Mein Konto
    The Son
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Son

    Depressionen, die ungreifbare Krankheit

    Von Björn Becher

    Bei seinem oscarprämierten Kino-Debüt „The Father“ setzte der französische Dramatiker Florian Zeller auf eine extrem geschickte Weise filmische Mittel ein, um das Publikum mitten hinein in die Schuhe der dementen Titelfigur zu stecken: In der Leinwandadaption seines eigenen preisgekrönten Bühnenstücks wechselte etwa die Kulisse innerhalb einer Szene von einer Wohnung in die andere, um so die Orientierungslosigkeit des von Anthony Hopkins porträtierten Protagonisten auch auf die Zuschauer*innen zu übertragen.

    Während sich solche (Trug-)Bilder geradezu anbieten, wenn es um die (falsche) Wahrnehmung eines Demenz-Patienten geht, ist es schon deutlich schwieriger, eine ähnliche visuelle Umsetzung von anderen psychischen Erkrankungen zu finden. Aber nicht nur daran scheitert Zeller mit seinem „The Father“-Nachfolger „The Son“, wenn er den an Depressionen leidenden Schüler Nicholas (Zen McGrath) immer und immer wieder verzagt an seinen Fingern knabbern lässt.

    Zu platt und nur wenig subtil adaptiert Zeller sein 2018 in Paris uraufgeführtes Theaterstück „Le Fils“ erneut in Zusammenarbeit mit dem Autor Christopher Hampton, der auch schon die englischsprachige Bühnenversion verantwortet hat und auch an der Kinoverfilmung von „The Father“ beteiligt war. Das ist besonders schade, weil inmitten Geschichte dann doch immer wieder wahrhaftige Momente rund um die Krankheit Depression zu finden sind – nämlich immer dann, wenn deutlich wird, dass diese eben gerade nicht rational zu erklären ist und „The Son“ dies deshalb auch gar nicht erst versucht.

    Mit einem Umzug zum Vater fängt alles an…

    Mehr als einen Monat lang ist der 17 Jahre Nicholas nun schon nicht mehr zur Schule gegangen. Stattdessen hängt der Teenager seinen dunklen Gedanken nach. Seine Mutter Kate (Laura Dern) ist mit ihrem Latein schon lange am Ende, hat teilweise sogar richtig Angst vor ihrem eigenen Kind. Nicholas hingegen glaubt, dass es ihm helfen würden, wenn er zu seinem Vater Peter (Hugh Jackman) zieht. Der erfolgreiche Anwalt arbeitet zwar aktuell am Einstieg in die Politik und hat mit seiner neuen Frau Beth (Vanessa Kirby) gerade einen weiteren Sohn bekommen – aber für Nicholas da sein will er trotzdem unbedingt.

    Schon bald ist Peter der Überzeugung, dass es Nicholas im neuen Zuhause deutlich besser geht. Er habe in der Schule gute Noten und sei sogar zu einer Party eingeladen worden. Doch Beth, die während Peters langen arbeitsbedingten Abwesenheiten viel mehr von dem Teenager mitbekommt, hegt Zweifel. Als sie ein Messer unter Nicholas' Matratze findet, mit welchem sich der Junge offenbar selbst Verletzungen zufügt, ist das nur der erste Warnschuss...

    Peter (Hugh Jackman), der sonst immer alles voll im Griff hat, verzweifelt beim Versuch, seinem Sohn zu helfen und dessen Schmerzen zu verstehen.

    Auch dank der brillanten Bilder von „Blinded By The Light“-Kameramann Ben Smithard fühlte sich „The Father“ nie wie abgefilmtes Theater an, obwohl die komplette Geschichte nur in einem (sich ständig verändernden) Raum spielt. Bei „The Son“ ist von der Bühnenherkunft nur gar nichts mehr zu spüren, weil Zeller sein Geschehen ganz konventionell an den verschiedensten Schauplätzen inszeniert – und passend dazu sind auch die Bilder für die aus einer objektiven Außenansicht erzählten Geschichte vor allem in der ersten Hälfte plötzlich ganz gewöhnlich. Dialoge werden im ermüdenden Schuss-Gegenschuss-Wechsel gefilmt und die wiederholten Close-Ups auf Hugh Jackmans sorgenvolles Gesicht, wenn er in Meetings plötzlich in Gedanken an seinen leidenden Sohn versinkt, nutzen sich auch schnell ab.

    Zu oft unterstreicht er mit seinen Bildern überdeutlich seine Aussagen oder macht Andeutungen über das Unheil in der Zukunft: Obwohl sie gerade an unterschiedlichen Schauplätzen sind, scheinen Vater, Mutter und Sohn kurz gemeinsam das Leid zu spüren, das da in der Luft liegt. Bebildert wird dies, indem wir nacheinander sehen, wie sie im Zug, auf der Arbeit beziehungsweise in der Schule kurz in die Luft starren Nachdem wir in einem Dialog erfahren, dass Peter in seinem New Yorker Luxusloft hinter der Waschmaschine ein Jagdgewehr versteckt hat, wird uns im weiteren Verlauf des Films immer wieder groß diese Waschmaschine gezeigt, ums uns ja an die dahinter lauernde Bedrohung zu erinnern.

    Hugh Jackman tanzt schlecht

    Es gibt aber auch einige stärkere Momente in „The Son“. Wenn Beth, Peter und Nicholas zunächst freudig tanzen, aber die Kamera irgendwann nur noch das Paar zeigt, ahnen wir zwar sofort, dass der Junge längst aufgehört hat. Wenn die Kamera auf ihn schwenkt und wir sein Gesicht sehen, aus dem die gerade noch vorhandene Freude komplett gewichen ist, entfaltet das trotzdem seine Wirkung. In Erinnerung bleiben dürfte die Szene aber vor allem deshalb, weil Hugh „Greatest Showman“ Jackman hier absichtlich schlecht tanzt.

    Ein Aufeinandertreffen von Peter mit seinem eigenen, von Anthony Hopkins großartig-diabolisch verkörperten Vater hat daneben allein schon deshalb Gewicht, weil der Dialog so anders in Szene gesetzt ist. Statt im engen Zwiegespräch sehen wir hier die große Distanz, die Peter nun in der Rolle des Sohns von seinem Vater nicht nur an der langen Essenstafel trennt.

    Für Depressionen gibt es keine einfache Erklärung

    Es scheint, als würde Zeller lange Zeit nicht wissen, wie er Depression darstellen soll – und so greift er zu oft auf eine Reihe von Klischees zurück. Dabei ist „The Son“ richtig stark, wenn Zeller es gar nicht erst versucht und sich stattdessen darauf konzentriert, wie neben ihm auch Peter und Nicholas mit Erklärungsversuchen ringen. Vor allem der Anwalt sucht immer wieder nach der einen Antwort: Liebeskummer? Drogen? Es scheint für ihn außerhalb seiner Vorstellungskraft zu liegen, dass sein Sohn „die ganze Zeit Schmerzen hat“, diese sich aber nicht einfach so mit einer Maßnahme abstellen lassen.

    Erklär es mir“, fordert er den Sohn zunehmend verzweifelt und überfordert immer wieder auf. Doch der kann das natürlich nicht – so gerne er auch würde, ist er doch selbst auf der Suche nach Antworten. Zwar bezeichnet er einmal die Scheidung seiner Eltern und den Weggang des Vaters als Grund, spürt aber im selben Moment, dass er damit falsch liegt beziehungsweise viel zu kurz greift. Wie schwer Depressionen zu greifen sind und dass es unmöglich ist, diese nur mit „Liebe“ und „Verständnis“ einfach irgendwie „abzustellen“, unterstreicht Zeller gegen Ende mit einigen durchaus starken Szenen.

    Die Wendungen im Finale mögen vorhersehbar sein – aber sie sind eben auch absolut konsequent. Ein dramatisches, aber wirkungsvolles Gespräch mit einem Psychologen hat dann zwar einen sehr belehrenden Charakter, ist aber vielleicht auch das nötige Ausrufezeichen für den (nur mit professioneller Hilfe möglichen) Umgang mit einer Krankheit, die ja immer noch von vielen nicht ernst genug genommen oder gar voreilig abgetan wird.

    Fazit: Mit „The Son“ bleibt Florian Zeller zwar klar hinter der inszenatorischen Brillanz seines herausragenden Kino-Debüts „The Father“ zurück, ruft uns in seinen stärksten Momenten aber trotzdem schmerzvoll in Erinnerung, wie schwer Depressionen selbst für nahe Angehörige häufig zu greifen sind.

    Wir haben „The Son“ beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er als Teil des Offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top