Mein Konto
    See How They Run
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    See How They Run

    In diese "Mausefalle" tappen wir gern!

    Von Lutz Granert

    Agatha Christie ist DIE Hit-Autorin der literarischen Kriminalgeschichte schlechthin! Nicht nur ihre witzigen Mysterien rund um Miss Marple wurden (zum Teil mehrfach) kommerziell einträglich verfilmt, zuletzt ermittelte etwa unter eigener Regie Kenneth Branagh als Meisterdetektiv Hercule Poirot in den Leinwand-Erfolgen „Mord im Orient-Express“ und „Tod auf dem Nil“. Kein Wunder also, dass der „African Queen“-Produzent John Woolf bereits kurze Zeit nach der Uraufführung des von Agatha Christie verfassten Theaterstücks „Die Mausefalle“ am 25. November 1952 am New Ambassadors Theatre im Londoner West End Morgenluft witterte – und sich in Erwartung eines weiteren Kassenerfolgs direkt eine Option auf eine Kino-Adaption sicherte. Allerdings unter einer folgenschweren Bedingung: Die Dreharbeiten dürften frühestens sechs Monate nach der Absetzung des Theaterstücks beginnen.

    Ein typischer Fall von „dumm gelaufen“, schließlich entwickelte sich „Die Mausefalle“ zum Publikums-Hit und wurde bis zum Lockdown während der Corona-Pandemie über 67 Jahre am Stück ununterbrochen gespielt – womit das Stück einen einsamen Rekord aufstellte. „See How They Run“ ist  nun keine direkte Verfilmung von Agatha Christies Bühnenstück, sondern ein fiktiver Hinter-den-Kulissen-Meta-Krimi, selbst wenn Kenner*innen einige Elemente des Whodunit-Plots sowie einige zitierte Szenen schmunzelnd wiedererkennen werden. Dabei beeindruckt das Filmdebüt von Tom George mit unbekümmertem Mut sowohl zur uneitlen Selbstironie als auch zu selbstreferenziellen Gags – was nicht nur Krimi-Fans große Freude bereiten dürfte.

    Ein bunter Blumenstrauß an Verdächtigen!

    London, Mitte der 1950er Jahre: Zur 100. Aufführung des Theaterstücks „Die Mausefalle“ sind auch der US-amerikanische Filmproduzent John Woolf (Reece Shearsmith), der sanftmütige Drehbuchautor Mervyn Cocker-Norris (David Oyelowo) und der arrogante Regisseur Leo Kopernick (Adrien Brody) angereist, um erste Vorbereitungen für eine Film-Adaption zu treffen. Noch während der Jubiläumsfeierlichkeiten wird Leo Kopernick jedoch ermordet. Der versoffene Inspector Stoppard (Sam Rockwell) und die junge Constable Stalker (Saoirse Ronan) werden auf den Fall angesetzt – und entdecken sowohl unter den Cast-Mitgliedern des Bühnenstücks als auch unter den angereisten Filmschaffenden jede Menge potenzielle Täter*innen mit den verschiedensten Motiven…

    Wie zuletzt der Whodunit-Thriller „Knives Out“ überzeugt auch „See How They Run“ mit seinem spielfreudigen, hochkarätigen Ensemble. Zugegeben: Reece Shearsmith bleibt als schmieriger Produzent, der permanent mit seiner Assistentin rummacht, ebenso eine Witzfigur wie Harris Dickinson („Triangle Of Sadness“) als schleimiger Darsteller des Theaterstück-Ermittlers, der Constable Stalker gönnerhaft Freikarten anbietet und Stoppards banalen Gesten ob ihrer Authentizität rühmt. Sam Rockwell verkörpert nach seiner oscarprämierten Leistung in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ abermals einen Ermittler mit fragwürdiger Motivation: Die Rolle des ebenso verpeilten wie egalitären Chaoten Stoppard, der bei einer langwierigen Observation schon mal vorgibt, zum Zahnarzt zu müssen, sich aber (bewusst) in den nächsten Pub verirrt, scheint ihm auf dem Leib geschrieben.

    Viel Spaß und eine überraschende Auflösung

    Der süffisante Adrien Brody („The French Dispatch“) segnet als eingebildeter Filmemacher zwar schon nach gerade einmal zehn Filmminuten das Zeitliche – trotzdem wird er nicht müde, die Geschehnisse als Voice-Over immer wieder lakonisch zu kommentieren. Der Rest des Ensembles wird jedoch übertrumpft von Saoirse Ronan („Lady Bird“), die endlich einmal zeigen darf, welch ungeahntes komödiantisches Talent in ihr steckt. Als immer bestens über den Hintergrund des Theaterstücks und die Verdächtigen informierte, überambitionierte Nachwuchspolizistin mit ernster Miene ist sie eindeutig die Sympathieträgerin. Selbst die Klischee-Weisheiten ihres Kollegen, darunter etwa „Don't jump to the conclusions“, schreibt sie voll verbissenem Eifer in ihr alsbald prall gefülltes Notizbuch.

    Das Skript von Mark Chappell ist prallgefüllt mit solchen selbstreferenziellen Anspielungen. So darf Regisseur Kopernick in einer Rückblende, sehr zum Unmut von Drehbuchautor Mervyn, seine eigene, betont reißerische Vision vom Finale der „Mausefalle“-Adaption vorstellen – und später wird diese nach vielen Wendungen im Showdown von „See How They Run“ bei der überraschenden Auflösung der Killer-Identität auch tatsächlich so umgesetzt…

    Saoirse Ronan stiehlt dem Rest des Ensembles ein Stück weit die Show!

    Abgesehen von wiederholt eingesetzten Split Screens, die das Geschehen auch optisch auflockern, selbst wenn sie als Stilmittel erst seit den späten 1960er Jahren weite Verbreitung in Hollywoodfilmen fanden, überzeugt auch das historische Setting – nicht nur wegen der detailverliebten Kostüme. Gedreht wurde nämlich während des zweiten Lockdowns in Großbritannien im April 2021 zum Teil in den Räumlichkeiten zu dieser Zeit zwangsgeschlossener Traditionstheater in London. Also – und auch das ist Ironie – genau zu der Zeit, als die Bühnen-Version der „Mausefalle“ tatsächlich einmal pausieren musste.

    Fazit: Eine bis zum Ende überraschende, selbstreferenzielle Krimikomödie, die einfach verdammt viel Spaß macht.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top