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    Kubi
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Kubi

    Der "Brokeback Mountain" des Samurai-Kinos

    Von Michael Meyns

    Wer in den 1990er Jahren Interesse an asiatischem Arthouse-Kino oder knallharter Action aus Fernost hatte, kam an Takeshi „Beat“ Kitano nicht vorbei: Mit den bluttriefenden Yakuza-Filmen „Violent Cop“ und „Sonatine“ gewann er die Herzen der Action-Fans, mit dem künstlerisch wertvollen „Hana-bi - Feuerblume“ den Goldenen Löwen in Venedig. Danach wurde es jedoch stiller um Kitano, der in seiner Heimat den Status eines Volkshelden hat. Manche seiner Filme fanden zwar noch den Weg nach Deutschland, an einstige internationale Erfolge konnte Takeshi Kitano aber nie wieder anknüpfen. Was sich auch mit seinem neuen Film „Kubi“ wohl nicht groß ändern wird, denn das historische Samurai-Epos bietet zwar einige grandiose Action-Momente, in denen die Köpfe nur so fliegen, versucht sich aber auch an einer – nur bedingt erfolgreichen – Dekonstruktion des Samurai-Mythos und des damit verbundenen Machismo: Kitanos Samurais haben abseits des blutigen Schlachtfeldes nämlich auch Sex miteinander.

    Der sogenannte Honnōji-Zwischenfall trug sich 1852 in der damaligen japanischen Hauptstadt Kyoto zu: In einem Tempel wird ein Anschlag auf den Fürsten Oda Nobunaga (Kase Ryo) verübt. Dieser war gerade dabei, die versprengten japanischen Fürstentümer zu einen. Ohnehin schon bekannt für das Köpfen seiner Feinde, verlangt Oda nach dem Anschlag nach einem noch höheren Blutzoll. Besonders seinen Vasallen, Murashige Araki (Endo Kenichi), verdächtigt er des Verrates, weshalb er Mitsuhide (Nishijima Hidetoshi) auf dessen Spur ansetzt. Verkompliziert wird die Lage noch weiter durch den Umstand, dass sich die drei Männer zudem in einer Art Liebesdreieck bewegen – wobei ihre gegenseitigen Gefühle meist unerfüllt bleiben. Und dann ist da noch der erfahrene Hideyoshi (Regisseur Takashi Kitano), der ganz in Ruhe abwartet, wie die Würfel fallen beziehungsweise die Köpfe rollen…

    Wir wissen es nicht sicher, können uns aber gut vorstellen, dass „Kubi“ gerade den Weltrekord für den Film mit den meisten abgeschlagenen Köpfen aufgestellt hat.

    Gleich die erste Einstellung von „Kubi“ zeigt eine Leiche ohne Kopf – und zwei Stunden später endet das Samurai-Epos damit, dass eine der wenigen Hauptfiguren, die die Schlachtplatte überlebt hat, einen abgeschnittenen Kopf direkt in die Kamera kickt. Dazwischen liegen viel Blut und noch mehr abgetrennte Köpfe – sowie ein Handlung, die so kompliziert ist, dass man nur zu dem Schluss kommen kann, dass Kitano sein Publikum bewusst verwirren will. Eine Unzahl von Figuren wird mit Schrifteinblendungen vorgestellt – und das nicht nur zu Beginn, sogar selbst noch kurz vor Schluss.

    Ebenso werden zahlreiche Orte genannt, Burgen und Schlösser, in denen oft nur eine einzelne Szene spielt. Hier den Überblick zu behalten, dürfte selbst für Student*innen der japanischen Geschichtswissenschaften kaum möglich sein. Angesichts von Kitanos wie immer leicht satirischem Unterton sowie Schauspielern, die zum Teil so überdreht agieren, als würden sie sich in einem modernen Yakuza-Film befinden, drängt sich der Verdacht auf, dass Kitano mit „Kubi“ weniger einen typischen Jidai-geki (also Historienfilm) drehen wollte – und es ihm vielmehr um eine Dekonstruktion eines der klassischsten Genres des japanischen Kinos geht.

    Viele Momente in „Kubi“ erinnern dann auch auffällig an Klassiker des Genres: Schlacht-Sequenzen im strömenden Regen lassen an Akira Kurosawas „Die Sieben Samurai“ denken, die oft kläglichen Versuche des rituellen Selbstmordes an Masaki Kobayashis „Harakiri“. Auch das Handlungselement von Doppelgängern eines Herrschers, die an seiner statt ermordet werden, kennt man aus „Kagemusha – Der Schatten des Kriegers“, also einem weiteren Kurosawa-Klassiker. Die Liste ließe sich beliebig fortführen und lässt „Kubi“ immer wieder wie ein Pastiche des Genres wirken, wie ein Best-Off des Samurai-Kinos.

    Nur eben mit einem entscheidenden Unterschied: Kitanos Samurais kämpfen nicht nur gegen Intrigen und andere Clans, sondern auch gegen ihre eigene, in den meisten Fällen unterdrückte Homosexualität. „Beziehung zwischen Samurais können kompliziert sein“, heißt es an einer Stelle, in anderen Momenten geben sich Samurais mehr oder weniger versteckt ihrer Begierde hin, von angedeutetem Oral- bis Anal-Sex ist alles dabei. Ein wenig mutet das an wie die Schwule-Samurai-Variante des Schwule-Cowboys-Films „Brokeback Mountain“, einer weiteren Dekonstruktion eines typisch männlichen Genres. Konsequenterweise sind es in „Kubi“ dann auch praktisch nur Männer, die wir auf der Leinwand sprechen sehen – nur ein einziges Mal kommt eine Frau zu Wort und die ist dann auch noch eine verräterische Prostituierte.

    Wir geben es ganz ehrlich zu: Ganz hundertprozentig wussten wir irgendwann auch nicht mehr, wer da gerade was von wem will?

    So radikal diese Dekonstruktion des Samurai-Genres sowie der offene Umgang mit Homosexualität in einem meist durch und durch von Macho-Attitüden geprägten Genre auch sind: Die vielen stilistisch und/oder inhaltlich gelungenen Szenen finden nur bedingt zu einem großen Ganzen zusammen. Immer neue Intrigen und Kämpfe zwischen den streitenden Feldherren zeigt Kitano – und man muss die Intentionen der japanischen Regielegende schon großzügig interpretieren, um in dieser auf Dauer etwas ermüdenden Wiederholung einen Versuch zu sehen, den Nihilismus fortwährender sinnloser Kämpfe zu spiegeln, bei denen nicht nur das Publikum kaum nachvollziehen kann, wer gerade warum gegen wen kämpft, sondern vermutlich auch die Beteiligten selbst irgendwann den Überblick verloren haben.

    Fazit: Eine historische Episode aus dem Japan des 16. Jahrhunderts nimmt Takeshi Kitano als Ausgangspunkt für einen epischen Samurai-Film, in dem zahllose Köpfe in stilistisch oft herausragenden Bildern durch die Luft fliegen. Inhaltlich findet das alles allerdings nicht wirklich zusammen, weshalb der Versuch, den üblichen Machismo der Samurai mit homosexuellen Untertönen zu unterlaufen, am Ende wohl noch der gelungenste Aspekt des exzessiv-blutigen „Kubi“ ist.

    Wir haben „Kubi“ beim Cannes Filmfestival 2023 gesehen.

     

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