Schluss mit Sissi, jetzt kommt Elisabeth
Von Annemarie HavranKaiserin Elisabeth alias Sisi (1837 - 1898) ist gerade so angesagt wie schon lange nicht mehr. Nachdem ganze Generationen mit dem Bild von Romy Schneider als zuckersüßer, strahlend lächelnder Kaiserin in Ernst Marischkas „Sissi“-Kultfilmen aus den 1950ern aufwuchsen, schicken sich nun gleich mehrere Projekte an, unserem romantisch verklärten Blick auf die historische Figur eine neue Perspektive hinzuzufügen. Nach RTL mit „Sisi“ plant auch Netflix unter dem Titel „The Empress“ über die berühmte Monarchin. Fürs Kino dreht Frauke Finsterwalder „Sisi und ich“, wobei sie mit „Toni Erdmann“-Star Sandra Hüller in der Hauptrolle die Geschichte aus Sicht der Hofdame der Kaiserin erzählt. Einen spannenden Betrachtungswinkel wählt auch die Österreicherin Marie Kreutzer („Der Boden unter den Füßen“) für ihren bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführten „Corsage“:
Ihre Elisabeth ist nicht die blutjunge „Sissi“ aus dem kollektiven Popkultur-Gedächtnis, sondern eine gestandene Frau von 40 Jahren – und so alt zu sein, ist Ende des 19. Jahrhunderts fast schon ein Skandal an sich, wie Elisabeths Hofarzt ihr unverblümt mitteilt: 40 Jahre sind zu der Zeit für viele Frauen des Volkes schließlich die durchschnittliche Lebenserwartung – aber diese Elisabeth (großartig gespielt von „Der seidene Faden“-Star Vicky Krieps) ist in Kreutzers sehenswertem, wenn auch stellenweise zu plakativem Drama natürlich keine Frau des Volkes.
Elisabeth (Vicky Krieps) raucht nicht nur wie ein Schlot, sondern zeigt auch schon mal aus Wut den Mittelfinger...
Als Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn ist sie zwar überaus privilegiert, gleichzeitig lastet aber auch ein unfassbarer Druck auf ihr, denn sowohl ihr Ehemann Kaiser Franz Joseph (Florian Teichtmeister) als auch das Volk erwarten körperliche Perfektion und Schönheit in Reinkultur. Weder ihre Meinung noch ihre Bedürfnisse interessieren. Dass ihre Gäste an ihrem 40. Geburtstag, den die Kaiserin sichtlich leidend erträgt, nicht nur „hoch soll sie leben“, sondern auch „schön soll sie bleiben“ singen, macht deutlich, welche Rolle der Monarchen-Gattin zukommt. Und so schindet sich Elisabeth tagtäglich, um dem an sie gestellten Schönheitsideal zu entsprechen. Dabei wünscht sie sich nichts sehnlicher, als aus diesem gesellschaftlichen Korsett auszubrechen...
In der ersten Szene von „Corsage“ ist Elisabeth in einer Badewanne untergetaucht, während ihre Kammerzofen die Zeit stoppen. Eine Minute und elf Sekunden kann die durchtrainierte Kaiserin die Luft anhalten, wie die Bediensteten bewundernd feststellen. Gleich zu Beginn werden so zwei Themen etabliert, die sich durch Marie Kreutzers historisch bewusst nicht ganz akkurates, immer wieder von modernen Elementen wie Pop-Songs durchbrochenes Biopic ziehen: Vicky Krieps’ Elisabeth ist hungrig nach Anerkennung, eine Narzisstin, die sich von der Bewunderung nährt, von der ihr Selbstbewusstsein abhängt – und gleichzeitig wünscht sie sich doch, wie in der Badewanne auch in ihrem Leben abtauchen zu können, nicht ständig im Rampenlicht stehen zu müssen, in dem sich die Gesellschaft über jede kleinste Gewichtszunahme und Falte der Monarchin das Maul zerreißt.
Von Anfang an fühlt man mit der von Vicky Krieps nuanciert gespielten Elisabeth, die danach hungert, nicht nur für ihr Aussehen bewundert zu werden (obwohl sie diese Bestätigung eben doch auch genauso sehr braucht wie sie sie verachtet). Stattdessen will sie auch politisch eine Rolle spielen, was ihr Kaiser Franz-Joseph allerdings konsequent verwehrt. Während er das Reich lenkt, soll sie repräsentieren: „Dafür habe ich dich ausgewählt, dafür bist du da.“
Immer wieder zeigt Marie Kreutzer ihre Protagonistin beim Sport, beim Hungern (zwei hauchdünne Scheiben Orange zum Abendessen, bitte nicht mehr) und lässt sie bissig die an sie gestellten, überlebensgroßen Erwartungen kommentieren. Dabei ist die Bebilderung an manchen Stellen überdeutlich. Da wird Elisabeth in einen Raum gestellt, der immer kleiner wird und sie niederdrückt. Oder in einer anderen Szene wird gezeigt, wie sie bedeutungsschwanger auf eine in einen Käfig gesperrte Frau in einer Irrenanstalt blickt.
Kaiser Franz Joseph (Florian Teichtmeister) sieht für seine Gattin nur eine Aufgabe: Repräsentation (sprich hübsch aussehen und ansonsten die Klappe halten).
Es ist eigentlich nicht nötig, den Druck und den Wunsch nach Ausbruch mit solchen Bildern zusätzlich zu unterstreichen. Schließlich reicht ein Blick in Vicky Krieps’ Gesicht, um die Last und auch die Wut, die ihre Elisabeth mit sich trägt, zu erspüren. Dabei legt Krieps Elisabeth aber mitnichten nur als leidende Frau an, und schon gar nicht als Opfer. Immer wieder versprüht die kettenrauchende, dank Kreutzers künstlerischer Freiheit auch mal fluchende und den Mittelfinger zeigende Kaiserin auch Witz und Lebenslust, vor allem immer dann, wenn sie den kaiserlichen Hof verlassen und auf ihre geliebten Reisen gehen kann, wo sie sich auch mal einen Flirt mit ihrem Reitlehrer erlaubt. Gleichzeitig kann sie aber auch eiskalt sein, wenn es darum geht, ihre Bedürfnisse zu stillen, wenn es schon kein anderer tut. Ihrer Lieblings-Zofe verbietet sie gar eine Heirat, um sie weiterhin um sich haben zu können: „Nur du liebst mich so, wie ich bin.“
Zum Ende hin nimmt sich Marie Kreutzer zunehmend Freiheiten mit ihrer historischen Hauptfigur, lässt sie sowohl ihre Rebellion als auch ihre Verzweiflung vollends ausleben, ändert dafür sogar ihr Schicksal. Das ist ein kluger Schachzug, um „Corsage“ letztendlich nicht nur zu einem Film über Kaiserin Elisabeth, sondern zu einem personen- und zeitunabhängigen Porträt einer Frau zu machen, die einem Idealbild zu entsprechen versucht, das sie in gewisser Weise sogar selbst an sich stellt, aber gleichzeitig mit den Erwartungen brechen und ihren eigenen Weg gehen will.
Fazit: Vicky Krieps ist großartig als eine Kaiserin Elisabeth fernab von jedem Sisi-Klischee, auch wenn die insgesamt starke und einfallsreiche Inszenierung von Marie Kreutzer an einigen Stellen etwas zu plakativ gerät.
Wir haben „Corsage“ auf dem Filmfestival in Cannes 2022 gesehen, wo er in der Sektion Un Certain Regard gezeigt wurde.