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    Evolution
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Evolution
    Von Johannes Pietsch

    Ivan Reitman ist alt geworden. Der Spezialist für Mainstream-Komödien („Dave“, „Junior“), der 1984 seine Popularität mit dem trefflichen Horror-Ulk „Ghostbusters“ begründete, schien Mitte der 90er Jahre alles kreative Pulver verschossen zu haben. Nachdem der 54-Jährige vor drei Jahren mit dem kleinen, aber feinen Castaway-Lustspiel „Sechs Tage, sieben Nächte“ (mit Harrison Ford und Anne Heche) überraschte, versucht er jetzt noch einmal den ganz großen Wurf: „Evolution“ will mit Aufwand, Budget und Darstellern an die Glanztage von „Ghostbusters“ anknüpfen - mit äußerst zwiespältigem Ergebnis.

    Sich auf seinen phänomenalen Erfolg von 1984 verlassend transferierte Ivan Reitman das Grundkonstrukt von „Ghostbusters“, ein klamaukiges Fantasy-Potpurri mit Elementen des Katastrophenfilms, ungefiltert aus den 80ern in die Gegenwart und verbrämte es mit einer Vielzahl von Parodien, Anspielungen und Zitaten auf zeitgenössische Filme. Dazu wird mal eben ein mit Urschleim bekleckerter Meteorit in die Wüste von Arizona geworfen, um anschließend im Schnelldurchlauf eine extraterrestrische Evolutionskette vom Einzeller über allerlei Dinosauriergetier bis hin zur Quadratkilometer großen Riesenqualle in Gang zu setzen. Die unvermeidlich bevorstehende Vernichtung der Menschheit können allein vier tollpatschige Dorftrottel verhindern, die der pure Zufall zusammengeführt hat. Soweit das reine Remake von „Ghostbusters“, bei dem statt eines höllischen Götterwesens halt nur eine höllisch außerirdische Götterspeise die Welt in ihrem Fortbestand bedroht – „The Blob“ lässt grüßen!

    An Stelle von Bill Murrays Viererbande nehmen es im Jahr 2001 zwei zerstreute Hochschulwissenschaftler (David Duchovny, Orlando Jones), eine tapsige Militärforscherin (Julianne Moore) und ein komplett unterbelichteter Feuerwehr-Anwärter (Seann William Scott) mit der außerirdischen Glibberbande auf. Und diese Darsteller sind der große Pluspunkt des Films: Duchovny spielt nicht, er lebt und atmet in jeder Szene mit unvergleichlich ironischer Nonchalance jene Serienfigur, die er sieben Jahre lang in der Kultserie „Akte X“ verkörperte. Wenn Fox Mulder über die Existenz von Außerirdischen zweifelte und sinnierte, starrte er auf das Poster an der Wand seines Büros mit dem Slogan „I want to believe“. Oftmals fragte man sich als Zuschauer, in welche Begeisterungsstürme der phlegmatische FBI-Ermittler ausbrechen würde, gelänge ihm eines Tages tatsächlich der Beweis für die Existenz extraterrestrischer Besucher. Umso komischer und skurriler fällt David Duchovnys Performance in „Evolution“ aus: Auf die Invasion des klauen-, tentakel- und fangarmbewehrten außerirdischen Viehzeugs, das mit einem Schlag alle Theorien von Duchovnys Alter Ego Fox Mulder über den Haufen schmeißen - äh - glibbern würde, reagiert dieser Ira Kane mit einem entspannten Understatement, als habe Dana Scully nur gerade mal eben ihren Kaffee über seinen Schreibtisch gekippt. Blödel-Star Seann William Scott („Road Trip“) ist wie fast immer zum Brüllen komisch, Julianne Moore („Hannibal“) natürlich darstellerisch völlig unterfordert, während Orlando Jones als Eddie-Murphy-Plagiat schwer zum Over-Acting neigt. Ein nettes Cameo liefert der inzwischen schrecklich aufgeschwemmte Ex-Ghostbuster Dan Akroyd („Pearl Harbor“).

    Die Tricktechnik ist State of the art und präsentiert eine bizarre Galerie der skurrilsten und verrücktesten Monsterwesen. Allein der Flugsaurier ist sehenswert und bietet einen Vorgeschmack auf „Jurassic Park 3“. Ein gutmütig dreinschauendes Wandschrankmonster sowie ein äußerst beißfreudiges und noch dazu klassenkämpferisch eingestelltes Riesenreptil (es sucht seine Opfer bevorzugt auf Golfplätzen) zitieren direkt den Vorgänger von 1984. Doch trotz der unübersehbaren Parallelen treffen die Gags diesmal viel seltener ins Schwarze als bei „Ghostbusters“. Ivan Reitmans Filmerfolg von 1984 war ein Kind seiner Zeit, der vor allem die Welle harter Horror- und Splatterfilme, angefangen von Friedkins „Der Exorzist“ bis zu George A. Romeros „Zombie“, ironisch aufs Korn nahm. Die Vorbilder von „Evolution“ sind zumeist selbst alles andere als bierernst, eine parodistische Überzeichnung daher umso schwerer. Und diesen Mangel an „natürlichem Humor“ versucht Ivan Reitman nun mit dem größten Fehler des Films überhaupt zu kompensieren, indem er sich auf die von den jungen Kollegen Farelly, Wayans & Co. vorgezeichnete Schleifspur des Fäkalhumors setzen lässt. Die Vermischung von hochglänzendem Special-Effects-Abenteuer mit unterirdisch blöden Rektalzoten der Kategorie „American Pie“ geht grandios nach hinten los und macht den Film oftmals schwer erträglich.

    Vor 17 Jahren war Ivan Reitman nicht nur ein hervorragender Komödiant und Parodist bestehender Filmgenres, er war auch Pionier: „Ghostbusters“ war als Archetyp des Crossover-Klamauks aus Horror, Parodie und Anarcho-Gags für 1984 wegweisend und wirkt über die Welle von Gruselkomödien der 80er Jahre fort bis zu Filmen wie „Die Mumie“ oder „Men in Black“ und in die Gegenwart populärer TV-Serien: Selbst die adrette Sarah Michelle Gellar wandelt heute als Vampirjägerin Buffy Summers in den Fußstapfen der Ghostbusters. Heute ist Ivan Reitman nicht mehr Trendsetter, sondern nur noch Resteverwerter, der sentimental den an ihm vorbeirasenden Trends hinterherschaut.

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