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    Dämonisch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Dämonisch
    Von Johannes Pietsch

    Die dunkle Wahrheit im Hintergrund, die sich beim Erzählen einer zurückliegenden Ereigniskette erst nach und nach unter einer trügerischen Hülle hervorschält, gehört zu den beliebtesten erzählerischen Methoden des Thriller-, Kriminal- und Mysterie-Kinos. Wer erinnert sich nicht an Kevin Spacey, der in Bryan Singers meisterhaftem „The usual suspects“ den Ermittlern eines Mordfalles die Mär eines schattenhaften, übermenschlichen Drahtziehers im Hintergrund offerierte, die dann in der verblüffenden Schlusspointe ihr wahres Gesicht enthüllt. Genauso verwendete Alan Rudolphs „Mortal thoughts“ das Stilmittel von Flashbacks, in Hilfe derer er die Geschichte vom angekündigten Tod eines tyrannischen Ehemannes nacherzählt, die von der besten Freundin der Witwe dem ermittelnden Detective berichtet wird. Auch „Frailty“, das Regie-Debüt des ansonsten nur im Schauspielfach zu findenden Bill Paxton, setzt dieses Stilmittel im Zusammenhang mit einem auf Verblüffung getrimmten Plot-Twist am Ende ein, der jedoch der argen Überstrapazierung dieses Prinzips in den letzten Jahren nur verhalten überraschend ausfällt.

    Eine regnerische Nacht, ein beinahe ausgestorbenes FBI-Gebäude, ein einsamer Ermittler, der den Jahrzehnte alten Fall eines Serienkillers bearbeitet – das ist der Stoff, aus dem (filmische) Alpträume erstehen können. Vergilbte Zeitungsausschnitte lassen den Zuschauer erste, schemenhafte Eindrücke gewinnen von dem blutigen Treiben eines Massemörders, der sich selbst den makaberen Namen „God’s Hand“ gab. Ein junger, ungepflegt wirkender Mann trifft ein, möchte unter allen Umständen mit Wesley Doyle (Powers Boothe), dem FBI-Ermittler des „God’s Hand“-Falles sprechen, behauptet steif und fest, den seit Jahrzehnten gesuchten Mörder zu kennen und sogar sein Bruder zu sein. Der Bericht des jungen Mannes (Matthew McConaughey), der sich selbst Fenton Meiks nennt, führt zurück ins beschauliche Texas der 70er Jahre und eröffnet eine bedrückende Reise in den Wahnsinn.

    Die intelligent verschachtelten und montierten Rückblenden kolportieren die Jugend Fentons, der zusammen mit seinem jüngeren Bruder Adam von einem herzensguten, aber strenggläubigen Vater aufgezogen wurde, in die regnerisch-düstere Nacht der Rahmenhandlung. Das Leben der neun und zwölf Jahre alten Jungen scheint das Idealbild einer unbeschwerten, schon beinahe idyllischen Kindheit widerzuspiegeln, bis eines Nachts Vater Meiks von einer scheinbar göttlichen Vision den Auftrag erhält, als „Gottes rechte Hand“ Dämonen in Menschengestalt zu töten und sofort nichts Besseres zu tun als, als erstens den Befehl unverzüglich in die Tat umzusetzen und zweitens seine beiden Stammhalter zu zwingen, ihm dabei zu assistieren.

    Bei der Darstellung psychischer Erkrankungen kennt das amerikanische Kino eigentlich nur zwei Extreme: Entweder mühen sich ein oder mehrere Charaktermimen mit der Lizenz zum Oscar-Gewinn mit der möglichst menschlichen und zu Herzen gehenden Interpretation eines Leidens, um zum Schluss wie in „A beautiful mind“ zu wohl temperierten Geigenklängen den Triumph des menschlichen Willens über das Gebrechen zu zelebrieren. Oder der Kranke wird – wie im Horrorkino seit „Halloween“ üblich – als ins Groteske verschobenes Zerrbild, als fratzenhaft entstelltes Abbild des Menschen dargeboten. Umso verstörender wirkt da das intensive, subtile Spiel von Regisseur und Vater-Darsteller Bill Paxton, das punktgenau das Erscheinungsbild eines Psychotikers mit wahnhaftem Erleben und eingeschränkter, aber längst nicht völlig versagender Realitätsprüfung trifft, eines psychisch Kranken, der völlig unauffällig für seine Umgebung agiert, seinen Lebensalltag bewältigt, aber wie besessen einer bestimmten wahnhaften Überzeugung anhängt.

    Lehrbuchwürdig, als habe Drehbuchautor Brent Hanley die ICD-10, Abschnitt F20 und Folgende, auswendig gelernt, setzt das Skript die stufenweise Erkrankung an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose um, inklusive Wahnvorstellungen, Beziehungs- und Bedeutungswahn – so ist Vater Meiks überzeugt, in einem schnöden Pokal eine Engelserscheinung wahrgenommen sowie Handschuhe zum gefahrlosen Berühren der Dämonen von Gott erhalten zu haben. Regisseur Paxton, der diese Rolle mit einer intensiven Mischung aus Gottesfurcht, Güte und unerbittlich-gnadenlosem Sendungsbewusstsein ausfüllt, gelingt es bravourös, diese groteske und makabere Situation aus der Perspektive des zwölfjährigen Fenton erlebbar und fühlbar werden zu lassen, der sich in einem grauenhaften Entscheidungszwang zwischen Skylla und Charybdis wiederfindet. Während der drei Jahre jüngere Adam (Jeremy Sumpter) in naiv-kindlichem Rausch die Überzeugung von dem göttlichen Auftrag unreflektiert übernimmt, erkennt der wesentlich reifere Fenton (Matthew O’Leary mit einer beeindruckenden Performance jugendlicher Panik) den Irrsinn hinter den Ideen seines Vaters sehr schnell und steht nun vor einer grausamen Wahl: Entweder, er hilft bei dem mörderischen Ausmerzen der vermeintlichen Dämonen, deren bürgerliche Namen der Vater ebenfalls durch göttliche Wirkung auf einer Liste genannt bekommen hat, und macht sich an den Bluttaten mitschuldig, oder er verweigert sich und läuft Gefahr, von seinem Vater ebenfalls zum Feind der göttlichen Sache erklärt zu werden.

    Bei den Axtmorden von Vater Meiks liegt die Assoziation zu Stanley Kubricks „Shining“ sicherlich nicht ganz zufällig auf der Hand. Während Jack Nicholson vor 22 Jahren seinen Jack Torrance im Stadium blanker, manisch unkontrollierter Raserei mit der Axt auf Sohn und Ehefrau losgehen ließ, fasziniert an Paxtons Darstellung die scheinbar völlig ungerührte, aber erbarmungslose, unbeirrbare und kompromisslose Entschlossenheit, mit der Vater Meiks seinen göttlichen Sendungsauftrag in die Tat umsetzt. Die Ausweglosigkeit von Fentons Situation, das Ausgeliefertsein an den wahnsinnigen Vater und die Verstrickung in die blutigen Axtmorde, deren Opfer die beiden Jungen auf Befehl an einem mystischen Ort beerdigen müssen, eröffnet eine verstörende, beeindruckend klaustrophobische Wirkung. Während die Rahmenhandlung kaum mehr als das biedere Grusel-Ambiente einer landläufigen „Akte X“-Folge bietet, entfaltet der Film in den Flashbacks einen stellenweise superben psychologischen Horror. Wie Bill Paxton den Zuschauer die grausigen Morde erleben lässt, indem er zum Geräusch des Axthiebs das entsetzte Gesicht Fentons mit den faszinierten, berauschten Antlitz des drei Jahren jüngeren Adam kontrastiert, gehört zu den dramatischsten und beklemmendsten Momenten des Films.

    Beim Fortgang der Handlung leistet sich „Frailty“ dann allerdings einige zu offensichtliche Vorhersehbarkeiten. Der Ausgang der Geschehnisse in den Rückblenden ist ebenso früh und leicht zu erraten wie der vermeintlich so verblüffende Story-Twist am Ende der Rahmenhandlung. Um diesen Schwenk zu toppen, setzen Paxton und Hanley noch einen drauf und lassen schlussendlich die Story ein weiteres Mal um die Horizontale kippen, so dass die gesamte Filmhandlung ein komplett neues Fundament erhält und sich die Rückschau auf die Ereignisse in der Vergangenheit auf einmal unter diametral anderen Vorzeichen darstellen. Was an dieser Stelle auf den ersten Blick wie eine unnötige Aufblähung der Erzählung wirken mag, ist jedoch narrativ der konsequente Schwenk ins kompromisslos düstere Ende und die Erkenntnis, dass das Böse nicht nur dem Guten überlegen, sondern scheinbar sogar die allein existierende Instanz hinter lauter trügerischen Illusionen ist.

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