Die Hongkong-Antwort auf "Sieben"
Von Björn BecherVom einstigen Schüler von Regie-Legenden wie Wilson Yip, Ringo Lam und Johnnie To hat sich Soi Cheang mit modernen Klassikern wie „Dog Bite Dog“ und „Love Battlefied“ längst selbst den Status eines der großen Hongkong-Genre-Regisseure unserer Zeit erarbeitet. Wobei der für seine düsteren Horrorfilme ebenso wie für seine stylischen Action-Thriller gefeierte Cheang zuletzt ein wenig auf Abwegen wandelte.
Nur unterbrochen von dem brutalen Action-Kracher „Kill Zone 2 – Lethal Warrior“ mit Tony Jaa drehte Chang in den vergangenen Jahren vor allem die chinesische Fantasy-Blockbuster-Trilogie „The Monkey King“. Nun aber kehrt Cheang noch einmal zu seinen Wurzeln zurück – und zwar mit der in Schwarz-Weiß gehaltenen Serienkiller-Hatz „Limbo“, die im Rahmen der Berlinale 2021 ihre Weltpremiere feiert. Hier zeigt er wieder den düsteren, gerne auch mal überhöhenden Stil, den Fans des Regisseurs zurecht so sehr lieben.
Der erfahrene Cop Cham Lau jagt einen Serienkiller.
Zwei mit einem rostigen Gegenstand unsauber abgetrennte und in altes Zeitungspapier gewickelte linke Hände hat die Polizei von Hongkong bereits gefunden. Auch wenn die Leichen noch fehlen, ist der erfahrene Polizist Cham Lau (Lam Ka Tung) überzeugt, einen Serienkiller zu jagen. Da wird ihm der deutlich jüngere Rookie Will Ren (Mason Lee) vor die Nase gesetzt. Trotz anfänglicher Reibereien müssen sich die beiden so gegensätzlichen Männer wohl oder übel arrangieren, um den Täter zu stellen.
Aber der Zusammenhalt wird schon bald ernsthaft auf die Probe gestellt, als das ungleiche Duo bei den Ermittlungen über die frisch aus dem Gefängnis entlassene Kleinverbrecherin Wong To (Liu Cya) stolpert. Wie ein Berserker geht Cham auf die junge Frau los und kann von seinem jungen Kollegen gerade noch davon abgehalten werden, sie zu töten. Wong To hat einst bei einer Drogenfahrt Chams Familie zerstört und will nun Abbitte leisten. Immer noch blind vor Wut nutzt der alte Cop sie aus, um sich Zugang zur Unterwelt von Hongkong zu verschaffen. Denn dort sucht sich Killer zwischen Obdachlosen und Junkies seine Opfer...
Soi Cheang wurde schon mehrfach vorgeworfen, die Metropole Hongkong nur von ihrer hässlichsten Seite zu zeigen – und das macht er auch in „Limbo“ in aller Konsequenz. Die Polizisten wühlen immer wieder im Müll – ob auf der Suche nach Leichenteilen oder einer verlorenen Pistole. Der mit einer außergewöhnlichen Nase gesegnete Cham schnüffelt sogar dran. Der Abfall prägt das Stadtbild der Straßen, teilweise türmt sich in den Gassen der Unrat, dazwischen leben Obdachlose und setzen sich Junkies den nächsten Schuss. Ständig prasselt Regen herunter, der den Untergrund in Matsch verwandelt.
Irgendwann in der Post-Produktion scheint im Regisseur der Entschluss gereift zu sein, den Film in Schwarz-Weiß (bzw. es ist mehr ein Grau-Silber-Weiß) zu veröffentlichen, nachdem ein erster, fast drei Jahre alter Trailer noch in Farbe war. So ist Hongkong hier im wahrsten Sinn farblos, selbst bei Panoramaaufnahmen sind keine bunt leuchtenden Neon-Reklametafeln mehr zu entdecken. Das verleiht „Limbo“ eine ebenso düstere wie nihilistische Atmosphäre, die an andere Neo-Noir-Serienkillerjagden wie David Finchers „Sieben“ erinnert. Mit dieser Assoziation im Kopf ahnt man dann auch bald, dass es hier eher nicht für alle (Haupt-)Figuren ein gutes Ende geben wird.
Wong To schwebt bald in höchster Gefahr.
Ohnehin lässt der Regisseur das Trio im Zentrum seines Films viel durchleiden. Schnell ist auch der in der ersten Szene im feinen Zwirn auftretende Will Ren ähnlich abgerockt wie sein längst desillusionierter Kollege. Seine stetigen und sich steigernden Zahnschmerzen sind das Gegenstück zum seelischen Leiden seines Partners. Doch am meisten wird Wong To mitgenommen, die ständig und von allen Seiten Prügel kassiert, bald überall Wunden an ihrem Körper hat. Die Unmittelbarkeit der Brutalität wird noch dadurch verstärkt, das in den Kämpfen alles zum Einsatz kommt, was irgendwie greifbar ist – außer der oft aus irgendeinem Grund unerreichbaren Pistolen. Fäuste, Messer, Glasscherben und Schlaginstrumente aller Art machen die Schlägereien wild und intensiv.
Wong To ist inmitten dieser teilweise kühlen Brutalität das leicht schlagende Herz. Mit ihr soll das Publikum mitfiebern, was hier vor allem mitleiden heißt. Cham Lau schleift sie förmlich vor all die Gangster, die sie für ihn von Angesicht zu Angesicht identifizieren muss, wohlwissend, dass anschließend die halbe Unterwelt Hongkong die Verräterin töten will. Und es ist – auch durch eine dem Film vorangestellte Szene aus dem Finale – kein Spoiler, wenn man bereits verrät, dass der zerstörerisch-rücksichtslose agierende Cop sie auf das Radar des Serienkillers und damit in allerhöchste Gefahr bringt. Die Handlung ist ohnehin eher berechenbar, gerade rund um den offen angedeuteten finalen Schicksalsschlag.
Doch das macht wenig, nimmt Soi Cheang das Drehbuch von Autor Au Kin Yee („Mad Detective“) doch vor allem zum Anlass für eine konsequent-stylische Inszenierung. Da gibt es zum Beispiel eine von „Exiled“- und „The Mission“-Kameramann Cheng Siu Keung gewohnt exzellent fotografierte, dreifach parallele Verfolgungsjagd in einem Gebäudekomplex: Der jung Will Ren sucht den sich dort versteckenden Killer, Cham Lau läuft dessen fliehender Komplizin nach und Wong To muss all den Dealern und Verbrechern entkommen, die sie den Cops ans Messer liefern musste. Die drei miteinander verwobenen, sich berührenden und beeinflussenden Stränge ergeben eine ebenso spannend wie erstklassig inszenierte Sequenz.
All die brutale Gewalt, der dreckige Stil und der offensichtliche Hang zur Überhöhung, für den der Regisseur besonders bekannt ist, kulminieren in einem wahrhaft außergewöhnlichen Finale: Der für das Publikum schon früh im Film enthüllte Killer wird nicht umsonst vom japanischen Kampfsportspezialisten Hiroyuki Ikeuchi („Manhunt“) gespielt, der dem Ringen im dreckigen Schlamm schon eine Extraportion Körperlichkeit verleiht. Soi Cheang steigert das noch, indem der psychopathische Mörder plötzlich fast schon Superkräfte hat, schwere Gegenstände gegen seine Gegner einsetzt und einmal sogar an zwei Orten gleichzeitig zu sein scheint. Der Mix aus bewusster Übertreibung und handfester Matsch-Schlägerei macht die Szene überhöht surreal und schmerzhaft geerdet zugleich.
Fazit: Mit unbedingtem Stilwillen inszenierte, ebenso brutale wie intensive Serienkillerjagd.
Wir haben „Limbo“ im Rahmen der Berlinale 2021 gesehen, wo er als Berlinale Special gezeigt wird.