichts mit Zeitgeist zu tun – stattdessen ist dem bekennenden Fassbinder-Superfan, der mit „Tropfen auf heiße Steine“ (2000) schon einmal ein Stück des deutschen Ausnahmeregisseurs verfilmt hat, etwas aufgefallen: Die selbstzerstörerische Beziehung im Zentrum des Stücks ähnelt nämlich erstaunlich der Liebe seines Idols zu dem tunesisch-marokkanischen Schauspieler El Hedi ben Salem, den Fassbinder 1971 nach einem kolportierten Zufallstreffen in einer Pariser Schwulensauna zum Star seines Meistwerks „Angst essen Seele auf“ gemacht hat. Aus dieser Beobachtung holt Ozon eine ganze Menge heraus – verliert dabei aber den eigentlichen Kern des Stücks zunehmend aus den Augen.
Statt einer Petra von Kant gibt es diesmal einen Peter von Kant (Denis Ménochet) ...
Der Regisseur Peter von Kant (Denis Ménochet) war zwar mal mit einer Frau verheiratet und hat sogar eine Tochter (Aminthe Audiard), lebt inzwischen aber allein mit seinem ihm treu ergebenen, nie ein Wort sprechenden Diener Karl (Stefan Crepon) in Köln. Bei einem Besuch hat die Schauspielerin Sidonie (Isabelle Adjani), die überhaupt erst durch Peters Filme berühmt wurde, inzwischen aber in Hollywood Fuß gefasst hat, den jungen Amir (Khalil Ben Gharbia) im Schlepptau mit dabei.
Peter ist sofort hin und weg von dem schönen jungen Mann und bietet ihm auf Anhieb an, bei ihm einzuziehen. Auch hätte er in seinem nächsten Film bestimmt noch eine Rolle für ihn frei. Amir, der zwar in Australien mit einer Frau verheiratet ist, aber in Deutschland bisher kaum Kontakte hat, willigt ein. Doch bereits neun Monate später hat sich das Machtgefüge um 180 Grad gewendet…
„Peter von Kant“ ist nicht einfach nur eine Neuadaption des Theaterstücks, die nun pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum von Fassbinders eigener Verfilmung mit Margit Carstensen, Hanna Schygulla und Irm Hermann als stumme Dienerin erscheint. Stattdessen hat Ozon den Autor des Stückes kurzerhand zum Protagonisten gemacht: Denis Ménochet trägt schließlich nicht nur die ganze Zeit berühmte Fassbinder-Outfits – wenn Peter von Kant am Schneidetisch sitzt und den Projektor stoppt, dann zeigt das Standbild nicht etwa ihn und Amir, sondern Fassbinder und El Hedi ben Salem.
Also Rainer als Petra? Das passt ja auch - schließlich war auch Fassbinder für seine kontroll- und herrschsüchtigen Ausfälle berüchtigt, von seinem Alkohol- und Drogenkonsum mal ganz zu schweigen. Aber offenbar verehrt Ozon sein Idol so sehr, dass er ihn lieber nicht in einem allzu negativen Licht zeigen will – und so wirkt Denis Ménochet („Inglourious Basterds“) auch in den Szenen, in denen es eigentlich um Manipulation und Machtmissbrauch geht, eher wie ein knuddeliger Teddybär.
... und dieser Peter von Kant könnte eigentlich auch gleich Rainer Werner Fassbinder heißen.
Sowieso nimmt Ozon dem Stück viel von seiner Schwere – wenn er mit einem stark erhöhten Tempo (sein Film ist 34 Minuten kürzer als das Original) durch die fünf Akte brettert, werden vor allem die trockenhumorigen Momente betont. Das erinnert stimmungstechnisch eher an seichtes Boulevardtheater – und wenn Peter am Ende mit der Erkenntnis zusammenbricht, wie schlecht und manipulativ er doch immer alle behandelt hat, dann will man ihm in dieser Fassung fast zurufen: „Ach komm schon, so schlimm war das doch alles gar nicht.“
Dass „Die bitteren Tränen von Petra von Kant“ ein Film über (sich verschiebende) Machtverhältnisse ist, erkennt man selbst, wenn man den Ton ausschaltet: Die Präzision und die Gnadenlosigkeit, mit der die Kamera von Michael Ballhaus die Figuren zueinander ins Verhältnis setzt, ist bis heute unerreicht im Kammerspiel-Kino. In „Peter von Kant“ gibt es hingegen nur wenige solcher Momente – etwa wenn die Kamera von Amir zurückzieht und wir erkennen, wie der nackte Mann von Peter beobachtet wird, was ihn auf der Stelle vom Subjekt zum Objekt der Szene degradiert. Aber ein richtiger satirischer Biss will sich trotzdem nicht einstellen – dafür bleibt das alles doch zu gefällig…
Fazit: Der bekennende Fan Francois Ozon liefert mit „Peter von Kant“ gleich eine doppelte Rainer-Werner-Fassbinder-Hommage – nur bleiben die eigentlichen Stärken des verfilmten Stückes dabei enttäuschend unterentwickelt.
Wir haben „Peter von Kant“ auf der Berlinale 2022 gesehen, wo er als Eröffnungsfilm und Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.